Autonomes!Castor?Schottern!

Castor schottern

Gedanken einiger autonomer Gruppen zu "Castor?Schottern!"

Mit Freude und gleichzeitiger Skepsis beobachten wir, einige autonome Gruppen, seit Monaten die Kampagne „Castor?Schottern!“. Diese Initiative - hauptsächlich getragen aus Gruppen der Interventionistischen Linken (IL) und verschiedenen Anti-AKW- und Umweltaktivistinnen - setzt sich zum Ziel, wie in z. B. in Heiligendamm, einen breiten Widerstand auf die Beine zu stellen. Die Idee hat ihren Reiz: zu gemeinsamen Sabotageaktionen aufzurufen und dabei über die breite Beteiligung einen Status Quo herzustellen, der es Polizei und Justiz schwer macht, alle zu kriminalisieren, die sich der Aktion auch nur verbal anschließen. Wir, als Autonome Atomkraftgegnerinnen, fühlen uns da gerne angesprochen und freuen uns über die explizite Einladung daran teilzunehmen. Die Großaktion soll ein breiter Zusammenschluss von vielen unterschiedlichen Leuten werden, die in direkter Aktion Staat und Wirtschaft bei ihrem dreckigen Atomkonsens in die Suppe spucken wollen.

 

Freude

Der Aufruf Castor?Schottern! verspricht mehr als z.B. BlockG8 während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm. Damals durfte nach dem Kampagnenkonzept nicht am Sicherheitszaun gerüttelt werden und das wurde von den Organisatorinnen des G8-Bündnisses auch durchgesetzt. Beim diesjährigen Castor soll in einer Massenaktion die Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg für den Castortransport unbefahrbar gemacht werden. Das finden wir ein richtiges Ziel, denn vor den Schienen stehen zu bleiben und dort laut  seinem Unmut Ausdruck zu geben ist zwar wichtig, aber auch frustrierend und wenig effektiv. Die Aktion nimmt ein Mittel auf, dass sich im Wendland bereits bewährt hat, das Schottern. Die Aktionsform ist das erprobte Fünf-Finger-Prinzip - tausende Menschen versuchen zusammen auf die Schienen zu kommen, dort soviel Schotter wie möglich zu entfernen und mit verschiendenen Mitteln die Strecke unbefahrbar zu machen. Alle sind eingeladen mitzumachen, ob Autonome, Bäuerin, Anarchistin oder Umweltaktivistin. Ein gewagtes Projekt, denn bislang haben im Wendland die unterschiedlichen Spektren ihre Aktionen nebeneinander durchgeführt. Das Gemeinsame bestand darin, sich gegenseitig zu akzeptieren und nicht in die Quere zu kommen, also vielfältig die verschiedenen Widerstandsformen nebeneinander stattfinden zu lassen: hier wird gesungen, dort widersetzt, hier Barris gebaut, die von anderen angezündet werden, dort Eier oder Steine geworfen und das alles, ohne, dass es in den vergangenen Jahren innerhalb der Wendländischen- oder Anti-AKW-Protestbewegung zu nachhaltigen Zerwürfnissen gekommen wäre. Diese Akzeptanz und der gegenseitige Respekt wurde in mehr als 30 Jahren Widerstand im Wendland miteinander erstritten (ja, ja, es gibt auch Ausnahmen). Auch dieses Jahr gibt es unterschiedliche Aktionen: WiderSetzen, Xtausend Quer, die Bauern, etc. Mit Castor?Schottern! wird nun versucht viele Menschen, mit unterschiedlicher praktischer Erfahrung und mit unterschiedlichen Widerstandsformen zusammenzuführen. Autonome neben sogenannten Gewaltfreien - hört sich spannend an und wir hoffen auf Solidarität und gegenseitigen Respekt.

 

Laut Aktionskonsens „... werden wir gemeinsam Polizeiabsperrungen überwinden, umgehen oder durch sie hindurchfließen. [...] Ziel ist es, die Schiene unbrauchbar zu machen, und nicht, die Polizei anzugreifen.“ Da können wir uns drunter setzen, denn die kaputte Schiene ist das Ziel der Aktion. Die Frage ist und bleibt, was tun, wenn die Bullen angreifen – und „Aktion des zivilen Ungehorsams“ hin und „gewaltfreie Aktion“ her: die Bullen werden uns angreifen und das nicht zimperlich – sondern mit Schlagstock, Pfefferspray und Wasserwerfer. Denn die Situation im Wendland ist eine andere als beispielsweise bei der Massenaktion in Heiligendamm. Dort führten politische Entscheidungen und Ausweichrouten für Delegationen zu einem gemäßigten Bulleneinsatz bei der BlockG8-Großaktionen. Im Wendland gibt es keine Ausweichstrecke und die politische Entscheidung über Castor Transporte sind von CDUSPDFDPGRÜNE in ihren jeweiligen Legislaturperioden gefällt worden und werden bis heute so vertreten. Der Transport wird durchgeprügelt werden - bleibt also die Frage nach der Verteidigung.

 

Castor?Schottern! gibt die Parole raus: eine Abwehr von anrückenden Polizeikräften ist durchaus erwünscht, „damit genug Zeit auf der Schiene bleibt, um die Strecke tatsächlich unbefahrbar zu machen.“ Auch der Einsatz von Mitteln, die gemeinhin nicht als „gewaltfrei“ gelten sind ausdrücklich erwünscht: wie Schutzkleidung, Polster, Luftmatratzen, Transpis, etc, solange die Grundidee hierdurch nicht torpediert wird und selbstverständlich nicht andere Teilnehmerinnen der Aktion gefährdet werden. Finden wir auch, also daher an alle Ungestümen: keine Steinwürfe aus der 30. Reihe, die nur die eigenen Leute treffen! Der Einsatz von Verteidigungsmitteln muss überlegt und taktisch eingesetzt werden, ob nun Polster, Steine oder Pfefferspray. Erfreulich ist auch, dass das Bündnis Castor?Schottern! sich für Solidarität ausgesprochen hat: Jede, die von den Bullen verfolgt wird, wird Schutz in den Reihen der Großaktion finden, ob es nun jemand ist, der an einer Sitzblockade teilnimmt, zehn Tonnen Schotter wegschafft oder mit taktischen Steinwürfen eine Blockade oder „Castor?Schottern!“ unterstützt. Das war bei vergangenen gemeinsamen Aktionen wie etwa beim Klimagipfel im Kopenhagen nicht immer so. Solidarisches Verhalten untereinander ist aber für uns eine Voraussetzung, gemeinsam Aktionen zu gestalten.

 

Skepsis

Bislang hat der Widerstand im Wendland auch ohne große Unterstützung von Prommi- oder Politprominenz jährlich eine Menge auf die Beine gestellt. Gerade weil der Widerstand selbstorganisiert ist, sind Autonome Gruppen seit Jahrzehnten Teil davon. Ohne eine zentrale Großorganisation haben die unterschiedlichen Basisinitiativen im Wendland und aus der Anti-AKW-Bewegung jahrzehntelang den Protest auf dem regelmäßig stattfindenen „Ratschlag“ gemeinsam organisiert. Wir befürchten durchaus, dass sogenannte Bewegungsmanagerinnen diese basisdemokratische Struktur ins Wanken bringen und dass der Widerstand im Wendland nach den Gipfelprotesten für sie eine neue Spielwiese ist, bei der sie ihre eigenen Spielregeln durchsetzen wollen. Wir fragen uns auch, welchen politischen Sinn die Castor?Schottern!-Großaktion hat, wenn sie sich darauf stützt, dass sich möglichst viele prominente Vertreterinnen von Parteien und öffentlichem Leben der Idee anschließen. Die Erfahrung hat mehr als einmal gezeigt, dass diejenigen, die sich (aus rein populistischen Beweggründen) den Basisbewegungen aufdrängen, diese nach erfolgter Machtbeteiligung klein reden, sich distanzieren und weiteren Widerstand unterbinden und befrieden wollen. Der Einsicht, dass dem so ist, wurde bei der aktuellen Kampagne auf Drängen von Anti-Atom-Initiativen zumindest dahingehend Rechnung getragen, dass die Parteien „Die Grünen“ und die „SPD“ von der Unterstützung der Aktion ausgeschlossen sind. Warum ausgerechnet die „erlaubte“ Unterstützerinnenpartei „Die Linke“ es in Zukunft anders machen sollte, bleibt das Geheimnis des Vorbereitungskreises.

 

Distanzierungen kamen in der Vergangenheit aber nicht nur von der Prominenz, sondern auch von den Sprecherinnen der Großaktionen, nämlich dann, wenn Menschen sich nicht mehr an die Anweisungen der Aktionsordnerinnen halten, sondern ihr Schicksal selbstbestimmt in die Hände nehmen. Weil sie dann vielleicht doch einen Stein oder Farbeier auf Wasserwerfer schmeissen, der tausende von Litern Wasser-Gas-Mischung auf umstehende Mitstreiterinnen richtet. Weil sie dann doch einen Bullen-Wagen am Weiterfahren hindern, der gerade Nachschub an gepanzerten Robo-Cops bringt. Die Wut und Entschlossenheit, sich dem Atomstaat in all seinen Facetten entgegenzustellen und auch diejenigen offensiv anzugreifen, die den Transport mit aller Gewalt durchsetzen, ist bei vielen Aktivistinnen mit jedem weiteren Castortransport nicht kleiner geworden.

 

Und nu?

Was bleibt, ist die Frage, ob es trotzdem Sinn macht, sich als Autonome Gruppe an der Aktion zu beteiligen. Viele Autonome Gruppen bejahen dies, weil das Ziel das Richtige ist und der Aktionskonsens deutlich macht, dass dieses Ziel auch mit verschiedenen Mitteln erreicht werden soll. Der Aktionsrahmen sieht vor, sich entschlossen und selbstbewusst gegen die Staatsbüttel zu verteidigen - was der ganzen Aktion eine reale Chance gibt. Außerfrage steht aber, dass es an der Schiene heftig wird. Diese Aktion wird nicht „gewaltfrei“ ablaufen. Fernsehbilder werden durch Bullenknüppel blutig geschlagene Nasen, durch Pfefferspray gerötete Augen senden, von „autonomen Gewalttätern“ schwafeln und auch den ein oder anderen verletzten Polizisten vor die Kamera bringen. Hoffentlich senden sie auch die Bilder von Menschen, die mit Matratzen, Transpis, Tritten, Steinen und Fäusten die Bullen entschlossen aufhalten, Menschen die tonnenweise Schottersteine entfernen und dem Atomstaat somit seine Grenzen aufzeigen. Und auch von Menschen, die zu ihrer Selbstverteidigung die Bullen auf Distanz halten, damit wirklich kein Schotter übrig bleibt. Ob sich die Kampagne Castor?Schottern! im Nachhinein von diesen Bildern distanziert, wird sich zeigen. Wir hoffen nicht – denn gemeinsam ist gewollt und nur gemeinsam „rocken wir them übelst“.

 

Einige Autonome Gruppen

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Es ist schön zu hören, dass ihr die Aktion von Castor?Schottern! grundsätzlich genauso dufte findet wie wir. Aber wenn dem wirklich so ist, dann hört doch bitte auf den Aktionskonsens, auf den sich dort in einem Prozess von Wochen und Monaten geeinigt wurde, wenige Tage vor der Aktion in Frage zu stellen. Wenn ihr euch bisher nicht in den Prozess eingebracht habt, dann ist es jetzt zu spät am Grundpfeiler der Aktion zu rütteln. Und dieser ist nunmal der Aktionskonsens.

Für ein solidarisches Verhalten bleiben euch in diesem Fall nur noch zwei Optionen übrig:

In der ersten Variante beteiligt ihr euch an der Aktion und respektiert den Aktionskonsens. Denn alles andere wäre Avantgarde-Politik, die mit autonomen Politik- und Lebensansätzen nichts mehr zu tun hat, weil sich eine Minderheit (die glaubt es besser zu wissen) über die Entscheidung der Mehrheit hinweg setzt und die Konsequenzen auf die Schultrn aller Beteiligter abwälzt.

In der zweiten Option macht ihr zeitgleich, aber außerhalb des Aktionsraums von Castor?Schottern! eigene Aktionen, die ihr so gestalten könnt wie ihr wollt. Damit bindet ihr Polizeikräfte und unterstützt auf diese Art indirekt die Massenaktion. Falls es euch dann mit den Bullen zu viel wird, findet ihr auf jeden Fall Schutz in der Castor?Schottern! Aktion. Denn ein solidarisches Verhalten und Respekt für Genossen, die nicht ganz so draufgängerisch sind wie ihr, wird logischer Weise mit Solidarität und Respekt für euch und eure Aktion beantwortet.

Wir werden den Aktionskonsens von Castor?Schottern! jedenfalls respektieren und die Aktion auf die eine, oder andere Art unterstützen. Denn wir sind der Überzeugung, dass Radikalität sich nicht in der Höhe der für eine Aktionsform angedrohten Strafe messen lässt und auch nicht in der Höhe des erzeugten Sachschadens, oder der Zahl verletzter Staatsbüttel. Aber tausende von Menschen zu organisieren, ihre Bedürfnisse, ihre Ängste und auch ihr Mitsprache- und Stimmrecht zu respektieren und am Ende trotzdem gemeinsam und nicht nur symbolisch gegen die Interessen des Kapitals und seines Staates zu kämpfen, das ist wirklich radikal.

Und es hat mit autonomen Politikansätzen auch wesentlich mehr zu tun, als ihr es mit eurer obligatorischen Linkspartei Schelte darzustellen versucht. Wenn ihr auf die Polemik verzichtet, sollte selbst euch klar sein, dass mit einer öffentlich angekündigten Aktion Öffentlichkeit erzeugt werden soll und diese Öffentlichkeit wiederum dazu führen soll, dass es an den Schienen trotz durchgeführter Straftaten kein Massaker seitens der Staatsmacht gibt. So genannte Prominente, ob sie nun aus der Linkspartei, oder Funk und Fernsehen kommen, helfen eine derartige und notwendige Öffentlichkeit zu erzeugen.

In der Hoffnung nächste Woche gemeinsam und tatsächlich solidarisch den Atomstaat zu sabotieren.

Let's rock them übelst!

Wenn ich mit meiner Bezugsgruppe im Aktionsraum von 'Castor?Schottern!' agiere, dann will ich mich auch darauf verlassen können, dass sich andere Gruppen an den Aktionskonsens halten.

Durch Bullenketten zu fließen heißt oft, dass einige Leute hängen bleiben, damit andere durchkommen. In dieser Situation will ich mich darauf verlassen können, dass niemand anfängt Steine zu werfen oder Bullen anzugreifen.

Wenn ich mit einer großen Gruppe von 100 Leute an einer Stelle der Schiene am Schottern bin und die Bullen rücken an, dann will ich mich auch darauf verlassen können, dass keine Schottersteine auf die Bullen fliegen. Und das egal ob unsere Taktik wegtragen lassen, passiv schützen, weglaufen und woanders schottern, oder was auch immer heißt. 

Wenn autonome Gruppen in einem ANDEREN Aktionsraum agieren (Streckenkonzept) und dort einen Wasserwerfer zerlegen und sich Scharmützel mit der Polizei liefern - dann ist mir das recht.  Vielleicht komme ich sogar dazu, bin aber dann anders vorbereitet.

Solidarität heißt den Aktionskonsens eines politischen Zusammenhangs und das Streckenkonzept zu respektieren.

Wird schon einige Polizeiprovokateure geben, die Ihren Job machen werden.......

Andere Aktivisten werden sich wieder auf die Schienen setzen, um den Castorzug aufzuhalten. Einige werden sich an einander ketten, um es der Polizei zu erschweren, sie weg zu tragen. „Wenn wir losgehen, dann steht schon fest, wer sich auf den Gleisen zusammenkettet und wer so wie immer an der normalen Schienenblockade teilnimmt“, erklärte Jens Magerl, ein Sprecher der Initiative „Widersetzen“, der lokalen Elbe-Jeetzel-Zeitung. Denn das Zusammenschließen werde vorher im Camp trainiert, gerade „weil es ein Schritt ist, der doch mehr Überwindung bedeutet, als sich hinzusetzen“.

Distanzieren wolle und werde man sich von der Kampagne „Castor? Schottern!“ nicht, heißt es von »Widersetzen». Man habe mit den Initiatoren der Kampagne »nachbarschaftliche Gespräche geführt», so Magerl, und „festgestellt, dass wir zwei ganz unterschiedliche Aktionsformen anbieten und damit auch unterschiedliche Menschen ansprechen“. Wer „eine Sitzblockade auf den Schienen möchte, der kommt zu uns, zu Widersetzen“, erklärt er, und und „wer schottern will, der geht halt zu den Nachbarn“.