Leipziger Südvorstadt versank am 12. Dezember 2015 in Krawallen

Leipziger Südvorstadt versank am 12. Dezember 2015 in Krawallen

PHKin Maria Braunsdorf, Polizeidirektion Leipzig - An dem kühlen aber sonnigen Samstagnachmittag zogen etwa 170 Demonstranten eines rechten Bündnisses unter dem Leitspruch: „Für Recht und Ordnung in unserer Heimat — Für Frieden und Völkerfreundschaft“ hetzend durch die Leipziger Südvorstadt. Obwohl sie nach dem ca. einstündigen Aufzug umgehend abreisten, erlebte Leipzig an dem 12. Dezember den seit Jahren schlimmsten Gewaltausbruch bei Demonstrationen. Dieser ging mit dem Schlagwort „Leipzig 12/12" durch die deutsche Medienlandschaft und steht symbolisch für enthemmte Aggression gegen Polizistinnen und Polizisten. Die Bilder brennender Barrikaden, Pflastersteinsalven und schmorender Autos ließen den ursprünglichen Anlass der Gegendemonstrationen in Vergessenheit geraten: Menschlichkeit, Mitgefühl und Toleranz. Wie konnte es dazu kommen?

 

„Wir wurden nicht als Menschen angesehen, man sah nicht, dass wir eine Familie haben, die zu Hause auf uns oder auf ein Zeichen des geliebten Menschen wartet. Man sah auch nicht die Angst in unseren Gesichtern, die Unfähigkeit, das zu verstehen, was gerade geschieht. Teilweise gelähmt von der Szenerie, die uns dort entgegenschlug, verrichteten wir unseren Dienst. [...] An diesem Tag war unsere Uniform für diese Gewalt lediglich eine Hülle. Keine Frauen und Männer aus Fleisch und Blut, keine Mütter und Väter, Töchter und Söhne. Nur eine Puppe, ...“ (Stimme einer Einsatzbeamtin)

Hintergrund: Die „Offensive für Deutschland" (OfD), Thügida und die Partei „Die Rechte" hatten für diesen Tag drei sternförmig verlaufende Aufzüge in bzw. nahe dem alternativ geprägten Stadtteil Connewitz angemeldet – eine klare Provokation für viele seiner Bewohner. Es brodelte in der Leipziger Bürgerschaft, doch insbesondere in der linksextremen Szene. Nach Bekanntwerden der Anmeldungen veröffentlichten Sympathisanten und Gegner deutschlandweit teils martialische Mobilisierungsaufrufe:

  • „Am 12. Dezember alle Nazis angreifen, überall! Hetzjagd auf Kurth!" (Linksunten.indymedia.org)
  • „Ihr Antifas kommet, oh kommst doch all!" (ANTIFA e.V. auf Facebook gepostet) und kommentiert: „Wir Hamburger kommen gern und bringen das eine oder andere Partygimmick mit.“
  • „Connewitz in Schutt und Asche legen" (neonazistische Kameradschaftsszene)
  • „Am 12. Dezember sind wir zu Gast bei Freunden, und zwar bei wahren Freunden. Da demonstriert unter anderem die Partei „Die Rechte Sachsen" in Leipzig-Connewitz. Wir lassen uns keinen Stadtteil von diesen roten antideutschen Volksfeinden mehr wegnehmen. Dies ist unser Land. Wir bleiben hier (...)“ (Mobilisierungsvideo im internet „Die Rechte Sachsen“)

Aus den Erfahrungen des unfriedlich verlaufenen OfD-Aufzugs vom 26. September 2015 prognostizierte die Polizeidirektion Leipzig neuerliche Ausschreitungen und erwirkte bei den Kooperationsgesprächen der Versammlungsbehörde mit den Anmeldern der drei Aufzüge deren Verschmelzung. So liefen Sympathisanten des rechten Bündnisses ausschließlich auf einer verkürzten Strecke in der Leipziger Südvorstadt. Indes hatten Bürgerbündnisse und zahlreiche Initiatoren acht Protestveranstaltungen angekündigt. Doch blieb ihr Protest gegen Rassismus und Nationalismus durch die Gewaltexzesse von Linksautonomen, die in den Straßen des Stadtviertels wüteten, weitestgehend ungehört. Aus Sicht mancher dieser Demonstranten verhinderte ihre konsequente Trennung vom Aufzug der Rechten die Möglichkeit, ein wirksames Zeichen in Hör- und Sichtweite setzen zu können. Dies wurde nach dem Geschehen als Erklärungsversuch für die irrsinnige Gewalt angeführt, die sich letztlich nur noch gegen die Polizeieinsatzkräfte richtete. Somit versank das Anliegen der Gründer des Protests, „dringend den Grundsatz der Friedlichen Revolution zu beachten: Keine Gewalt!“, in den mehrstündigen Ausschreitungen und im „offenen Straßenterror“ (Zitat: OBM Leipzig Burkhard Jung), der ausschließlich darauf ausgerichtet war zu zerstören und zu verletzen. Damit waren auch die im Aufruf eines Aktionsnetzwerkes postulierten Grenzen weit überschritten: „Wir rufen dazu auf, euch den Protestaktionen am 12.12. anzuschließen. Seid in Gruppen unterwegs, seid kreativ und deutlich! Lasst euch nicht auf die Provokationen ein, sondern tretet den Neonazis gewaltfrei und mit Mitteln des zivilen Ungehorsams entgegen!“

„Wir schauten in den Himmel und sahen dutzende faustgroße Pflastersteine auf uns zukommen, suchten uns Deckung, versuchten, das Unvermeidliche abzuwehren‚ indem wir unsere Schilde in die Höhe hielten. Wir liefen durch die von Reizgas durchzogenen Straßen, mit flacher Atmung, tränenden Augen, auf den Moment wartend, an dem wir wieder tief durchatmen konnten. Wir standen unter dem Strahl des Wasserwerfers, mit durchtränkter Kleidung, das Visier von unserem eigenen warmen Atem beschlagen, der Kälte, die uns in die Glieder kroch, der Gänsehaut am Körper. Wir löschten brennende Container und beräumten diese. Wir schrien, wir ließen uns anschreien. Wir rannten ins Geschehen und wir zogen uns zurück – doch gewillt, der Lage Herr zu werden. Man hört von sämtlichen Seiten: ‚War doch klar, dass das passieren wird.‘ NEIN! DAMIT HATTEN WIR NICHT GERECHNET (Stimme einer Einsatzbeamtin (gekürzt) – PMin Hentzschel)

Angesichts des Gewaltexzesses wäre es nicht nur wünschenswert, sondern auch moralische Pflicht der friedlichen Demonstranten gewesen, sich deutlicher von den Gewalttätern abzugrenzen. Es wäre von ihnen – die aufgerufen hatten, der „völkischen Erweckung“ entgegenzutreten‚ zu erwarten gewesen, den Linksautonomen den Schutz der Menge zu verweigern, ihnen die Möglichkeit zu nehmen, aus der friedlichen Menge heraus zu operieren; insbesondere in den Momenten, in denen der Einsatz von Zwangsmitteln durch die Polizei unumgänglich wurde, um endlich die Straßen der Südvorstadt zu befrieden und „Herr der Lage“ zu werden.

„Es ist schwer in Worte zu fassen, was wir gefühlt haben, als wir nur drei, vier Straßenzüge entfernt in einem fast verlassenen Raumschutzbereich unseren Auftrag erfüllt haben, während drei schwarze Rauchsäulen über dem Leipziger Stadtteil Connewitz standen, wir im Minutentakt die Abschüsse der MZP gehört haben und über Funk hektische Statusmeldungen über verletzte Kollegen, vor einer Hintergrundgeräuschkulisse, die eher an einen Kriegsschauplatz als einen Leipziger Stadtteil erinnerte, eingingen.
Natürlich war auch unser Auftrag aus polizeitaktischer Sicht wohl berechtigt, wie die in regelmäßigen Abständen auftauchenden ‚Fahrradkundschafter‘ bewiesen. Dennoch brannte in uns der Wunsch, Euch andere ‚da drinnen‘ unterstützen zu wollen. Als wir dann kurz vor Elnsetzende doch noch in die Nähe der heißen Zone verlegen konnten, erahnten wir schon eine Kreuzung vorher durch Augen- und Nasenreaktion, sowie der Reaktion der Pferde auf die Luft, was da vor sich gehen musste. Es ist unfassbar, wie gewalttätig gerade Menschen aus einem politischen Lager, welches sich in der Öffentlichkeit so gern Toleranz, Nächstenliebe und Menschenwürde auf die Fahnen schreibt, aus blankem Hass und unbeherrschter Wut auf andere Menschen losgehen. An dieser Stelle noch einmal unseren tiefsten Respekt und unsere Anerkennung für alle eingesetzten Kräfte, welche ohne zu übertreiben am 12.12.2015 ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben.“ (Stimme aus der Polizeirefterstaffel — PK S. Pilko)

Damit war das so wichtige gesellschaftliche Zeichen für Menschlichkeit aufgrund der erzwungenen polizeilichen Handlungen mit betroffen und folglich auch friedliche Demonstranten von polizeilichem Handeln berührt. Das führte zu einer lang nachwirkenden Debatte, bei der Werte unseres demokratischen Selbstverständnisses in Frage standen: mehr als 50 Verstöße gegen das Strafrecht, 23 Gewahrsamnahmen. 69 verletzte Polizisten, zahlreiche verletzte Protestteilnehmer, 50 beschädigte Fahrzeuge, zerstörte Straßenzüge, ein von Schottersteinen leergeräumtes Gleisbett‚ aufgerissene und „geplünderte“ Kopfsteinpflastenwege, verbrannte Container, rauchgeschwängerte Luft. Die Wogen in Politik und Gesellschaft schlugen im Anschluss hoch; insbesondere als später die Frage nach den Verantwortlichen für diese heftigen Ausschreitungen in der bereits von politischen und journalistischen Statements gefärbten Gesellschaft gestellt und auf der Suche nach dem „Schuldigen“ niemand geschont wurde. Doch war diese Entwicklung tatsächlich so unabsehbar? Hatte an diesem Tag unser Verständnis für Demokratie versagt? Als mit dem Mittel der Kleinen Anfragen im Sächsischen Landtag – einem der wirksamsten Instrumente parlamentarischer Kontrolle — nach Erklärungen gesucht und überwiegend die Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns in Frage gestellt wurde, rückten folgende Fragen in den Vordergrund: War die Polizei an dem Gewaltexzess Schuld? Leg die Schuld bei den Verantwortlichen der Stadt? Mögen diese Fragen auch ihre Berechtigung haben, ist doch der alleinige Blick in diese Richtung zu einfach. Muss sich nicht auch derjenige, der seinen politischen und moralischen Überzeugungen folgt und zum Protest aufruft, der Folgen und der sich daraus ergebenden Verantwortung bewusst sein? Inwieweit darf Gewalt oder auch ziviler Ungehorsam legitimiert werden und wie viel hält eine Demokratie davon aus? Tragen wir nicht alle dafür Verantwortung, wie wir zusammenleben, gleich welcher politischen Gesinnung, solange sie nicht die Grundfesten der Menschlichkeit und Würde erschüttert? Wir alle suchen nach Antworten, gerade in dieser Zeit, in der zumeist ein polarisierter Diskurs stattfindet.

 

 


 

Zeitschrift für die Polizei Sachsen 1/2016, Seite 10-11
Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium des Innern, Abteilung 3 Redaktion: Carol Rühle, Referentin Öffentlichkeistarbeit (V.i.S.d.P.)
Druckerei: Druckzone Cottbus

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Super O-Töne hat die Autorin da niedergeschrieben :-)

naja den geistigen Dünnschiss von Einsatzhunderschaftsführern wiederzugeben ist jetzt wirklich keine Heldentat.

Komischerweise kann man alle Vorwürfe welche Sie gegen die linke Szene erhebt ihr genauso vorhalten. Immer wieder interessant wie die wirklich gut ausgebildeten und auch ideologisch geschulten Beamten der BFEs sich als fühlende Menschen inzenieren wollen, dann aber von "Aufträgen" und "Strassen Bereinigung" sprechen wenn Sie Menschen bewusstlos prügeln und mit Tränengas beschiessen.

Lustig auch, dass sie über ihr eigenes Reizgas und ihre eigene Wassersalven jammern:

Wir liefen durch die von Reizgas durchzogenen Straßen, mit flacher Atmung, tränenden Augen, auf den Moment wartend, an dem wir wieder tief durchatmen konnten. Wir standen unter dem Strahl des Wasserwerfers, mit durchtränkter Kleidung...