25 Jahre Räumung der Mainzer Straße - kein Grund zur Melancholie

schtein

Über die TAZ erreichten uns am 16.11. Fragmente einer selten gewordenen Diskussion über die Perspektive der ehemaligen Häuserkämpfe in den aktuellen Auseinandersetzungen um Wohnraum in Berlin. Wir begrüßen die Diskussionsansätze und würden gerne als Projekt einige Punkte beantworten sowie innerhalb der Häuser zum Nachdenken über politische Strategien auffordern.

 

Offenbar hat es den Anstoß eines Journalisten gebraucht, um  Grit Angermann, Alfons Kujat und "AB" dazu zu bringen, das langjährige Schweigen einer ehemals so ausdrucksstarken Straße zu brechen. Die drei Protagonist*innen des Interviews, in welchem Matthias Bolzinger versucht, die Überreste des Mythos Mainzer Straße zu finden, sind Bewohner*innen der Kreutziger Straße.

Es dürfte vielen der Anwohner*innen Friedrichshains heute unbekannt sein, dass eben jene Straße früher durch Schlagzeilen wie "Chaoten-Terror" oder "Wieder Straßenschlacht" regelmäßig glänzte. Die besetzten Häuser dieser Straße waren Mitte der 90er Jahre Symbole des militanten Widerstandes gegen die Gentrifizierung. Im Kampf gegen Verdrängung und "Hauptstadtwahn" kamen hier die Menschen zusammen, die in der Organisierung und Radikalisierung der Hausbesetzerbewegeung die einzige Perspektive sahen, um sich gegen den steigenden Druck zur Wehr zu setzen, der durch die Wahl Berlins zur Hauptstadt auf das tägliche Leben ausgeübt wurde. Sicherlich hatten die meisten noch die Räumung der Mainzer Straße in lebhafter Erinnerung, als sie sich zu radikalen Absagen an die permanenten Befriedungsangebote aus der Politik entschieden und ihre Wut und ihre Entschlossenheit mit aller Kraft zum Ausruck brachten. Mit einem Staat, der ein Kriegsszenario aufbaut, um eine selbstorganisierte Straße, wie sie die Mainzer war, unter Kontrolle zu bringen, sollte nie wieder Verhandelt werden. Dadurch hatte die Kreutziger Straße damals einen ähnlichen Ruf, wie die Rigaer Straße heute, wo ebenfalls eine radikale Strategie gegen die Umstrukturierung verfolgt wird.

Gewisse Parallelen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass - wie von vielen Ehemaligen unermüdlich betont - einiges damals anders war. Aber auch in der Rigaer Straße gibt es neben überzeugten Akteuren, die das Gewaltmonopol des Staates täglich in Frage stellen auch Stimmen wie die Alfons Kujats, die den sozialen Frieden herbeisehnen. Einen Frieden - eine Illusion des Friedens, welche es nur zuzulassen gelte. Unbestritten verursacht das Gefühl des "Lebens im Gefahrengebiet", das in der Rigaer aktuell von der Polizei wieder verstärkt wird, natürlich Probleme bei jenen, die mehr Wert auf individuelle Entfaltung legen als auf die Bereitschaft, den Kiez und die Ideale zu verteidigen.

Die Äußerungen von Alfons Kujat lassen vermuten, dass er einer derjenigen war, die am Ende der Konfrontation in der Kreuztiger Straße mitgewebt hat. In der bürgerlichen Presse wurde Anfang 97, also kurz nach einem Höhepunkt der Auseinandersetzungen, von Einigen versucht, die Hausbesetzer hier als harmlose Basisdemokraten darzustellen. Zudem organisierten sich diejenigen, die einen gesicherten Rechtsstatus der Häuser höher bewerteten als ein sicheres Zuhause für revolutionäre Inhalte und ein politisch korrektes Dach über dem Kopf für deren Träger. Vereine wie der "Panzerknacker e.V." kümmerten sich darum, dem Markt den Wohnraum zu entziehen - durch Kauf. Leider - und vielleicht im gleichen Atemzug - hat das Gedächtnis der Autonomen Häuserkämpfer_innen ab diesem Zeitpunkt nachgelassen. So wurde es nicht öffentlich überliefert (korrigiert uns wenn ihr es besser wisst), wie der Konflikt zwischen Verhandler*innen und Nicht-Verhandler*innen ablief. Ab dem Zeitpunkt, als die Häuser legal waren muss jedenfalls ein Zersetzungsprozess eingesetzt haben, der die Straße im Jahr 2015 im Elend zurücklässt. Parkscheinautomaten, Ordnungsamt und Biogemüse sagen sich an der Ecke Kreutziger/Boxhagner Guten Tag. Das jährliche Straßenfest ist zwar den Bewohner*innen der Luxuswohnungen zu schmutzig, im politischen Ausdruck jedoch eher auf deren Linie zu verorten als auf der Seite der "Menschen, denen Wasser und Heizung abgedreht werden".

Klar ist aber, dass die Grenze nicht zwischen denjenigen mit Mietvertrag und denjenigen ohne verläuft. In der Rigaer Straße beispielsweise profitieren die meisten politisch Aktiven von den billigen Mietverträgen aus der Verhandlungszeit. Fragwürdig ist sowieso, ob wir die Grenzen zwischen den verschieden definierten Bevölkerungsgruppen zementieren sollten, indem wir Kriterien für den idealen Kiezbewohner*innen festlegen. Viel besser wäre es, wenn wir gemeinsame Ziele festlegen könnten und diese mit aller Kraft versuchen zu erreichen. Konkrete Vorschläge liefern bereits die Mitbewohner Alfons Kujats: Dreckige Ecken aufbauen, die die Aufwertung der Umgebung hemmen. Verbindung und Organisierung der Nachbarschaft. Aber auch: kollektive Lebensformen. Und außerdem: Keine Räumungen mehr, Mieterhöhungen verhindern, keine Polizei.

An dieser Stelle als positives, wenn auch nicht visionäres Beispiel zu nennen ist die Vernetzung, die nach der Langen Woche der Rigaer Straße entstand und zu einer verfestigung der Beziehungen zwischen verschiedenen Anwohner*innen der Gegend geführt hat. Die Kreutziger hat sich damals bewusst aus der Organisierung herausgehalten. Aber auch das muss nicht das Ende der Geschichte sein.

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all diejenigen die sich der friedlichen illusion hingeben um dann langsam und völlig friedlich assimiliert zu werden, seien an das "recht des polizeiknüppels" erinnert, welches den harten kern, die unversöhnlichen, die die nicht weichen wollten, dann auch getroffen hat. mit wasserwerfern wurden die fenster eingeschossen und nachher tränengas rein. all die, die bei der stürmung aufgegriffen werden konnten, trugen prügel mit knochenbrüchen davon und, teilweise erfolgreich, knast. das ist der staat, ein militärischer plan, eine brutale umsetzung, knast. alles andere ist bloß vorhang damit die zuschauer glauben ruig sitzen bleiben zu können.

Steinwürfe, Schüsse, Schlangen. Vier bisher unveröffentlichte Dokumente der Polizei über die Räumungen der Pfarr-Straße und der Mainzer Straße im November 1990
http://www.neues-deutschland.de/artikel/990878.steinwuerfe-schuesse-schl...

»... wo die Ordnung wiederhergestellt wird«. Mythos und Menetekel: die Räumung der Mainzer Straße 1990
http://www.neues-deutschland.de/artikel/990924.wo-die-ordnung-wiederherg...

Platt gemacht von der Sanierungswalze. Zweieinhalb Jahrzehnte nach der Räumung in der Mainzer Straße: Eine Spurensuche am Ort des Geschehens und anderswo
www.neues-deutschland.de/artikel/990922.platt-gemacht-von-der-sanierungswalze.html

Das mit den Schlangen ist auch nach 25 Jahren immer noch der Brüller. Die waren so klein und schreckhaft, dass sie wohl kaum ernsthaft beissen konnten. Aber "Bea" rauchen auch Milde Sorte und lassen sich auch von Wasserpistolen (G8) verletzen...HaHaHa.

Die einen sprachen von »Bürgerkrieg«, die anderen vom Ende eines Traums: Zur Räumung der besetzten Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain vor 25 Jahren hat das »neue deutschland« einige exklusive historische Dokumente aus einer Polizeiquelle recherchiert, die die brutale Straßenschlacht aus der damaligen Sicht der Innenbehörden minutiös dokumentiert. Erstmals werden diese bislang unbekannten Dokumente jetzt durch das »neue deutschland« im Internet zugänglich gemacht. Enthalten sind in der vierteiligen Dokumentensammlung: Erstens eine »Vorläufige Bilanz aufgrund der gewalttätigen Ausschreitungen im Bezirk Friedrichshain am 12./13. November 1990«. Zweitens der detaillierte »Verlaufsbericht der polizeilichen Maßnahmen aus Anlass der Hausräumungen in der Mainzer Straße am 14.11.1990«, der den Einsatz minutiös protokolliert. Drittens gibt es einen Verlaufsbericht zu den Räumungen am 12. November 1990 in Lichtenberg, die der Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße unmittelbar vorausgingen. Und viertens stellen wir einen Auszug aus dem geheimen »Lagebericht Innere Sicherheit« für die Zeit vom 13.11. bis 19.11.1990 vor, der als Verschlusssache damals in einem eigenen Kapitel die Räumung in der Mainzer Straße zum Thema hatte. Enthalten ist in diesem Lagebericht auch die Bilanz jener Tage im November, die danach Berlin und die ganze Republik verändern sollten.

 

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2015/11/1086464087...

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2015/11/1124472711...

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2015/11/1286176722...

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2015/11/1911744139...

hat sich verändert.

 

Gerade erst erschien in der taz eine ganzseitige Anzeige in Farbe von der deutschen Kriegsarmee zum 60en Geburtstag, auch Bundeswehr genannt: "Wir für Deutschland".

 

Eine etwas merkwürdige Referenz also...

Die Taz hat den letzten Tagen mehrmals für die Bundeswehr geworben, siehe dazu auch das Treffende Foto der Jungen Welt auf Twitter. Mindestens eine weitere Halbseitige Anzeige war noch dabei, aber wen wundert das bei der Taz noch? Die AfD-Werbung war vielleicht wirklich ein Ausrutscher, aber das hier ist keiner mehr.

 

Für die Taz erklärt der Geschäftsführer Andreas Bull in einem Beitrag im Taz-Hausblog sehr eindrucksvoll das die Bundeswehr und ihre "Krisenherde löscht man nicht mit Abwarten und Teetrinken"-Kampange nicht Militaristisch sei:

Nach unseren Kriterien, auf die sich die Mitarbeitenden der taz in vielen Diskussionen im Hause und mit den LeserInnen und GenossInnen geeinigt haben, sind das Bundesministerium für Verteidigung und die Bundeswehr nicht grundsätzlich als militaristisch in diesem Sinne bewertet.

...Die Mainzer hätte niemals geräumt werden dürfen. Auch ein Punkt wo die Bewegung versagt hat.

...aber auch nach 25 jahren wird die mainzer, sowohl als existenter freiraum wie auch die martialische räumung und der widerstand dagegen, in der (berliner) linken rezipiert, z.b. hier mit einer rückgriff auf videomaterial des doku-kollektivs mainzer strasse gegen ende des clips: https://www.youtube.com/watch?v=7ODW7E7DGmk