Wir hier, ihr dort

Erstveröffentlicht: 
20.04.2011

Die soziale Durchmischung der Quartiere nimmt ab - Welche Folgen hat das für die Stadt?

 

Gutverdiener können dorthin ziehen, wo Freiburg blüht und gedeiht: nach Herdern, Littenweiler oder in die Wiehre – trotz hoher Mietpreise. Wer wenig hat, dem bleiben hingegen immer weniger Möglichkeiten. Das Ergebnis: Der Geldbeutel bestimmt den Stadtteil. Arm und Reich distanzieren sich und bleiben vor allem eines: unter sich. Der Trend nimmt zu.

 

„Freiburg ist eine attraktive Stadt“, sagt Baubürgermeister Martin Haag mit einer Mischung aus Stolz und Bedauern, „hier wird es nie wirklich billigen Wohnraum geben. So viele Wohnungen können wir gar nicht bauen.“ Was der Baubürgermeister, heute 110 tage im Amt, so lapidar zusammenfasst, könnte sich noch zu einem handfesten Problem für die Stadt entwickeln. Denn wo sich Ärmeren und sozial Benachteiligten sammeln, da verstärken sich ihre Probleme gegenseitig. „Soziale Segregation“ nennt das Baldo Blinkert, emeritierter Professor für Soziologie an der Uni Freiburg. Als Ursache macht der den teuren Boden- und Mietwohnungsmarkt aus. „Das führt zu einer Verteilung der Menschen am Wohnungsmarkt, die nicht mehr freiwillig ist“, erklärt er.


Dass es die Tendenz zur Gettoisierung auch in Freiburg schon länger gibt, dessen ist sich auch Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach bewusst. „In manchen Stadtteilen herrscht ein ganz klares Ungleichgewicht“, gibt er zu, „das haben wir auch im letzten Bildungsbericht gesehen, die Übergangsquote zu weiterführenden Schulen schwankt teilweise zwischen 50 und 90 Prozent.“


Dass die Probleme im Westen der Stadt liegen ist bekannt. Wer Geld hat wohnt in den schönen Altbauten und Jungendstilwillen im Osten, nicht im Hochhaus in Landwasser oder Weingarten. Ob in Herdern oder Landwasser: Die Kinder gehen gemeinsam in den Kindergarten, später auf die Grundschule. Man lebt dasselbe Leben. „Leider lernt man dann auch keinen anderen Lebensentwürfe kennen“, erklärt Blinkert, „Vielfalt ist aber positiv und erhöht die Lebensqualität.“


Das findet auch Ingrid Winkler. Die Vorsitzende des Bürgervereins Herden würde sich mehr soziale Durchmischung in ihrem Stadtteil wünschen. „Alle neuen Projekte, wie St. urban, die Neubauten an der Sebastian-Kneipp-Straße oder jetzt der Johann-Sebastian-Bach-Straße, ziehen leider nur wieder die an, die sich das Hochpreisniveau leisten können.“

Macht der Marktest

„Mit dem Slogan „Ein Quartier verändert sich“ wirbt im Quartier westlich der Merzahsuser Straße eine Freiburger Immobilienfirma um Käufer. Die Häuser dort werden durch Umbaumaßnahmen fraglos aufgehübscht. Gleichzeitig werden sie von günstigen Miet- zu kostspieligen Eigentumswohnungen umgewandelt. Bei einem Quartiersrundgang am Montag, der die Folgen des Wandels für die bisherigen Bewohner beleuchten sollte, war auch der Eigentümer der Wohnungen vor Ort – doch beschwichtigen konnte er nicht. Auf die Sorgen über den Verlust des geliebten Quartiers, das künftig für viele Alt-Einwohner unbezahlbar wird, reagierte der Unternehmer mit zynischer Arroganz: Es herrsche in Freiburg nunmal Wohnungsknappheit, dass er davon profitiere, dazu stehe er. Letztlich mache er aber nichts, was die Käufer nicht auch wollen, erklärte der Immobilienmogul. Dass dabei einige rausgedrängt würden, sei Teil des Marktes. Den Betroffenen empfahl er, aus Freiburg wegzuziehen.   Claudia Kleinhans.

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Fortsetzung des Textes auf Seite 2:

 

Vom Objekt zum Subjekt
Fortsetzung des Titels: Sozialer Wohnungsbau löst Probleme nicht, es geht um den Menschen


Wenn es um die Lösung für das  Problem der Abgrenzung geht, gibt es unterschiedliche Ansätze. Baubürgermeister Martin Haag will bei-
spielsweise auch die Umlandgemeinden in die Pflicht nehmen. Die Flächen in Freiburg seien nahezu ausgereizt. „Die Lebenswelt der Men-
schen macht nicht an der Stadtgrenze Halt“, stellt er klar, „wir müssen mehr an das ’Wir’ denken als an das ’Ich’.“ Sozialbürgermeister Ulrich von
Kirchbach will dem Trend zur Freiburger Klassengesellschaft durch spezielle Anreize für Investoren entgegenwirken. Zum Beispiel, indem
die Stadt Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau vergünstigt an diese abgibt. „Wenn es einen politischen Willen gibt, sind auch die Mittel dafür
da“, erklärt er. Der Soziologe Baldur Blinkert glaubt an einen anderen Weg. Der soziale Wohnungsbau habe auch seine Nachteile. Durch ihn seien teilweise erst die Problemräume entstanden, um die man sich heute kümmern müsse. Anfangs noch gemischte Gebiete, sei der Mittelstand nach und nach weggezogen. Übriggeblieben sind die, die nicht weg konnten, neu hingezogen sind die, die woanders keinen Wohnraum fanden. So verfestigten sich die negativen Strukturen. Blinkert glaubt mit der Idee: „Weg von der Objektförderung hin zur Subjektförderung“, mehr erreichen zu können. Nicht der Soziale Wohnungsbau, sondern die Menschen sollten, zum Beispiel mit einem höheren Wohngeld, gefördert werden. So, dass sie sich selbst für ein Wohngebiet entscheiden könnten und niemand von oben herab diese Entscheidung für sie trifft. Claudia Kleinhans