[NMS] Nazis eine Plattform geben? Offener Brief an den Holsteinischen Courier

Keine Bühne dem Rechtsextremismus

Folgenden Leserbrief haben wir der Redaktion des Holsteinischen Couriers, die unlängst einen Leserbrief des NPD-Nazis Mark Proch abdruckte, vor mehr als einer Woche zugeschickt. Die Zeitung hat bis heute nicht darauf geantwortet oder in irgendeiner Form erkennen lassen, dass sie ihre Position zur Frage, ob Nazis eine Plattform gegeben werden sollte, diskutieren oder gar überdenken möchte.

 

Wer sich ebenfalls an den Courier wenden möchte, um zu dieser Frage Stellung zu beziehen, kann gerne eine Email an redaktion@shz.de oder redaktion.neumuenster@shz.de schicken.

 

Liebe Redaktion des Holsteinischen Couriers,

Andreas Speit warnte schon 2014 in seinem Artikel „Klimaveränderung“ in der Zeitschrift der rechte rand vor dem folgenden „diskursiven Effekt“: Die steigende Popularität von Rechtspopulist*innen und extrem rechten Parteien in Europa treibe auch die bürgerlichen Parteien vor sich her, sie würden aus Angst, Parteien wie die NPD oder vor allem die AfD könnten ihnen das Wasser abgraben, einige ihrer Positionen in das eigene Programm aufnehmen oder unmittelbar in Beschlüsse einfließen zu lassen (als Beispiel nennt Speit die von SPD und CDU/CSU eingebrachte Gesetzesänderung zur Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien, vgl. http://www.der-rechte-rand.de/wp-content/uploads/drr_149.pdf) In Neumünster scheint aber auch die Lokalpresse in Form Ihrer Zeitung diesem diskursiven Effekt zu unterliegen: Am Donnerstag, den 10.11.2016, veröffentlichten Sie einen Leserbrief des NPD-Nazis Mark Michael Proch. Von einem Hinweis, dass die Meinungen der Leser*innen nicht die der Zeitung darstellen, fehlt jede Spur. Sie behalten sich zwar die Ablehnung von Leserbriefen vor, sahen in diesem Fall offensichtlich aber keinen Grund dafür – anders als bei zahlreichen Leserbriefen des „Bündnis gegen Rechts“. In einem Fall wurde ein antifaschistischer Leserbrief abgelehnt, weil er unter Angabe eines Postfaches eingereicht wurde – in Prochs Fall scheint auch das kein Problem darzustellen, genau so wie Sie auch darüber hinaus keine Probleme zu haben scheinen, überzeugten Nazis eine Plattform zu bieten.

Diese Entwicklung betrachten wir mit Sorge. Die demokratischen Parteien hatten bei Einzug des NPD-Nazis Proch vereinbart, „sich nicht mit dem Vertreter der Rechtsextremisten auseinanderzusetzen“ (Zitat aus Ihrem Artikel http://www.shz.de/lokales/holsteinischer-courier/ein-novum-die-erste-erwiderung-auf-den-npd-mann-id14260001.html), was dann auch drei Jahre lang klappte – ebenso wie Sie Proch keine Stimme gab. Dies änderte sich im Sommer 2016, als zum ersten Mal eine Erwiderung auf einen Redebeitrag des NPD-Nazis erfolgte, bzw. auch der Courier die extrem rechte Argumentation wiedergab und sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Die Nazis waren dementsprechend begeistert, sie jubelten „Schweigespirale durchbrochen: Medien berichten über die Ratsarbeit!“ und „Ratsversammlung setzt sich erstmals inhaltlich mit den Forderungen der NPD auseinander!“. Nun setzen Sie noch einen drauf, indem Sie Mark Michael Proch unkommentiert das Wort geben – eine Tendenz, die derzeit in Deutschland mehrfach zu beobachten ist. Im sächsischen Bautzen setzte sich der Oberbürgermeister Ahrens mit den selben Nazis, die in den vergangenen Monaten Hetzjagden auf Geflüchtete veranstaltet hatten, an einen Tisch. Er rechtfertigte diesen durchaus umstrittenen Dialog mit den Argumenten, die Nazis, die er als „rechtsorientierte Bürger“ verharmloste, seien schließlich zu „einem kultivierten Dialog fähig“ (vgl. http://www.deutschlandfunk.de/nach-der-hetzjagd-auf-fluechtlinge-bautzen-kommt-nicht-zur.862.de.html?dram:article_id=371053).

Nazis aber unkommentiert und völlig unkritisch eine Plattform zu geben, kann gefährliche Auswirkungen haben. In erster Linie werden ihre menschenverachtenden Positionen banalisiert und als Meinungen wie jede andere dargestellt, sie werden damit alltäglicher und nicht zuletzt wählbarer – nicht zuletzt Hannah Arendt warnte eindringlich vor der „Banalität des Bösen“. Die Antifa Treptow mahnt: „Lügen, Halbwahrheiten und Verleumdungen, die ganze Menschengruppen beleidigen und zu Sündenböcken stempeln, Hass gegen sie schüren, ihre Diskriminierung, Ausrottung oder Tötung propagieren, müssen nicht diskutiert werden“ (vgl. http://shutdown.blogsport.de/texte/mum-said-dont-talk-to-idiots-warum-wir-nicht-mit-nazis-reden-antifa-treptow).

 

Diese Position vertraten lange Zeit auch bürgerliche Kräfte, 1999 schrieb der Anzeigenleiter der Kieler Nachrichten, nachdem die Zeitung aus Versehen die Todesanzeige eines Nazis veröffentlicht hatte: „Gleichwohl ist es nicht nur unerfreulich, sondern in höchstem Maße bedauerlich, dass wir diese Anzeige veröffentlicht haben. Sie verstehen sicherlich, dass uns nichts ferner liegt, als durch die Veröffentlichung solcher Kürzel den neofaschistischen Gedanken und den neofaschistischen Umtrieben Vorschub zu leisten.“

Dass Nazis z.T. nun auch in der Ratsversammlung oder anderen Parlamenten sitzen, sie ihre Positionen „kultiviert“ verpacken können, macht sie nicht weniger rassistisch oder antisemitisch, mindert nicht ihre Bewunderung für Hitler oder den Holocaust, und legitimiert in keiner Weise ihre menschenverachtenden Positionen. Faschismus bleibt ein Verbrechen, und gerade die Presse, der eigentlich eine investigative und aufklärerische Funktion in einer wehrhaften Demokratie zukommt, sollte dies aus eigenem Interesse nicht vergessen: Das letzte Mal, als der Widerstand gegen die Nazis aufgegeben wurde, weil sie durch Wahlen legitimiert wurden, wurden als eine der ersten Maßnahmen die Presse gleichgeschaltet, von den anderen Folgen der nationalsozialistischen Diktatur ganz zu schweigen. Wenn Proch in diesem abgedruckten Leserbrief nun vermeintlich unpolitisch schreibt, d.h. nicht explizit nationalsozialistische, rassistische oder antisemitische Positionen zum Audruck kommen, spielt der Leserbrief als öffentliche Äußerung eines NPD-Funktionärs dennoch eine strategische Rolle in ihrem Wahlkampf und auf dem von ihnen erhofften Weg zur Macht.

Wir hoffen, Sie mit dieser Email zum Nachdenken anzuregen und freuen uns auf eine Antwort Ihrerseits innerhalb einer Woche, mit freundlichen Grüßen

Antifaschistische Aktion Neumünster

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shz.de - Nachrichten aus Schleswig-Holstein  Wir geben niemandem unkommentiert eine Plattform. Der Leserbrief von Mark Michael Proch war sachlich verfasst und bezog sich auf einen Vorfall, den die Polizei im Zusammenhang mit einer Demonstration in ihrer Pressemitteilung nicht erwähnt hatte. Auf Nachfrage bei der Polizei wurde der von Herrn Proch geschilderte Vorfall bestätigt. Wir haben also dadurch unsere Berichterstattung über die Demo ergänzt. Es ist unsere Arbeit, Sachverhalte aufzuklären und Informationen nachzugehen. Und nichts anderes haben wir getan.
Die Ratsversammlung hatte sich selbst auferlegt, nicht über Herrn Proch zu sprechen. Ein Mitglied hat diese Vereinbarung gebrochen. Selbstverständlich berichten wir als Lokalzeitung über die Vorgänge der Ratsversammlung und verschweigen nicht, was dort passiert. Die Bürger wollen wissen, was in ihren Gremien passiert und wir berichten darüber. Auch das gehört zu unserer Arbeit.
Liebe Grüße aus der Redaktion

 

Antifaschistische Aktion Neumünster Besser spät als nie - vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Leider scheint unsere Email jedoch keinen Reflexionsprozess in Ihrer Redaktion angestoßen zu haben. Zweifellos sind viele der von Ihnen getätigten Aussagen korrekt, gerade die in Zusammenhang mit der Frage nach dem Umgang mit Nazi-Beiträgen vorgebrachten Argumente hinken aber. Insbesondere schreiben Sie: "Wir geben niemandem unkommentiert eine Plattform." Das ist faktisch falsch, dem NPD-Nazi Mark Proch gaben Sie das Wort. Nun ist ja beispielsweise in Deutschland auch der Verkauf von "Mein Kampf" nicht mehr strafbar, allerdings kommt das Buch dann in einer kommentierten Auflage daher, die darauf zielt, die Nazipropaganda zu analyisieren und damit zu entlarven. Sie hingegen verzichteten darauf, Prochs Leserbrief kritisch zu begleiten oder sinnvoll einzubetten, und das anscheinend ganz bewusst, rechtfertigen Sie dieses Vorgehen doch wie folgt: "Wir haben also dadurch unsere Berichterstattung über die Demo ergänzt. Es ist unsere Arbeit, Sachverhalte aufzuklären und Informationen nachzugehen." Auch wenn überhaupt nichts dagegen spricht, die Berichterstattung zu ergänzen, also "Aufklärung" zu betreiben, ist doch die Frage, ob es der richtige Weg war, zu diesem Zwecke einem Hitler-Verehrer und Rassisten, dessen Weltbild dem der "Anti-Aufklärung" entspricht, das Wort zu erteilen. Viele Ihrer freien Mitarbeiter*innen, die nach der Zahl der abgedruckten Wörter entlohnt werden, hätte sich sicherlich gefreut, zu diesem Thema ernsthaft recherchieren zu können. Auf Ihr Argument, dass der "Leserbrief von Mark Michael Proch ... sachlich verfasst" war, waren wir bereits in unserer Email eingegangen - Nazis in Nadelstreifen bleiben doch Nazis, und auch wenn Sie noch so laut "Meinung" schreien mögen, bleibt Faschismus ein Verbrechen. Mit freundlichen Grüßen

Antifaschistische Aktion Neumünster