JW: Meinungsfreiheit light

Info | Ticker
Erstveröffentlicht: 
03.04.2009
NATO-Gegner kritisieren Demonstrationsauflagen der Behörden. Friedensaktivisten berichten von Verletzten nach Polizeieinsatz in Strasbourg

Mehrere hundert Menschen haben am Freitag in Baden-Baden friedlich gegen den NATO-Gipfel demonstriert. »Wir hatten eigentlich mit etwa 5000 Teilnehmern, darunter mit vielen gewaltbereiten Autonomen gerechnet«, sagte Polizeisprecher Lothar Haak am Rande der Veranstaltung gegenüber junge Welt. Doch die teilweise grotesken Auflagen der Behörden sowie die Schikanen der Polizei an den Tagen zuvor dürften viele Kriegsgegner verunsichert und vom Protest in dem abgeriegelten Kurstädtchen abgehalten haben. So forderte das Regierungspräsidium Karlsruhe unter anderem ein Verbot von Wasserspritzpistolen. Untersagt war das Tragen von Kapuzenpullovern, vorgegeben eine Lärmbegrenzung für den Lautsprecherwagen. Dieser wurde von der Polizei jedoch gar nicht erst durch die Kontrollen gelassen. Die Beamten boten daraufhin einen Einsatzwagen für Durchsagen als Ersatz an. »Wir beugen uns diesem Diktat, bezweifeln aber dessen Rechtmäßigkeit«, sagte Friedensaktivist Monty Schädel während seiner Rede vor den meist jugendlichen Demonstrationsteilnehmern, darunter viele Schüler aus der Region. Es werde versucht, so Schädel, alle NATO-Gegner als Terroristen und Chaoten zu diffamieren. Vor allem die massive Polizeipräsenz habe viele Aktivisten abgeschreckt.

Tatsächlich berichteten Teilnehmer, ein Großteil der Bewohner des Anti-NATO-Camps im benachbarten Strasbourg hätte befürchtet, nach dem Protest in Baden-Baden nicht wieder auf die französische Seite zu gelangen. Im Nachbarland sind etwa 9000 Polizisten im Einsatz. In Süddeutschland wurden sogar über 15000 Beamte aufgeboten; davon allein 5000 in der Stadt Baden-Baden, wo am Freitag abend Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) US-Präsident Barack Obama und die übrigen Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten zum Galadiner empfing. Das eigentliche Gipfeltreffen findet am Samstag in Strasbourg statt.

Wegen des Pakttreffens befindet sich die gesamte Region seit Tagen im Ausnahmezustand. Am Donnerstag abend wurden in Strasbourg 300 Personen nach Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei festgenommen. Etwa 100 von ihnen befanden sich am Freitag nachmittag noch in Untersuchungshaft. Die Polizei hatte Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt. Vermummte errichteten eine Barrikade, zertrümmerten ein Dutzend Bushaltestellen und zündeten mehrere Müllbehälterr an. Reiner Braun vom »Internationalen Koordinierungsgremium« (ICC) erklärte am Freitag auf einer Pressekonferenz, ihm liege eine Videoaufnahme vor, angefertigt von einer Familie aus Strasbourg-Neuhof, die zeige: »Der Hauptteil dieser kleinen Gruppe, 200 Leute, gehört zu einer kriminellen Gang aus Neuhof.« Diese nutzten die Chance, das Camp der NATO-Gegner »für ihre kriminelle Aktionen« zu mißbrauchen.

Die Polizei gab an, es habe bei den Auseinandersetzungen keine Verletzten gegeben. Ein Fotograf der Nachrichtenagentur ddp wurde jedoch nach Angaben der Agentur von einem Gummigeschoß in den Bauch getroffen und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Auch Teilnehmer der Demonstration berichteten gegenüber junge Welt von Verletzten. Dennoch trafen bis Freitag abend immer mehr Menschen im Camp ein. Schätzungsweise 5000 Protestler befanden sich bei jW-Redaktionsschluß auf dem riesigen Areal an der Rue de la Ganzau.

Indes hat das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße die Ausreiseverbote nach Frankreich während des NATO-Gipfels bestätigt. Die Richter wiesen die Eilanträge zweier Deutscher zurück, denen am Grenzübergang Scheibenhardt verweigert wurde, mit ihrem Wohnmobil nach Frankreich auszureisen. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, daß Deutschen nach dem Paßgesetz die Ausreise ins Ausland verboten werden dürfe, wenn die Annahme bestehe, daß »erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet« seien. Im Falle der beiden Antragsteller bestehe Grund zur Annahme, daß sie beabsichtigten, sich in Strasbourg »an möglicherweise gewalttätigen Ausschreitungen« zu beteiligen. Darauf ließen unter anderem schwarze Kleidungsstücke und Schals schließen, die im Fahrzeug sichergestellt worden seien.

Für die am Samstag in Strasbourg geplante Großkundgebung »No War –No NATO« rechnen die Veranstalter mit mehreren zehntausend Teilnehmern. Den Auflagen zufolge dürfen sich die Demonstranten nur auf einer rund sieben Kilometer langen Strecke im Gebiet des Rheinhafens bewegen –weit entfernt von der hermetisch abgeriegelten Innenstadt und dem Kongreßzentrum, wo sich die Staats- und Regierungschefs treffen wollen. Allerdings sind auch vielfältige Blockaden angekündigt.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

zum Verwaltungsgericht "schwarze Kleidungsstücke": heute beobachtet bei der "gespaltenen" Demo, die sich an der Brücke nach Strasbourg staute: Ein PKW (Münchner Nummer!) mit einem Typen, der seine "schwarze Ausstattung" wegsteckte als man ihm zusah. Dem langen Telefonat nach das bruchstückhaft rüberklang, ein deutsch telefonierender Zivilpolizist, der sich über die bevorsetehnde Räumung der Brücke unterrichten ließ.