Achtung – Mythen um die Ukraine

Kaum ein Jahr ist seit dem politischen Umsturz in Kiew vergangen und schon verwandeln sich die damaligen Vorgänge und ihre Folgen in Mythen, die das Zeug haben, Geschichte zu erklären, bevor sie stattgefunden hat. Die wichtigsten sollen hier aufgezeigt werden.

Mythos eins:

Russland führt Krieg gegen die Ukraine: Diese Behauptung führt konsequent dahin, dass Angela Merkel und François Hollande heute vor aller Welt in der Pose von Schlichtern auftreten können, die Wladimir Putin und Petro Poroschenko dahin bringen müssten, den Krieg, den Russland angeblich gegen die Ukraine führt, im Dialog miteinander zu beenden. Das ist eine famose Position für Angela Merkel, nachdem sie als Kanzlerin Deutschlands und als die zur Zeit führende Stimme der Europäischen Union zuvor an der Entstehung des Maidan-Aufruhrs und dem daraus folgenden Sturz des gewählten Präsidenten Viktor Janukowych und allen daraus hervorgehenden Folgen aktiv gewirkt hat. Perverser, und man muss gestehen, wirkungsvoller kann die Verdrehung von Ursache und Wirkung in diesem ukrainischen Drama nicht mehr inszeniert werden. In dieser Rolle kann sich sogar Barak Obama wohlfühlen. Nicht verwunderlich, dass er „Angela“ dafür in höchsten Tönen lobt. Tatsache ist allerdings, dass nicht Russland und die Ukraine im Krieg miteinander liegen, sondern die Kiewer Führung mit Teilen ihrer eigenen Bevölkerung. Nicht Russland hat die Ukraine überfallen und nicht Russland bombardiert ukrainische Städte, sondern die Kiewer Regierung hat der Bevölkerung des Ostens, nachdem sie diese zu Terroristen erklärt hat, den Krieg erklärt und bombardiert Städte des eigenen Landes – mit der Begründung, dass diese untrennbarer, nicht aufzugebender Teil der Ukraine seien. Hat man etwas davon gehört, dass die „Terroristen“ in vergleichbarer Weise Kiew bombardierten oder mit gezieltem Terror heimsuchten? Wie wahnsinnig muss eine Führung sein, die ihr eigenes Land zusammenschießen lässt, statt mit ihren Landsleuten in den Dialog um die von ihnen geforderten politischen Vorstellungen um mehr Autonomie zu gehen. Dass Russland keinen Krieg gegen die Ukraine führt, gilt auch dann, wenn man sieht, dass in diesem Bürgerkrieg fremde Mächte mitmischen, dass hier die USA/EU, dort Russland politisch, logistisch und mehr oder weniger undercover sogar mit Mannstärke involviert sind, die einen auf dieser, die anderen auf der anderen Seite. Genau genommen ist es ihr Krieg, der hier stellvertretend auf ukrainischem Feld in verdeckter Form ausgetragen wird. Allerdings gilt es auch hier wieder vom Ursprung der Vorgänge her zu denken. Und der Ursprung dieses Krieges liegt eindeutig nicht in Russland, wenn man nicht die bloße Tatsache, dass Russland die Eurasische Union nicht nur mit Kasachstan, Weißrussland, sondern auch unter Beteiligung der Ukraine entwickeln wollte, bereits als Kriegsgrund betrachtet.

 

Mythos zwei:

Russland hat die Krim annektiert: Mit einer gewaltsamen, das bestehende Völkerrecht verletzenden Annexion der Krim habe Russland die Europäische Friedensordnung gebrochen, die Souveränität der Ukraine verletzt und damit eine globale Kriegsgefahr heraufbeschworen. Der Frieden könne nur gesichert werden, wenn Russland von diesem Schritt zurücktrete. Tatsache ist, dass der Übergang der Krim in die russische Föderation nicht Ursache des Umsturzes in der Ukraine war, sondern Folge. Tatsache ist auch, dass Russland die Krim nicht gewaltsam erobert hat, sondern einen Antrag seitens der Bevölkerung der Krim angenommen hat, die sich angesichts des Kiewer Umsturzes und der damit auf sie zukommenden Gefahr der „Ukrainisierung“ zuvor aus der Ukraine in einem Referendum gelöst hatte. Generell gesagt, nicht Russland hat in der Ukraine interveniert, nicht Russland hat den Maidan zur offenen Revolte ermutigt; Putin soll Janukowytsch im Gegenteil sogar, was ihm von westlicher Seite vorgehalten wird, zur polizeilichen Niederschlagung der Proteste geraten haben. Es waren die atlantischen Mächte, allen voran die USA, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Plan verfolgten, die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich herauszulösen, um die Wiederentstehung Russlands als möglichen Rivalen für alle Zeit zu unterbinden. Die Elemente dieser Strategie sind schwarz auf weiß nachzulesen bei Sbigniew Brzezinski. Praktisch nachzuverfolgen sind sie in der schrittweisen Ost-Erweiterung von NATO und EU seit 1991, einschließlich der bunten Revolutionen in den Jahren 2003/4/5, Georgien, Ukraine, Kirgisien, der Stationierung von Abfang-Raketen direkt an den Grenzen Russlands u.a.m. Dies alles wurde schon vielfach dokumentiert, muss aber offenbar immer wieder aus der Vergessenheit herausgeholt werden, so wie es der russische Außenminister Sergej Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor ein paar Tagen tat. Nachzulesen auf der Internetplattform von www.russland.ru .

 

Mythos drei:

Das Recht zur Selbstverteidigung: Tränentreibend ins Bild gesetzt wird vom Ukrainischen Präsidenten Poroschenko für die Ukraine der Eindruck eines bedrängten, bemitleidenswerten David erzeugt, der doch das Recht haben müsse sich gegen einen brutalen Goliath zur Wehr zu setzen. Na, klar, wer will da nicht solidarisch sein! Aber Tatsache ist: Über das hinaus, was weiter oben bereits dazu gesagt wurde, dass diesem Bild die Falsche Behauptung unterliegt, Russland führe Krieg gegen die Ukraine, stellt diese Pose selbst noch die Realitäten des inner-ukrainischen Bürgerkriegs glatt auf den Kopf: Es war die Übergangsregierung, die, nach dem Umsturz kaum an der Macht, die Sprachautonomie von Minderheiten unter dem Motto der „Ukrainisierung der Ukraine“ aufhob, diesen Akt zwar nach internationalem Protest zurücknahm, ihre einmal eingeschlagene Linie der zwangsweisen Ukrainisierung, statt eines Dialoges mit anders denkenden Teilen der Bevölkerung jedoch konsequent und aggressiv fortsetzte – von der Illegalisierung des Referendums für einen Autonomiestatus in den östlichen Bezirken bis hin zur politischen und militärischen Mobilisierung gegen die zu Terroristen erklärten Parteigänger autonomer und föderaler Neugliederung des Landes und die von ihnen gebildeten Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Der Pose des David stehen die immer wieder erneuerten Brandreden der Kiewer Führung gegenüber, die bis zum heutigen Tag zu keinem Dialog mit den „Terroristen“ bereit ist, sondern deren militärische Unterwerfung anstrebt. Dass aus dieser Politik eine Eskalationsspirale hervorgegangen ist, in der auch die östliche Seite aufgerüstet hat, liegt auf der Hand, kann unter diesen Bedingungen gar nicht anders sein. Bedauerlicher Weise. Nur darf man auch hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Statt sich als David öffentlich bedauern zu lassen und um „tödliche Defensivwaffen“ für eine Intensivierung der Offensive zu werben, könnte die Kiewer Führung dem ganzen Spuk ein Ende bereiten, wenn sie in den direkten Dialog mit den „Volksrepubliken“ ginge.

 

Mythos vier:

In der Ukraine wird die Westliche Wertegemeinschaft verteidigt. Tatsache ist, dass der nationalistische Furor, der sich aus dem Westen kommend, über das Land verbreitet, verbunden mit einer gnadenlosen Austeritätsdiktatur dem, was als westliche Wertegemeinschaft propagiert wird, direkt und offen ins Gesicht schlägt: Schlimmere Korruption als zuvor, jetzt durch Privatisierungsprogramme legitimiert, bestürzender Abbau sozialer Standards, Einschränkung der Informationsfreiheit auf „national nützliche“ Informationen durch das neu gebildete Informationsministerium, Diskriminierung von nicht-national-ukrainischen Minderheiten, marodierende faschistische Banden, die die Regierung zu stürzen drohen, wenn sie die „nationale Revolution“ zu verrate. Man kann sich nur noch wundern, mit welcher Schamlosigkeit, vielleicht auch genauer, mit welchem Zynismus diese Entwicklung von der Mehrheit unserer politischen Klasse geleugnet wird – wenn es nicht überhaupt interessengeleitete Dummheit ist. Im Osten des Landes wächst die Abkehr von den so gewendeten Werten des Westens jedenfalls mit jedem Tag, an dem weitere Menschen mitten in ihren Städten aus ihren Wohnungen gebombt und auf den Straßen zerfetzt werden.

 

Mythos fünf:

In der Solidarität mit der Ukraine festige sich die westliche Allianz, versichern zurzeit Vertreter und Vertreterinnen aller westlichen Lager unisono. Angela Merkel ist auf dem besten Wege zum globalen Friedensengel zu avancieren. Was für ein Prestigegewinn für die Deutschen, wie es scheint! Tatsache ist allerdings, dass der Vorstoß der USA eindeutig auf Schwächung der Europäischen Union, insbesondere auch auf eine Störung der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zielt. EU und insbesondere Deutschland bluten sich in der Unterstützung der bankrotten Ukraine, unter dem Druck der von ihnen selbst beschlossenen Sanktionen und durch die Zerstörung ihrer Beziehungen zu Russland aus, statt mit Russland gemeinsam einen autarken Eurasischen Raum aufzubauen, der dem Hegemonialanspruch einer einzigen Supermacht widerstehen könnte.

 

Bücher zum Thema: Peter Strutynski (Hg.), Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen, Papyrossa. Ronald Thoden, Sabine Schiffer (Hg.), Ukraine m Visier, Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen, Selbrund Vlg. Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte

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Was ist nur los?

Hier erscheint auf linksunten nun schon der zweite dumme Ukraine-Artikel.

 

Die Krim wurde nicht annektiert?

Russland kämpft nicht mit?

 

Bei aller Ablehnung der Regierung in Kiew und den faschistischen Milizen, die an ihrer Seite kämpfen, kann doch auch mal eingestanden werden, dass die Gegenseite, die faschistoid-reaktionären und von Russland unterstützten "Volksrepubliken" als auch das klerikal-anti-fortschrittliche Russland selbst einfach nichts lobenswertes an sich haben. Auf der einen Seite kämpfen russische und auf der anderen Seite ukrainische Nazis - emanzipatorische Kräfte sollten sich aus diesem Konflikt tunlichst raushalten, im harmlosesten Fall ist es ein Bürger*innenkrieg zwischen zwei unterschiedlich nationalistisch-reaktionären Interpretationen der "Volksgemeinschaft".

 

Und mal ehrlich: Ist es nicht peinlich, so dermaßen unreflektiert einfach die russische Propaganda zu verbreiten?

Naja finde vieles garnicht so Abwegig, auch wenn ich wirklich vieles nicht Teile.

 

Tatsache ist jedoch, meiner Ansicht nach, das die Deutschen Regierungen ( als führendes EU Land) die Hauptverantwortung für die Kriegesituation und die tausenden Toten tragen, da sie die Kenntnisse vor Ort hatten.

 

und sie die Amerikaner nicht zurückgehalten haben sich in die Ukraine so Massiv "reinzuhebeln". (Die USA sind seit Jahren dafür bekannt Situationen nicht realistisch Einzuschätzen zu können)


Die jetzige Situation ist auf jedenfall die Schlimmste Situation, hätte man die Ukraine mal lieber in Ruhe gelassen.

Die wirtschaftliche destabilisierung wird nämlich durch diese lächerlichen Sanktionen gegen Russland vorangetrieben. Während Russland mit der EU regen Handel betrieb waren die Handelsbeziehungen zu den USA schon immer sehr gering . Diese Sanktionen schaden den Russen sowie den EU Staaten. Proifteur sind die USA die so ihre schwächelnde Wirtschaft wieder aufwerten können.

Was ich peinlich finde ist, dass Menschen auf linksunten den Konflikt als etwas bezeichnen, aus dem mensch sich heraushalten sollte, da - etwas verkürzt - Arschlöcher auf Arschlöcher schießen. Da kommt für mich die Faulheit zum Denken zum Vorschein, Der Konflikt im Osten ist entstanden, weil die ukrainische Putschregierung die Barrikaden und besetzten Verwaltungen mit Militärgewalt angegriffen hat. Wer so gegen einen Teil seiner Bevölkerung vorgeht, darf sich über einen Bürgerkrieg nicht wundern. Die Menschen im Osten haben das Recht, sich gegen solch faschistisches Vorgehen zur Wehr zu setzen und verdienen linke Solidarität. Es gibt zahlreiche Belege für das brutale Vorgehen der Militärs oder der aus faschistischen Gruppen neu gegründeten Nationalgarde gegen unbewaffnete Zivilisten im Osten, lange bevor der Konflikt zu einem militärischen wurde. Einiges davon kann mensch auf der Website http://www.odessa-mahnung.de sehen. Es wurden Wohnviertel mit Jagdflugzeugen bombadiert, Scharfschützen hatten vom Flughafen Donesk aus immer wieder Menschen unter Beschuss genommen bzw. Granaten auf bewohntes Gebiet abgeschossen, bis dieser endlich nach monatelangen Kämpfen von den Aufständischen eingenommen wurde (übrigens einer der Gründe, warum der erste Waffenstillstand nicht gehalten hat). Und wenn mensch sieht, wie am 09.05.2014 Zivilisten in Mariupol mit Körperkraft versuchen, Panzerwagen zu stoppen, fragt mensch sich, wieso es von den Politikern keinen Aufschrei wie einst bei ähnlichen Bilder aus China (Platz d. himmlischen Friedens) gab. Die Frage ist natürlich überflüssig, denn wir wissen alle, wieso es diesen nicht gab. Aber auch die linke Szene in Deutschland steckt ja den Kopf in den Sand, mit solch krusen Argumenten wie deinen. Getötete und Geflüchtete zum trotz. Selbst schuld, oder was?!?

Die Menschen aus der Ostukraine haben das volle Recht sich gegen den Terror (pro)russischer Faschos zur Wehr zu setzen.

Auch wenn es komplett übertrieben ist, gab selbst euer Sachartschenko zu, dass die meisten Menschen, die gegen DVR kämpfen selber aus dem Donbass stammen:

 http://expert.ru/russian_reporter/2014/39/nachalnik-donbassa/

(auf Deutsch zitiert hier: https://linksunten.indymedia.org/de/node/129014#sdfootnote9sym)

Das Minsker Friedensabkommen von vor ein paar Tagen wurde vom Rechten Sektor schon für ungültig erklärt. Die Streitkräfte des Rechten Sektors, offiziell in die ukrainische Armee eingebunden, werden einfach weiter den Donbass angreifen... verfolgt eigentlich noch irgendjemand die Geschehnisse, oder geht es allen nur noch drum von wem man sich alles distanzieren muss?

Wo ist die Neuigkeit? Ich dachte, dass wir ohnehin längst über diese Mythen hinweg sind.

Ändert natürlich nix daran, dass das ganze wiedermal völlig einseitig präsentiert wird.

Ich hätte mir, gerade hier, ausnahmsweise mal eine Gegenüberstellung der Märchen aus beiden Perspektiven gewünscht. Damit kommt besser zum Ausdruck, wie krank das alles ist.

... hier geht es nicht um Mythen. Das sind deine verqueren Vorstellungen. Das was dort passiert ist klassischebürgerliche Revolution. Der wirtschaftliche Transformationsbegriff jetzt einfach mal unbeachtet lassen.