LE: „Nazis stoßen an Grenzen, die wir ihnen ziehen“

Fence off

Interview mit Anita Dudow zur Schließung des NPD-Büros in Leipzig Gute Nacht, O8! Seit Donnerstag ist das NPD-Büro in der Leipziger Odermannstraße 8 dicht. Was für die Öffentlichkeit überraschend kam, stand bei der Partei schon länger fest: Sie kann und will sich den vergeblichen Versuch, ein „Nationales Zentrum“ im Stadtteil Lindenau zu etablieren, nicht mehr leisten.

 

Als politisch gescheitert galt der Nazitreff schon länger. Er war mehr ein Ort der Spaltung und zu abgeschottet, als dass er Nachwuchs angezogen hätte. Symbolisch für die Abschottung im Viertel stand der demontierte Metallzaun. Dahinter war so genannter NATO-Draht verlegt. Der um schlechte Vergleiche nie verlegene NPD-Kreisverband bezeichnete sein Domizil einmal als „kleines West-Berlin“. Jetzt ist es gefallen.

 

Aus diesem Anlass sprach Enrico Auerbach für leipzig.antifa.de mit Anita Dudow, früher eine der SprecherInnen der antifaschistischen Kampagne „Fence Off – Weg mit dem Nazi-Zentrum in Leipzig!“ Die Kampagne schrieb sich konsequenten Antifaschismus auf die Fahne und hat mehrfach erfolgreich gegen Veranstaltungen in der Odermannstraße interveniert. Dudow sagt, dass so zum Niedergang der O8 beigetragen wurde.

 


 

Interview: Was bleibt von „Fence Off“?


In den Jahren 2011 und 2012 gab es mit „Fence Off“ eine umfangreiche antifaschistische Kampagne gegen die Odermannstraße 8. Ist die Schließung des NPD-Büros ein später Erfolg dieser Arbeit?


Unser Ziel war damals die Schließung der O8. Das ist jetzt endlich passiert und gewiss einer der Fälle, über die man sich schon deshalb freuen soll, weil sie besser spät als nie eingetreten sind. Immerhin ist jetzt eines der langlebigsten Neonazi-Projekte in Leipzig im Eimer. Dieser Erfolg war der damaligen Kampagne aus ganz verschiedenen Gründen nicht vergönnt. Ich denke aber, dass wir einiges zum Niedergang beigetragen haben.

 
Was denn zum Beispiel?


Damals wollten die Nazis die O8 zu einem „Nationalen Jugendzentrum“ mit überregionaler Ausstrahlung aufblasen. Die Aktionen der Kampagne haben darauf gezielt, das zu vereiteln und dafür zu sorgen, dass „das Objekt“, wie es die Kameraden nennen, im Stadtteil isoliert wird. Die haben sich einen Zulauf erhofft, den sie angesichts von Metallzaun und Stacheldraht natürlich nicht bekommen haben. Diese immer stärkere Abschottung nach außen war eine Reaktion auf das immer konsequentere Vorgehen von AntifaschistInnen.

 

Dabei haben wir es nicht belassen und beispielsweise intensiv beleuchtet, welche Nazis hinter dem Projekt stecken, welche Ziele sie verfolgen und wie es finanziert wird. Mit den Kenntnissen sind wir in die Öffentlichkeit gegangen und haben Druck auf Kommunalpolitik und Stadtverwaltung aufgebaut, sich zu positionieren und zu handeln. Heute muss ich offen sagen: Das hat nicht gereicht, wir hatten am Anfang eine naive Erwartungshaltung.

 
Weil ihr dachtet, die Stadt selbst würde das Zentrum dicht machen?


Ja, es hätte dafür auch eine einwandfreie Handhabe gegeben. Die zulässige Zahl von BesucherInnen ist über Jahre hinweg mehrfach überschritten worden, was sich auch nachweisen ließ. Es ließ sich auch zeigen, dass aus dem Objekt heraus gezielt Menschen attackiert wurden. Das war dann zugleich der Punkt, wo wir gesagt haben: Es reicht, da braucht es keine Appelle mehr, die sowieso verhallen, sondern konsequenten Antifaschismus und eine klare Ansage. Die haben wir mit der großen Kampagnen-Demo am 24. September 2011 dann auch gemacht. Da kamen mehr als 2000 Leute. Das war eine der besten Demos in Leipzig überhaupt.


Das war vor drei Jahren, danach ist die Kampagne eingeschlafen. Hätte man nicht länger am Ball bleiben müssen?


Es gab auch in der Folge noch einige weitere Veranstaltungen und das Ziel, die O8 zu erledigen, haben wir und viele andere nie aufgegeben. Allerdings war von Anbeginn klar, dass die Kampagne nicht Selbstzweck werden soll, sondern eine Laufzeit hat, die irgendwann endet. Das heißt ja nicht, dass man hinschmeißt und die Sache auf sich beruhen lässt. Vielmehr haben sich vor, während und nach der Kampagne AntifaschistInnen mit der O8 beschäftigt. Manche ganz unabhängig von „Fence Off“, andere haben sich inspirieren lassen. Und in der Rückschau fällt auch auf, dass seitdem die Politszene im Leipziger Westen wächst. Das, was wir damals beitragen konnten, haben wir erreicht: Die Nazis sind an Grenzen gestoßen, die wir ihnen gezogen haben.

 
Daran ist die O8 allerdings nicht kaputtgegangen. Was hätte man anders machen müssen?


Unserer Marginalität waren wir uns immer bewusst, das ist allerorten die ärgerliche Generalbedingung des antifaschistischen Kampfes. Rückblickend würde ich sagen, dass wir das Beste daraus gemacht haben. Von außen ahnen viele Leute ja nicht, wie viel Zeit und Kraft es kostet, so eine Kampagne auf die Beine zu stellen.

Unsere Hoffnung war, dass ganz verschiedene Kreise das Label „Fence Off“ aufgreifen würden und sich die selbsterklärende Idee, das Nazizentrum durch viele Nadelstiche aufzureiben, also auf allen Ebenen Kontra zu geben, verselbständigen kann. Aber das hat, ganz ehrlich, im Grunde genommen gar nicht funktioniert.

 
Warum nicht? Einige Fence-Off-Termine waren sehr gut besucht, selbst von außerhalb.


Viele Leute, die uns durchaus positiv gegenüber standen, haben wie selbstverständlich erwartet, dass „die Kampagne“ zu irgendwas aufruft, man hingeht und dann ein fertiges Programm konsumieren kann. Die Mehrheit will „mitmachen“, aber nicht organisieren, schon gar nicht sich selbst. Auf so eine Haltung, dass man lieber auf andere wartet, stößt Antifa-Arbeit immer. Das haben wir nicht lösen können.


Ich kann mir vorstellen, dass unter anderen Bedingungen noch viel mehr möglich gewesen wäre. Dass die NPD jetzt die O8 aufgibt, ist nämlich das Ergebnis einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung, deren Ergebnis schon lange feststeht. Wenn man weiß, dass die Finanzierung die Achillesverse so eines Projekts ist, liegt die Überlegung nahe, nicht nur die Einnahmen zu schmälern. Tatsächlich ist es ja nie gelungen, dass sich die O8 durch einen Veranstaltungsbetrieb selbst finanzieren kann, einige Treffs dort wurden ganz einfach blockiert. Zusätzlich hätte man aber noch stärker überlegen müssen, wie man die Kosten für die Nazis zusätzlich in die Höhe treiben kann.

 
Juliane Nagel schreibt, die Schließung der O8 sei das Resultat jahrelanger antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Arbeit. Siehst du das auch so?


Zumindest der erste Teil ist wahr. Die NPD hat selbst beklagt, dass ihr Büro immer wieder „Angriffsfläche“ geboten hat und dadurch bis zuletzt nur von ganz eingeschränktem Nutzen sein konnte. Das ist ein hervorragendes Zeugnis für antifaschistisches Engagement.


Bei der so genannten Zivilgesellschaft liegt die Sache ganz anders, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Auf der einen Seite haben wir nämlich bei „Fence Off“ Unterstützung aus ganz unerwarteten Richtungen bekommen, wobei wir unsere Vorstellungen von linker Bündnispolitik weit gedehnt haben. Auf der anderen Seite waren jedoch bekannte Vereine und auch einzelne AkteurInnen der Zivilgesellschaft überhaupt nicht ansprechbar, auch wenn wir uns intensiv bemüht haben. Da kam klar durch, dass man uns für „Schmuddelkinder“ hält.

 
Hat euch das überrascht?


Beim Erich-Zeigner-Haus nicht. Bei der VVN-BdA sehr.

 
Bei der Kampagne wurde oft von „konsequentem Antifaschismus“ gesprochen. Bedeutet das am Ende, auf breitere Bündnisse zu verzichten und im Gegenzug auf aktive Teile der Antifa-Bewegung setzen zu müssen, die sich schnell verschleißen?


Nein. Wir hätten ein breiteres Bündnis gewollt und gut gebrauchen können. Wenn man erreichen will, dass Nazis isoliert werden, muss Druck auf allen Ebenen kommen, auch von Ebenen, auf denen wir sonst nicht präsent sind. Konsequenter Antifaschismus heißt einfach, es trotzdem zu versuchen. Den Verschleiß gab es dann mehr auf der Gegenseite.


Wenn sich die NPD oder andere Faschos in Leipzig wieder ein Objekt suchen, wird es erneut eine entschlossene Intervention brauchen. Das ist eine Frage der Zeit. Ich bin zuversichtlich, dass die Antifa-Bewegung dann die Erfahrungen der Fence-Off-Kampagne aufgreifen kann und sich endlich Gedanken um Strategie und Organisation macht.

 


 

Mehr zur Kampagne „Fence off“

  • Und sonst so… Weiterhin hat die Kampagne zahlreiche Infoveranstaltungen durchgeführt, Infoblätter und eine Jugendzeitschrift herausgegeben, das legendäre „Volkstod-Kondom“ verteilt, mehrere Demonstrationen teils durch eigene Blöcke unterstützt, einige Treffen in der O8 blockiert und erfolgreich gegen ein Konzert der Naziband „Kategorie C“ interveniert.
  • Trivia: Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) behauptete, die Kampagne sei „linksextrem“. Beweis sei die Verwendung des Emblems der Antifaschistischen Aktion, das zugleich das Logo der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) gewesen sei. Die geschichtsbewusste Kampagne klärte daraufhin das LfV schriftlich über den Unterschied von Rechteck und Kreis und das schon länger zurückliegende Ende der AA/BO auf.
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Nach dem selbstherrlichem Ausfall der linken Lokalpolitik ist das eine angenehm differenzierte Auswertung