Diese Woche hätte eigentlich der Mitmachkongress „Utopival“ auf einem Gelände zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) stattfinden sollen. Ein Begegnungsraum für knapp 130 Menschen, die sich eine Woche lang gemeinsam bilden und vernetzen wollten. All dies komplett ohne Geld, ressourcenschonend und mit bio-veganer Vollverpflegung. Nach der Hälfte des Camps kam das Ordnungsamt zu Besuch und ließ dieses am nächsten Tag von der Polizei räumen, da angeblich Leib und Leben der anwesenden Menschen durch fehlende Hygienestandards gefährdet sei. Hier findet ihr die Presseerklärung der Teilnehmenden und hier ein Bericht der Taz.
Kurz vor der angekündigten Räumung am 2ten August waren 14 Menschen in die Bäume geklettert, so konnten insgesamt 7 Bäume besetzt werden. Auch am Boden unter den Bäumen hatten sich bunt gekleidete, musizierende Menschen versammelt. Die ersten Stunden verliefen ruhig. Nur zwei Menschen vom Ordnungsamt und eine Försterin schauten immer mal wieder vorbei. Währenddessen wurde gemeinsam musiziert und die im Programm stehenden Workshops in den Bäumen fortgeführt. Gegen Nachmittag kam dann eine Hundertschaft der Polizei vorbei. Die Menschen am Boden waren außerhalb des Geländes und fühlten sich daher dort sicher. Die Polizei trampelte kurzerhand den Zaun nieder und begann Hetzjagden auf die Menschen am Boden, die sich nicht schnell genug entfernen konnten. Die meisten Menschen am Boden wurden so in Gewahrsam genommen und – teilweise – mit auf den Armen verdrehten Rücken und vor Schmerzen schreiend abgeführt.
Die Menschen in den Bäumen blieben noch bis 20 Uhr dort und konnten so das Gelände einen weiteren Tag lang besetzt halten. Um kein Gesundheitsrisiko einzugehen wurde am Abend entschieden, gemeinsam und entschlossen von den Bäumen zu kommen. Davor musste mit angehört werden, wie die Polizei auf dem Gelände randalierte und die Fenster von sämtlichen Häusern einschlug. Angeblich diente dies dazu die verschlossenen Gebäude zu durchsuchen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Häuser aber bereits komplett leer geräumt und keine Menschen mehr auf dem Gelände. Als die Menschen von den Bäumen kamen wurden sie in einem Wanderkessel zum Eingang des Geländes begleitet. Dort stellte die Polizei fest, dass niemand von den 14 Menschen einen Personalausweis dabei hatte und fuhr daher alle zur Identitätsfeststellung auf die Wache nach Frankfurt (Oder). Der Vorwurf lautete Hausfriedensbruch.
Hier ein paar Schilderungen von einzelnen Erlebnissen auf der Fahrt und in der Wache. Bitte seid beim lesen achtsam mit euch – es werden Folter und Polizeigewalt geschildert.
Die Fahrt zur Wache fand für einige in einer Art „mobilen Sauna“ statt. Das innere des Wagens selbst war unterteilt in drei kleine Metallzellen in die sich je vier bzw. zwei Menschen quetschen mussten. Es war unglaublich heiß dort drin. Es gab kein Licht und die Klimaanlage hat nicht funktioniert. Dennoch wurde gemeinsam fröhlich gesungen „36 Grad und es wird noch heißer… das Leben kommt mir gar nicht hart vor…“ oder „… grün-blauer Partybus, schaaalalala…“.
Auf der Wache wurden die Menschen, insgesamt wurden an diesem Tag 26 Menschen festgenommen, teilweise in Gruppenzellen und in Einzelzellen gesperrt. Die Zellen waren leere, gefließte Räume mit Holzpritschen, Neonlicht und vergitterten Milchglasfenstern. Einigen wurde am Anfang das Recht auf Wasser verwehrt mit dem Spruch „Keine Identität, keine Rechte“. Die meisten kamen am selben Abend wieder raus, eine Hand voll Menschen wurden bis zum nächsten Morgen insgesamt 15 Stunden (die rechtliche Grenze liegt bei 12 Stunden) auf der Wache festgehalten und dann ohne erkennungsdienstliche Behandlung und ohne Personalienangabe freigelassen.
Währenddessen wurde immer wieder versucht Menschen psychisch unter Druck zu setzen. Wenn Menschen alleine in einer Zelle waren wurde ihnen erzählt, dass alle anderen Personalien angegeben hätten und schon wieder draußen wären. Sie selbst wären die letzten. Diese Lügen konnten zum Glück durch gemeinsames Wolfsgeheul und gegen Zellentüren trommeln aufgedeckt werden. Einzelne Personen wurden – teilweise unter Anwendung von Schmerzgriffen – ins Polizeibüro gebracht. Dort saßen sie umringt von mehreren großen, männlichen Polizisten, wurden angebrüllt und ihnen wurde erzählt, dass sie dazu verpflichtet sind eine Aussage zu machen. Während der Nacht wurde die ganze Zeit das grelle Neonlicht an der Zellendecke angelassen. Zum Schlafen gab es nur eine karge Pritsche und dünne, weiße Fließdecken (die im übrigen nach einmaliger Benutzung weggeschmissen wurden). Während der gesamten 14 Stunden hat niemand etwas zu essen bekommen, niemand durfte telefonieren und niemand wurde über die eigenen Rechte aufgeklärt. Bis ein, halb zwei Uhr nachts kamen immer wieder Polizist*innen in die Zellen, haben einzelne Menschen ins Büro geführt, angebrüllt und angelogen. Schlafentzug ist eine sogenannte „weiße“ Foltermethode. „Weiß“ deswegen, weil sie keine sichtbaren körperlichen Spuren hinterlässt, sondern nur psychisch unter Druck setzt.
Eins möchte ich dabei klarstellen: Dies war kein außergewöhnlich grausamer Aufenthalt in Polizeigewahrsam. Mit Sicherheit war es für viele Menschen traumatisierend und eine extrem leidvolle Erfahrung. Aber dies ist auf deutschen Polizeirevieren keine Ausnahme, sondern Alltag für all die Menschen, die politisch nicht in den Rahmen passen oder bspw. von strukturellem Rassismus betroffen sind.
Letzendlich sind alle Menschen wieder freigelassen worden. Vor der Wache warteten solidarische Unterstützer*innen die ganze Nacht lang mit Decken, Trinken, Essen und Schokolade. Alle Menschen konnten an den Ort ihrer Wahl fahren oder gefahren werden und das Utopival im Herzen weiterleben.
Stellungsnahme vom Orga-Team!?
Laut ND gab es eine richtig beschissene Stellungsnahme des Orga-Teams des Treffens:
"Laura vom »utopival«-Team teilt die Ansicht des Amtsdirektors, der den Beamten besonnenes, professionelles Handeln bescheinigte. »Die haben ihren Job gemacht«, sagte sie. Und sie distanzierte sich von den Baumbesetzern."
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1059501.die-utopie-weicht-dem-o...
Wohl nur die Meinung einer einzelnen Person
Das war nur die Meinung einer einzelnen Person und keine "offizielle" Stellungnahme des Orga-Teams. Und ja, die Stellungnahme von Laura ist wirklich ziemlich beschissen. Ich frage mich auch zu welchem Zeitpunkt sie das gesagt hat und ob sie es wirklich so gemeint hat, wie es wieder gegeben wurde. Könnte mir vorstellen, dass sie es einfach aus Unwissenheit wie sowas von der Zeitung zitiert wird unglücklich formuliert hat.