Die Kommenden Aufgaben

Fight Fortress Europe

Dieser Text bietet keine umfassende Wahrheit und keine endgültige Anweisungen. In permanenter Konfliktualität müssen wir auch an eigenen und fremden Texten immer weiterarbeiten, aktualisieren, vertiefen und vielleicht auch zu den Akten legen. Fehler sollen kritisiert werden, Missverständnisse aufgezeigt, logische Fehlschlüsse richtig gestellt und Verkürzungen erweitert werden.

 

Menschen sind entfremdet von sich selbst. Menschen werden unterdrückt. Menschen werden versklavt. Menschen werden eingesperrt. Menschen werden umgebracht. 

„Soziale Brennpunkte“, „No-Go-Areas“, Fabriken, Gefägnisse, Grenzen.
Fremdenfeindliche Regierungspolitik, rassistische Parteien, faschistische Aufmärsche, Terror gegen Menschen, die nicht als „deutsch“ passieren, Menschen mit Kopftuch, Menschen, die sich gegen diesen Terror wehren.

Und das ist nur ein Teil der Scheiße, die gerade passiert. Zwar wurden teilweise Erfolge gegen die Rassist*innen erzielt. Flüchtende schafften es im Sommer 2015 gegen alle Hindernisse in einem großen Marsch von Griechenland nach Deutschland zu kommen. Pegida-Aufmärsche in vielen Städten wurden bekämpft und verhindert und verschwanden zum Teil wieder. Immer wieder wurden Gebäude besetzt um sogenannte „Soziale Zentren“ zu schaffen. Am Lageso in Berlin haben Menschen verhindert das Allerschlimmste versucht zu verhindern und vielen Menschen gegen den Widerstand von Behörden geholfen.
Doch immer öfter können rassistische Aufmärsche störungsfrei ihren Hass verbreiten, wie man es zum Beispiel in Duisburg oder Dresden sehen kann (auch wenn es dort hin und wieder Gegenveranstaltungen und Sitzblockaden gibt) oder in Berlin am 12.03 als 2000-3000 Rassist*innen durch Berlin ziehen ohne auf nennenswerte Gegenwehr zu stoßen. Es gibt immer noch keine Lösung gegen hunderte Angriffe gegen Wohnheime von Flüchtenden (und nein, Forderungen an den Staat sich um das Problem zu kümmern ist keine Lösung!). Das Asylrecht für alle paar Monate verschärft und es gibt zwar Kritik aus den Reihen der Gegner*innen dieser Gesetze, aber nach ein paar trotzigen Demonstrationen, wird auch dieses Thema abgehakt. Die EU und die Türkei handeln einen so menschenfeindlichen Deal aus, dass sich sogar die UNHCR dagegen wehrt und doch findet sich die Wut, die in so vielen Antirassist*innen immer weiter anwächst, selten auf der Straße wieder. Immer mehr Grenzzäune werden auf den Fluchtwegen gebaut, die sich die Menschen auf der Flucht vor Terror, Armut und Tod, gesucht haben. Immer mehr Polizist*innen werden dort postiert. Immer mehr „Abschiebegefängnisse“ (sogenannte Hotspots) werden gebaut. Die Flüchtenden, die es schaffen durchzubrechen durch diese Festungsmauern, werden unter menschenfeindlichen Bedingungen in alten Schulen, Behörden Turnhallen, Supermärkten eingesperrt. Zwar gibt es fast überall Initiativen um den Menschen in diesen „Unterkünften“ helfen, doch ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein, von gewalttätigen „Sicherheitsdiensten“, mangelnder ärztlicher Versorgung, dreckigen Unterkünften, Nicht-Existenz von sicheren Rückzugsräumen, schlechter Essensversorgung zu Kürzungen bei den Flüchtenden zustehendem Geld (welches für das Überleben im Kapitalismus lebenswichtig ist), bis zu der Verweigerung die Familien der Flüchtenden zu retten und dem staatlichen Diebstahl des sprichwörtlichen letzten Hemdes der Flüchtenden.
Gerade jetzt ist es wichtig, dass Anarchisten ihren Kampf für eine herrschaftsfreie Welt verstärken. Um Malatestas Worte zu verwenden: „Es mag sein, dass die gegenwärtigen Ereignisse gezeigt haben, dass nationale Gefühle lebendiger, Gefühle internationaler Bruderschaft hingegen schwächer verwurzelt sind, als wir dachten; aber das sollte ein Grund mehr sein, unsere antipatriotische Propaganda zu verstärken, anstatt sie aufzugeben“1. Gerade jetzt müssen wir unsere Anstrengungen verstärken Konflikte noch weiter zu eröffnen, wir müssen aktiv in Diskurse hineingehen und Widersprüche hervorzuheben und die Herrschaft weiter destabilisieren2. Mit aller Kraft unser Analysen und unser Theorien müssen wir aktiv in die Räume hineingehen, auf die Strasse, in Diskussionen. Wir müssen unsere Aktionen ausweiten und diese mit Kritik, Analyse und Theorien begleiten. Wir müssen ein Verständnis schaffen für die kommenden Aktionen.
Doch Aktionen gegen staatlichen und nichtstaatlichen Rassismus sind nicht die einzigen Aufgaben wir haben. Wir müssen uns weiter vernetzen, vernetzen mit anderen marginalisierten Gruppen, Flüchtende allgemein, weibliche Flüchtende, Person of Color, Women of Color, Frauen mit Kopftuch,... Dabei ist es wichtig, dass die einzelnen Gruppen so unabhängig und selbstbestimmt agieren können, wie nur möglich. Wir können Räume zur Verfügung stellen, Arbeitskraft, Unterstützung bei Veranstaltungen, doch dürfen wir niemals die Diskurse anderer marginalisierter Gruppen bestimmen. In gemeinsamer Zusammenarbeit können wir an einer herrschaftsfreien Alternative arbeiten.
Wir können nicht warten auf irgendeine Legitimierung von „oben“. Durch diese Legitimierung verlieren wir die Möglichkeit die Stützen dieser Gesellschaft einzureißen. Durch eine Legitimierung würden wir uns zu den heuchlerischen „Antifaschist*innen“ und Demokrat*innen von SPD, Grüne, zu den verräterischen Parteilinken und anderen autoritären Kommunist*innen. Ich verweigere mich auch dem Kampf für Pässe, Arbeitserlaubnisse, etc. Diese weiten die Herrschaft des Staates nur auf noch mehr Menschen aus. Wir müssen aktive und kritische Solidarität zeigen mit jedem Aufstand, der an der Herrschaft von Menschen, System und Institutionen rüttelt. Wir können den Kampf nur gewinnen, wenn wir gemeinsam mit den anderen Eingesperrten und Unterdrückten die Schwachstellen in den Mauern suchen, die uns umgeben. Das heißt wir müssen die Mauern erkennen und verstehen und dann aktiv dagegen vorgehen.

Es kann keine Aktion ohne Theorie und keine Theorie ohne Aktion geben, sondern beides ist untrennbar miteinander verbunden.
Es kann keine Aktionen mit bürgerlichen und autoritären Kräften geben, denn dies wäre ein Verrat unserer Ziele und führt nicht zu einer herrschaftsfreien Welt.
Es kann keine Aktion ohne Individuen geben, denn die einzelnen Menschen bringen die Talente und Fähigkeiten mit, die wir brauchen.
Es kann keine Aktion ohne Zusammenarbeit geben, denn je mehr Menschen sich verbinden um die Grundfesten unserer Zivilisation zu zerstören, desto näher dringt der Abriss der Herrschaft über uns.
Es kann keine Aktionen geben, die beschränkt auf eine „Front“ sind, wir müssen uns solidarisch zeigen mit Angriffen gegen die Herrschaft, die unser ganzes Leben und alle Menschen betrifft, deshalb muss die Herrschaft auch überall angegriffen werden.

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Ich verweigere mich auch dem Kampf für Pässe, Arbeitserlaubnisse, etc. Diese weiten die Herrschaft des Staates nur auf noch mehr Menschen aus.

 

Selten habe ich ähnlich arrogante Sätze gelesen. Hast du deinen eigenen deutschen Pass und alle anderen staatlichen Dokumente schon verbrennt? Dann würde die Herrschaft des Staates einen Menschen weniger betreffen, nach deiner hanebüchenen Logik. Und lass doch bitte die "marginalisierten Gruppen, Flüchtende[n] allgemein, weibliche[n] Flüchtende[n], Person[s] of Color, Women of Color, Frauen mit Kopftuch" in Ruhe, die meisten davon kämpfen nämlich schlichtweg, um ihre Situation zu verbessern, und brauchen keine ultraradikale Avantgarde, die sie als revolutionäre Subjekte romantisiert und ihnen den Aufstand predigt.

Danke für deine Anmerkungen, obwohl ich eine freundlicheren Ton erhofft hatte.

Ich will und werde meine Kraft nicht dafür aufbrauchen, dem Staat mehr Macht zu geben, indem ich für mehr Pässe kämpfe, sondern ich möchte Freiheit und Sicherheit auch ohne Pass. Ich weiß, dass mein deutscher Pass + Staatsbürgerschaft ein riesiges Privileg ist und gerade deshalb möchte ich dieses Privileg abschaffen.

Ich wollte niemanden zu "revolutionären Subjekten romantisieren" und predige keinen "Aufstand" (so enggefasst ist mein Aktions- und Kampfbegriff nicht), sondern ich würde gerne von anderen Emanzipationsbewegungen lernen und hoffe, dass es vielleicht eine Zusammenarbeit geben kann, wobei ich - wie ich auch dachte, dass ich es das verständlich ausgedrückt hätte - nicht fremde Bewegungen vereinnahmen möchte, sondern eine gegenseitige Solidaritätsbewegung mir erhoffe, in der wir uns gegenseitig bei unserer Emanzipation unterstützen, denn ich denke, dass wir nur so Ergebnisse erzielen werden, die über Reförmchen hinausgehen.

Es ist absolut absurd, zu glauben, der Staat habe mehr oder weniger Macht, wenn mehr oder weniger Leute Papiere haben. Der Staat hat sogar viel mehr Macht über jene Leute, die nicht über die richtigen Dokumente verfügen. Ohne einen revolutionären Umsturz sehe ich nicht ein, wie "Freiheit und Sicherheit auch ohne Pass" möglich sein sollen.

Das grundlegende Problem an deinen Überlegungen ist jedoch, dass "eine gegenseitige Solidaritätsbewegung" so sicher nicht zustande kommen wird. Die meisten Flüchtlinge kämpfen, weil sie ein Bürger- oder zumindest ein Asylrecht in Deutschland oder in einem anderen westeuropäischen Land haben wollen. Die "Anarchie" dürfte für die meisten von ihnen die geringste der Sorgen sein. Wieso erwartest du also von ihnen Solidarität, wenn du das unmittelbare Ziel ihres Kampfes nicht einmal unterstützst?

Mein Ziel ist auch der Kommunismus, und wohlverstanden ein Kommunismus ohne Arbeiterstaat, Partei, Übergangsphase usw. Doch ich habe Mühe mit anarchistischem Idealismus und Voluntarismus wie in deinem Text. Die Tatsache, "dass Anarchisten ihren Kampf für eine herrschaftsfreie Welt verstärken", wird an der Situation leider wenig ändern. Eine revolutionäre Bewegung wird aus Klassenkämpfen entstehen oder ein frommer Wunschtraum bleiben. Und in der Zwischenzeit halte ich Kämpfe von Proletariern, die für die Verbesserung ihrer Lebenssituation kämpfen, grundsätzlich für unterstützenswert, ausser natürlich wenn sie diese Verbesserung auf dem Rücken von anderen Proletariern anstreben, wie z.B. die proletarische Komponente von Pegida.

Ich finde es nicht "absolut absurd". Zu aller erst hat der Staat Macht über dich, dem du angehörst, dass heißt, je mehr Menschen einem Staat angehören über um so mehr Menschen kann der Staat bestimmen. Gleichzeitig gilt aber natürlich nicht - wie du auch schreibst - dass der Staat keine Macht über die Menschen hat, die keine Staatsbürgerschaft besitzen, aber auf dem Staatsgebiet leben. Der "revolutionäre Umsturz" wäre die naheliegendste Lösung um die extrem unsichere Situation von Menschen ohne Papieren zu verbessern, eine andere Möglichkeit ist ein kräftiger Widerstand gegen Repressionen die der Staat benutzt, ein Beispiel wären Abschiebeverhinderungen, das Besetzen von Wohnräumen, etc.

Dass die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Ziele haben ist mir klar. Deshalb habe ich auch versucht mehrfach zu betonen, dass die einzelnen Gruppen selbstbestimmt arbeiten müssen und mit kritischer Solidarität unterstützt werden. Ich habe zum Beispiel extra in den Singular gewechselt, als ich von dem Kampf um Papiere gesprochen habe, da ich nicht für Papiere kämpfen werde, aber ich es verständlich und unterstützenswert finde, wenn Flüchtende um Asyl kämpfen. Wichtig ist mir halt, dass ich dann auch äußere - natürlich in einem angemessenen Rahmen - welche Sachen ich kritisiere und weswegen ich jetzt nicht primär für Staatsbürgerschaften mich engagiere, sondern dafür, dass wir den Menschen helfen ohne bürokratische Hindernisse im Weg.

Den Widerspruch zwischen uns, ob primär "Klassenkampf" oder primär "Kampf gegen alle Formen der Autorität", werden wir hier und jetzt wohl nicht lösen.

Der Staat ist ja nicht einfach ein Gebilde, das losgelöst von den Produktionsbedingungen existiert. Er ist der "Staat des Kapitals", wie es z.B. Johannes Agnoli formuliert. "Abschiebeverhinderungen, das Besetzen von Wohnräumen, etc." sind ja auch Dinge, die durchaus ab und zu praktiziert werden, es genügt jedoch, sich die Bilder des Ausnahmezustandes in Brüssel oder Paris anzuschauen, um zu realisieren, dass die Kräfteverhältnisse, ganz euphemistisch formuliert, suboptimal sind.

Ausserdem finde ich es immer noch widersprüchlich, wenn du sagst, dass du "nicht für Papiere kämpfen" wirst, es jedoch gleichzeitig "verständlich und unterstützenswert finde[st], wenn Flüchtende um Asyl kämpfen", denn wenn du ihren Kampf für "unterstützenswert" hälst und auch tatsächlich unterstützst, dann kämpfst ja de facto für Papiere.

"Klassenkampf" oder "Kampf gegen alle Formen der Autorität" halte ich auch nicht für einen grundsätzlichen Widerspruch, das Problem ist jedoch, dass "alle Formen der Autorität" eine sehr vage Formel ist. Ein Genosse hat eine Kritik des Anarchismus geschrieben, die ich ziemlich weitgehend teile.

Ich kenne die Texte von Agnoli leider nicht und könnte nur näher auf Agnoli eingehen, wenn du etwas ausführlicher werden würdest. Soweit ich Agnoli glaube zu verstanden zu haben, dann würde er darin übereinstimmen, dass der Staat nicht einfach nur Diener anderer Kapitalist*innen ist, sondern dass der Staat selber Kapitalist ist. Der Staat bietet Dienste an, aber nicht umsonst, sondern er möchte dafür bezahlt werden. Die Dienste, die er anbietet sind den Schutz von Eigentum und die Sicherung des sozialen Friedens, dabei wird der soziale Friede definiert dadurch, wie geschützt das Eigentum ist. Dadurch, dass der Staat das Eigentum schützt, ist letztlich jedes sogenannte private Eigentum staatliches Eigentum. Der Staat bestimmt zudem jegliche Bedingungen unserer Existenz, das heißt anstatt wir selber unsere Existenz bestimmen, möchte und muss der Staat diese bestimmen um Staat zu sein. Der soziale Friede wird durch den Staat also dadurch erhalten, dass er Eigentum schützt (besitzt) und die Bedingungen der Existenz definiert. Dadurch führt der Staat, also die Regierenden, einen ständigen sozialen Krieg gegen die Regierten. Überall wo Menschen selbstbestimmt versuchen zu leben, da interveniert der Staat/die Regierenden. Verhinderungen von Abschiebungen und das Besetzen von Wohnräumen sind also Aktionen, die die Existenz des Staates an diesem Moment und an dem jeweiligen Ort so lange aufheben, bis der Staat seine Herrschaft an diesem Fleck wiederherstellt, durch Bestrafung der Abschiebungsverhinder*innen oder durch die Räumung des besetzten Raumes. Das heißt je öfter wir agieren, desto öfter reißen wir Risse in die Festung, die sich Staat nennt, dieser kann diese natürlic immer wieder flicken, doch es wird irgendwann der Moment kommen, an dem entweder alle Widerständler verschwunden sind oder an dem der Staat zusammenbricht. Warum ist die Frage des Kräfteverhältnis für dich so wichtig? Natürlich sind wir objektiv unterlegen, aber ich denke auch, dass wir Möglichkeiten haben, die der Staat nicht hat.

Ich wiederhole noch mal einen für mich sehr wichtigen Begriff: kritische Solidarität. Ich kann natürlich nachvollziehen warum die Flüchtenden Asyl haben wollen, warum Staatenlose auf eine Staatsbürgerschaft hoffen. Falls sie dies schaffen, dann haben sie es aus einer extrem benachteiligten Position in einer etwas weniger benachteiligten Position geschafft und das ist wünschenswert, aber gleichzeitig finde ich es wichtig zu betonen, dass dies keine wirkliche Lösung, dass Probleme trotz Pass und Arbeitserlaubnis immer noch bestehen und auch neue Probleme hinzugekommen sind. Ich werde nicht dazu aufrufen, diese Bewegungen zu starten, aber wenn sich diese Bewegungen selbst bilden, dann werde ich nicht komplett meine Unterstützung verweigern, nur weil sie nicht anarchistisch ist. Es geht diesen Menschen um individuelle Verwirklichung und das ist erstmal ein positiv zu bewertender Wunsch.

Also grundsätzlich verstehe ich die Klassengesellschaft als bestehnd aus herrschenden und beherrschten Menschen. Während sich die herrschende Klasse eine Anhäufung von Macht und Wohlstand als Ziel gesetzt hat, kann man dies nicht von der beherrschten Klasse sagen. Diese beherrschte Klasse kann sich also nur schwer selbst definieren, sie sind entwurzelt und diese heterogene Klasse wird von der herrschenden Klasse "mit nationalistischen, religiösen, ethnischen, rasischen oder subkulturellen Konstrukten geschmückt". Da es also keine eigene, positive Identität für die Menschen der beherrschten Klasse gibt muss das Ziel die Zerstörung dieser Situation sein. Das Ziel sollte also nicht nur sein, dass die Klassengesellschaft zerstört wird, sondern auch Staat, Kapital, den technologischen Apparat, Ideologie, Arbeit,.... Also alle Systeme in denen Kontrolle über andere ausgeübt wird. Das Ziel kann also nur sein, dass ganz am Ende das zerstört ist, was mensch gemeinhin "Zivilisation" nennt. Der Weg zu diesem Ziel ist lang und verzweigt und deshalb gibt es auf dem Weg verschiedene Befreiungskämpfe die, wie ich finde, unterstützt, begleitet und solidarisch-kritisiert werden sollten.

Natürlich funktioniert der Staat nach kapitalistischen Prinzipien - genau wie die Grossbank, der Bioladen, die anarchistische Kommune und schlichtweg alles in dieser Gesellschaft. Nur dass die herrschende Klasse einen Staat in der Regel nicht Pleite gehen lässt, siehe z.B. Griechenland, weil die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen nicht mit jener des Konkurses eines Bioladens vergleichbar sind. Agnoli (ein pdf findet man hier) spricht von einem "Staat des Kapitals" in Anlehnung an den Staat als "ideeller Gesamtkapitalist" von Engels. Seine Aufgabe ist es, die kapitalistische Ausbeutung zu ermöglichen, der Schutz des Privateigentums ist nur eine Facette davon.

Auch deine Trennung von "Regierten" und "Regierenden" gibt es in der Realität nicht, da sieht man, wo die Abwesenheit von Klassenanalyse hinführt. Nach deiner Logik wäre der CEO eines Grosskonzerns ein "Regierter", falls er nicht Mitglied der Regierung seines Landes ist, der Staat lässt diesem CEO übrigens auch weitgehend die Freiheit, selbstbestimmt zu leben, wie jedem Bürger mit genügend Kapital. Zudem wird der Staat auch nicht eines Tages zusammenbrechen, weil ein paar Anarchisten sein Eigentum beschädigen, eine solche Logik funktioniert auf den Schlussboss eines Videogames bezogen - die Realität ist etwas komplexer. In Syrien kann z.B. kaum von sozialem Frieden gesprochen werden, trotzdem schützt Assad das Privateigentum seiner Kapitalisten, der IS jenes seiner frommen Bourgeoisie und die Kurden jenes der kurdischen Bourgeoisie. Es hängt nicht davon ab, wie fest die Revolutionäre das wollen, dass es zu einem revolutionären Aufstand kommt, er kann nur aus Klassenkämpfen entstehen. Nicht die Revolutionäre machen die Revolution, sondern die Revolution macht die Revolutionären.

Zu meinem Standpunkt in Bezug auf die Solidarität mit Flüchtlingskämpfen hab ich das wesentliche gesagt, doch noch kurz zur Klassengesellschaft. Natürlich sind Kapitalisten und Proletarier auch "herrschend" und "beherrscht", doch sie sind allen voran Ausbeuter und Ausgebeutete. Deine Vision der Klassengesellschaft ist höchst idealistisch und manichäisch, auf der einen Seite ein böses Monster, auf der anderen ein armes Opfer. Es geht hier jedoch nicht um das inhärente Wesen der einen oder anderen Klasse, denn nicht jeder Bourgeois ist ein Konterrevolutionär und wahrlich nicht jeder Proletarier ein Genosse. Es geht darum, dass die Situation des Proletariats in seiner Gesamtheit seit dem Ende der Arbeiterbewegung (1970er Jahre) aufgrund einbrechendem Wachstum immer prekärer geworden ist. Diese Situation wird früher oder später zu aufständischen Situationen führen und nicht die Agitation von Anarchisten. Es gibt auch nicht verschiedene "Systeme", es gibt eine kapitalistische Gesellschaft, die den ganzen Planeten Erde beherrscht. Klar, es gibt Zentren und Peripherien, Zonen, wo die kapitalistische Modernisierung weiter fortgeschritten ist als in anderen, doch anders als als Totalität kannt diese Realität nicht erfasst werden. In diesem Sinn ist die Revolution nicht nur die Zerstörung der Zivilisation, sondern v.a. der Barbarei. Doch wenn du mit "Zerstörung der Zivilisation" den Neo-Rousseauismus amerikanischer Grünanarchisten und/oder Primitivisten meinst, kann ich das nicht besonders ernst nehmen.

Das wird das letzte mal sein, dass ich deine Verkürzung meiner Argumente korrigiere. Ich bitte dich darum, wenn du ernsthaft an einem Austausch interessiert bist, das zu unterlassen.

Danke für den Link zum PDF.

 

Die Betonung auf den Staat als Ermöglicher der Ausbeutung durch Kapitalisten, lehne ich ab. Der Staat ist ein ebenso großer Feind, wie Konzerne und Institutionen.

Menschen können auch durch ihre Anhäufung an Wohlstand Macht ausüben, das heißt ein CEO ist kein Regierter, teilweise haben diese Konzerne so große Macht, dass sie zusammen mit den Staaten die Bedingungen der Existenz der Regierten in Gesetzen festschreiben.

Ich habe geschrieben, dass es - nicht davon ausgehend, dass es einen ewigen Widerstandskampf geben wird, obwohl diese Möglichkeit wohl auch existiert - dass entweder der Widerstand den Staat besiegt (was noch keine Verwirklichung einer herrschaftsfreien Menschheit wäre) oder es irgendwann keinen Widerstand mehr gibt. Die Verkürzung deinerseits von "ein paar Anarchisten die den Staat zusammenbrechen lassen" spiegelt bei weitem nicht meine Aussage wieder.

Innerhalb den jeweiligen Herrschaftsgebieten, also entfernt von direktem Kriegsgeschehen, funktioniert der soziale Frieden wohl relativ gut, jedoch kann keiner der Kriegsbeteiligten wirklichen sozialen Frieden versprechen, da andauernd Eigentum zerstört oder erobert wird.

Ein Aufstand der nur die Klassengesellschaft zerstört, lässt alle anderen Systeme der Herrschaft intakt. Durch eine Zerstörung der Klassengesellschaft werden nicht auf magische Weise alle anderen Herrschaftsformen zerstört. Deine konstruierte proletarische Klasse ist durchsetzt von Patriarchalismus, Faschismus, Rassismus, Sexismus, und, und, und... Deshalb sehe ich die beherrschte Klasse auch nicht als Opfer, sondern ihre Untätigkeit war auch ein Grund, warum sich die herrschenden Systeme und Institutionen etablieren konnten.

Diesen Determinismus ("Diese Situation wird früher oder später zu aufständischen Situationen führen") lehne ich vollkommen ab, dieser ist toatler Unsinn. Das Kapital ist nicht so besonders, dass der Sieg über jeniges, die Menschheit befreien würde. Anarchistische oder Anti-authoritäre Projekte hingegen formen Räume, in denen es möglich ist alle Formen der Herrschaft anzugreifen und zu zerstören.

Ich habe nicht gesagt, dass "die Revolution die Zerstörung der Zivilisation" ist, sondern, dass das Ziel die Zerstörung der Zivilisation ist, das ist mir ein wichtiger Unterschied. Zivilisation sind für mich die verschiedensten Formen der Herrschaft und Kontrolle. Diese verhindern die unkontrollierte, dass heißt freie Selbstwerdung eines jeden Individuums.

Es geht doch nicht darum, ob der Staat oder Nestlé fieser ist, es geht um ihre strukturelle Funktion im kapitalistischen System. Aber wir können hier die Diskussionen wohl tatsächlich getrost beenden, denn wir sprechen schlicht nicht die gleiche Sprache. Dein epischer Kampf zwischen Staat und Widerstand existiert nur in deiner Phantasie, es ist eine radikale Variante der Multitude, doch er widerspiegelt überhaupt nicht die realen gesellschaftlichen Kämpfe. Anfügen möchte ich noch, dass die Beseitigung der Klassengesellschaft logischerweise auch jene des Proletariats impliziert. Den fast 200 Jahren Kämpfen des Proletariats Komplizität vorzuwerfen, halte ich, abgesehen davon, dass es lächerlich moralistisch ist, auch für ziemlich verwegen.

... entscheidet vielleicht nicht über den Zeitpunkt eines Aufstands, aber sie kann einen Einfluß auf dessen Richtung haben, denn -wie du auch schreibst- ist lange nicht jeder Proletarier ein Freund... und manch einer ist gar Faschist.

Tatsächlich bist du recht unfreundlich. Allerdings hast du natürlich nicht unrecht: Viele marginalisierte Gruppen kämpfen nur darum selber privilegiert zu sein. Deshalb haben sie auch nicht blinde Solidarität verdient. Viele von ihnen sind genau so scheiße, wie die privilegierte "Mehrheitsgesellschaft"... da bin ich lieber mit jenen solidarisch, die für ähnliche Dinge stehen, wie ich selbst.

Bewegungen, die die gleiche Privilegien für sich einfordern, die andere schon besitzen, können natürlich anders bewertet werden als Bewegungen, die die Privilegierung an sich abschaffen wollen, keine Frage. Ich habe auch ausdrücklich nicht nur von "Solidarität", sondern von "kritischer Solidarität" gesprochen.

Solange bei der Solidarität versucht wird emanzipatorische Ansätze zu fördern und gleichzeitig auf die Einhaltung von "Mindeststandards" (keine Übergriffe dulden, etc.) geachtet wird finde ich das auch ok.

 

btw.: Finde sehr gut, dass du hier diskutierts, auch wenn ich definitiv nicht alle Positionen teile!

Gerade diese Förderung emanzipatorischer Ansätze möchte ich ja erreichen, ob jetzt bei mir oder bei anderen.

 

Durch die Gespräche kann ich ja auch lernen, hab ja schließlich nicht die absolute Wahrheit. :-)

.....anderen marginalisierten Gruppen, Flüchtende allgemein, weibliche Flüchtende, Person of Color, Women of Color, Frauen mit Kopftuch .....

Was soll das bitte? Frauen mit Kopftuch? Etwa die Frauen die hier ihr "Recht" einfordern Kopftuchb tragen zu dürfen oder sich zu verschleiern? Wir unterstützen alles, einfach n bunter Gemischtwarenladen. Hauptsache gegen den Staat? Wenn Solidarität nicht mehr differenziert, dann wird sie kontraproduktiv.

Ist das erlaubt oder endet hier die Meinungsfreiheit auf Indy? Frag ja nur.

Frauen, die in Deutschland Kopftuch tragen, werden ständig diskriminiert und sogar angegriffen. Ich weiß jetzt nicht warum ich Menschen nicht unterstützen soll, die sich dagegen wehren, dass sie angegriffen werden, nur weil sie ein Kopftuch tragen. Ich sehe nicht, warum Menschen sich icht wehren sollen dürfen, weil ihnen ihre Entscheidungsgewalt über den eigenen Körper genommen wird. Jeder Mensch sollte selbst entscheiden dürfen, was dieser selber mit seinem Körper anstellen möchte, egal ob das Abtreibungen, Tätowierungen oder Kleidung betrifft.

Ich denke gundsätzlich kann jeder tragen was er will, jedoch muss man eigentlich allen Gesellschaften (leider) damit rechnen über sein Aussehen oder Kleidung angefeindet zu werden und das ist wohl erstmal so und meistens auch nicht schlimm oder sogar gewollt. Daneben sagt man etwas mit seiner Kleidung oder Tätowierungen etwas aus.

 

Das im religiösen oder ideologischen oder weltanschaulichen Sinne. 

Der Vorredener wollte wohl mehr in die Richtung hinaus, ob jetzt "alle" unsere SOLIDARITÄT bekommen sollten. Denn natürlich sollte sich jeder mal ein Kopftuch überziehen können oder sich sonstwie kleiden. Das du in deinem Kommentar, aber die religiöse Dimension von Kleidung komplett ingnorierst, ist wirklich lächerlich. ("Verstehe nicht was du meinst").

 

Bei den Konflikten um das Kopftuch gibt es mehere Ebenen die es jetzt nicht alle aufzuzählen gilt.

 

Eine Ebene zum Beispiel ist die der staatlichen Neutralität zu der es mittlerweile mehere BVerfG Entscheidungen gibt ob dies im staatlichen Dienst getragen werden kann. Wobei ich persönlich dem BVerfG zustimme.

 

Eine andere Ebene zum Beispiel ist  die eines rassistischen Übergriffs, bei dem z.B. eine Person wegen eines Kopftuchs angegriffen wird, oder aufgrund dessen, weil die Person als Feinbild der deutschen Leitkultur in der Integrationsdebatte angesehen wird oder sonst irgendeine beschissene Begründung um einen Übergriff zu starten. Gegen Täter dieser Art sollte man auch Vorgehen, wie du es auch in deinem Kommentar beschrieben hast! Mit guten Argumenten oder auch handfesteren Argumenten.

 

Doch nur weil ich auf dieser Ebene das Tragen des Kopftuches z.B. gegen einen Rassisten (whatever) verteidige, heisst das nicht das mir der religiöse oder ideologische Hintergrund dessen verschlossen bleibt. Deswegen lehne ich z.B. ein Kopftuch aus religiösen Gründen ab und habe auch kein Bock mich mit diesen Menschen zu solidarisieren die das Tragen aus religiösen Gründen vertreten. Das heisst nicht, dass sie es nicht dürfen, es ist nur eine Frage der Solidarität.

 

Religion ist heilbar.

Erstmal las sich der Kommentar, auf den ich geantwortet habe, wie ein typischer Kommentar aus rassistischen Kreisen (vor allem die Erwähnung mit der Meinungsfreiheit). Der Kommentator hat nicht von den Gründen gesprochen aus denen er das Kopftuchtragen abzulehnen scheint und deshalb hab ich auch nicht das Thema Religion erwähnt.

Natürlich solidarisiere ich mich jetzt auch nicht mit jeden, aber das habe ich in anderen Kommentaren auch schon ausgeführt.

 

Ich finde das Thema Religion für mich sehr schwierig. Ich kann die Kritik an Religionen als System der Kontrolle und Herrschaft vollkommen nachvollziehen und würde diese Kritik eigentlich auch vertreten, nur finde ich es schwer anderen Leuten deshalb Kopftuchtragen zu verbieten. Ich solidarisiere mich nicht mit einer Bewegung in der Hinsicht, dass man aus religiösen Gründen Kopftruchtragen sollen, aber ich kann der Forderung zustimmen, dass kopftuchtragende Menschen nicht diskriminiert und angegriffen werden sollen. Beide Forderungen können aus der gleichen Bewegung kommen, ich würde aber nur eine der Forderungen "unterschreiben".

 

Da ich den staatlichen Dienst an sich ablehne, ist es mir eigentlich egal ob Staatsbeamt*innen Kopftuch tragen oder nicht, zudem ist unser Staat so von christlichen Zeug durchsetzt, dass eine Ablehnung muslimischer Symbole, bei gleichzeitiger Nichtablehnung christlicher Symbole einfach lächerlich ist.

 

Ich glaube wir sind aber insgesamt eher einer ähnlichen Meinung.

Ja, denke auch das wir ähnlicher Meinung sind;)

 

Das Thema in seiner Gesamtheit differenziert zu erfassen erscheint mir ebenso schwierig. Schon beim Verfassen meines Kommentars, fiel mir auf was für ein Fass ohne Boden das Religions ist, zumal man sich wirklich schnell missverstehen kann.

Grüße.

Religion hat halt eigentlich immer einen gesellschaftlichen Anspruch. Daher ist sie eben keine Privatsache, sondern geht durchaus die gesamte Gesellschaft an. Insbesondere ist das öffentliche Zeigen von religiösen Symbolen auch eine Art der Propagierung. Dem muss ich mich dann ggf. auch entgegen stellen.

Solidarität muss Zielgerichtet sein, sonst wird sie idiotisch.