Eine erste Bilanz des Gaza-Krieges

Auch nach sechs Wochen Dauer ist der jüngste und blutigste Krieg Israels gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens noch nicht vorbei. Die indirekten Verhandlungen blieben bislang ohne Ergebnis, da Israel seinen Wunschtraum nach Entwaffnung des Widerstandes ebenso wenig durchsetzen konnte wie die palästinensische Delegation ihre Forderungen nach einer Aufhebung der Gaza-Blockade, Freilassung der in den letzten Wochen verschleppten ca. 800 Bewohner des Westjordanlandes und Ausweitung der Fischereizone auf 12 Seemeilen. Daher bleiben die vereinbarten Feuerpausen kurzfristige und äußerst brüchige Übergangsphasen.

 

Nach gegenwärtigem Stand wurden bei Bombardements und Bodenoffensive von Netanjahus Truppen in Gaza 2.013 Palästinenser sowie ein italienischer Journalist getötet und mindestens 9.825 Menschen verletzt. Nach Angaben des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (PCHR), die sich mit UNO-Schätzungen decken, waren 1.675 der Getöteten Zivilisten, darunter mindestens 300 Kinder und nach Angaben des Internationalen Journalistenverbandes 14 Journalisten. ("Maan News Agency" 8.8.2014, 19:00 Uhr + CNN 13.8.2014) Diese Zahlen werden aller Wahrscheinlichkeit noch steigen, da sich – auch nach Aussage des Gaza-Korrespondenten des ZDF – in den am schwersten heimgesuchten Vierteln beißender Verwesungsgeruch verbreitet, was auf weitere, noch nicht geborgene Leichen unter den Trümmern hindeutet.

 

Zugleich erlitten auch die Besatzungstruppen so hohe Verluste wie lange nicht mehr. Netanjahu & Co. verloren mindestens 64 Soldaten, ca. 150 wurden verletzt. Drei israelische Zivilisten kamen ebenfalls ums Leben. Darüber hinaus zählte die UNO in ihren (vermeintlich sicheren) "Schutzräumen" 280.000 Menschen, die vor den Angriffen geflohen waren. Angesichts von mehr als 11.800 zerstörten Wohnhäusern (laut UNO) bleiben viele von ihnen auf Jahre hinaus obdachlos bzw. auf Notunterkünfte angewiesen. Außerdem wurden 141 öffentliche Schulen beschädigt und mehr als 350 Industriegebäude (darunter 50 Fabriken von zentraler Bedeutung) zerstört, um vom einzigen Kraftwerk des Gazastreifens oder den massiven Schäden an der Wasserversorgung gar nicht zu sprechen. Die Kosten für den Wiederaufbau bzw. die Wiederinstandsetzung der Krankenhäuser, Straßen, Schulen, Wasserleitungen, Energieerzeugung und übrigen Infrastruktur werden auf acht Milliarden US-Dollar veranschlagt. ("Maan News Agency" 12.8.2014, 11:43 Uhr)

 

Gleichzeitig ergab eine kurz nach Beginn der Waffenruhe am Dienstag, den 5. August 2014, durchgeführte Umfrage, dass 51% der Israelis das bisherige Resultat dieses Krieges als "Patt" betrachten, bei dem die ultrarechte Regierungskoalition der Herren Netanjahu, Lieberman, Bennett und Lapid ihre Ziele (die Zerschlagung des palästinensischen Widerstandes) nicht erreicht habe (ZDF-"heute journal" 6.8.2014).

 

Auch wenn die Kämpfe wieder aufgeflammt und Solidaritätsaktionen mit dem Kampf der Palästinenser weiter dringend notwendig sind, ist es Zeit für eine erste Bilanz. Der renommierte linke israelische Leitartikler der Tageszeitung "Haaretz", Gideon Levy, versuchte sie bereits in einem Interview der mitte-linken italienischen Tageszeitung "Europa" vom 24. Juli 2014 zu ziehen.

 

Der 1953 in Tel Aviv geborene Gideon Levy ist Politikwissenschaftler und arbeitete 1978 bis 1982 im Stab des damaligen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Arbeitspartei (Avoda) und späteren Staatspräsidenten Shimon Peres. Ab 1982 schreibt er für "Haaretz", mehrere Jahre lang auch als Chefredakteur. Für seine Analysen und Kommentare erhielt er diverse Auszeichnungen, unter anderem 1996 den Emil-Grünzweig-Preis für Menschenrechte von der Association for Civil Rights in Israel, 2003 den Leipzig Media Award, 2007 den Euro-Med Journalist Prize for Cultural Dialogue und im Mai 2012 den Peace Through Media Award. Bei den immer stärker werdenden rechtsradikalen zionistischen Parteien hingegen ist er verhasst wie kaum ein Anderer.

 

Gespräch mit dem Leitartikler der "Haaretz":

 

Gideon Levy: "Unsere beiden Völker kennen sich nicht mehr. Und Israel driftet nach rechts"

 

Alberto Mucci

 

Als Leitartikler der israelischen Tageszeitung "Haaretz" und einer der bekanntesten Kommentatoren des Palästina-Konfliktes ist Gideon Levy in Israel wie im Ausland eine umstrittene Figur. Der Journalist hat niemals mit Kritik an seiner Regierung gespart. Aus diesem Grund war er häufig Zielscheibe harter Polemiken und wurde mehrfach beschuldigt, ein Unterstützer der Hamas zu sein, das heißt der radikalen islamistischen Gruppe, die den Gaza-Streifen kontrolliert.

 

Einige Kritiker des israelischen Ministerpräsidenten hatten den Eindruck, dass Benjamin Netanjahu die Gelegenheit zu einem offenen Konflikt mit der Hamas hastig ergriffen habe. Ist das so?

 

"Nicht ganz, oder besser gesagt: Die Frage ist komplexer. Netanjahu wollte den Konflikt nicht, hat aber nichts getan, um ihn zu vermeiden. Ich erkläre das mal genauer: Die systematischen Hausdurchsuchungen unter der palästinensischen Bevölkerung nach der Tötung der drei israelischen Jugendlichen, die direkte Beschuldigung der Hamas, obwohl die Gruppe ihre Beteiligung von Anfang an bestritten hatte, die Verhaftung von 500 Aktivisten im Westjordanland ohne irgendeinen erkennbaren Grund, die Blockade der Gehälter von 40.000 öffentlich Bediensteten des Gaza-Streifens (die von Katar bezahlt werden; Anm. d. Red.) sowie die ohne irgendeine Unterbrechung fortgesetzte Siedlungspolitik."

 

Wieso konnte er sich nicht vorstellen, dass er damit eine Reaktion auslöst?

 

"Arroganz, Arroganz und nochmal Arroganz. Das übliche Verhalten der israelischen Regierungen und insbesondere von Netanjahu. Die glauben, sie könnten alles machen, ohne sich dafür verantworten zu müssen."

 

Was will Netanjahu?

 

"Zum vor den Bombardements herrschenden Status quo zurückkehren. Mit anderen Worten: eine relative Ruhe in den Besetzten Gebieten. Abu Mazen <alias Mahmud Abbas>, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, der fast alles tut, was ihm gesagt wird; die relative politische Isolation der Hamas und von Gaza; sowie die ungestörte Fortsetzung der Siedlungspolitik."

 

Will Netanjahu den Frieden?

 

"Nein, absolut nicht. Frieden bedeutet, die mehr als 500.000 Siedler, die heute auf palästinensischem Gebiet jenseits der Grenzen von 1967 wohnen, wieder zurückholen zu müssen. Das wäre politischer Selbstmord und Netanjahu hält sich weit davon entfernt."

 

In einem Interview in "Haaretz" beschrieb Dov Weinglass, die "graue Eminenz" von Ariel Sharon, im Jahr 2004 Israels Rückzug aus dem Gaza-Streifen als eine Strategie, die darauf abzielte, den Friedensprozess zu blockieren. Stimmen Sie damit überein?

 

"Nicht wirklich, weil ich Gaza noch immer für ein besetztes Gebiet halte. Besser gesagt: Es gibt zwei Methoden, um die Kontrolle über ein Territorium zu behalten. Die erste ist die direkte Besatzung, die zweite die indirekte Besatzung. Im Augenblick gilt in Gaza die zweite. Es gibt eine Abriegelung der Grenzen, der See, eine Blockade der Einfuhr von Gütern, die finanzielle Abhängigkeit und so weiter. Die Liste ließe sich fortsetzen."

 

Jedes Jahr zeigen die Umfragen, dass die Israelis immer weiter nach rechts rücken. Ist die Politik des Ministerpräsidenten ein Reflex dieser Entwicklungen?

 

"Daran besteht kein Zweifel. Seit ungefähr fünfzehn Jahren driftet das Land nach rechts. Ein Prozess, der während der zweiten Intifada (2000 - 2005) begann. Man muss nur daran denken, dass, wenn Israel vorher eine Integrationspolitik zwischen Palästinensern und Israelis verfolgte, auch wenn die erzwungen war, es sich nach der Intifada für eine komplette Trennung der beiden Völker entschied. Das Resultat? Heute gibt es Israelis, die noch nie Palästinenser kennengelernt oder mit ihnen gesprochen haben und umgekehrt."

 

Besteht die Gefahr einer neuen Intifada?

 

"Im klassischen Sinne des Begriffes vielleicht nicht, aber das, was im Gaza-Streifen stattfindet, ist auf seine Art eine Intifada. Nicht mehr und nicht weniger."

 

Wird das Regierungsabkommen zwischen Fatah und Hamas nach dem Konflikt halten?

 

"Ich kann Dir darauf keine präzise Antwort geben. Das Einzige, was ich sagen kann, ist, dass Hamas aus dem derzeit stattfindenden Krieg, dank des Images einer Widerstandsbewegung, gestärkt hervorgehen wird, während Fatah immer mehr wie eine dem Willen Israels gegenüber hörige Partei erscheint."

 

Wird "Schutzlinie" die letzte Militäroperation sein?

 

"Nein, weil am Ende des Konfliktes nichts gelöst und alles so sein wird wie vorher. Nicht zufällig sind die Kriege mit der Hamas seit Jahren zyklisch: 2009 "Gegossenes Blei", 2012 "Verteidigungspfeiler" und jetzt "Schutzlinie". Bis zum nächsten muss man nur ein paar Jahre warten."

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:   Gewerkschaftsforum Hannover

 

Kontakt: gewerkschaftsforum-H@web.de

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die kausalität, als auch die frage nach verantwortung und veranwortlichkeit im hinblick auf die mutualen aggressionen, kann nicht einfach in typischen dogmen evaluiert werden.

wenn die progressiv-pazifistische linke, auch nach der degradierung durch systemkonforme "linke" parteien, weiter die avangarde der, jenseits der tradeunioistisch denkenden semi-sozialisten, darstellen möchte, muss eine exakte reflexion des ist-zustandes einer eruierung der gegenwärtigen situation im gaza voraus gehen.

erst wenn die fundamentale und elementare selbstkritik erfolgt ist, kann ein prosperierender diskurs evtl. in einen tragfähigen konsens gegossen werden.

die gegenwärtige sezession der deutschen linke, welche eine weitreichende in ganz europa zu spürende tension inhärent mit sich führte, kann nur durch in ggs repekt statt findenen shout outs statt finden

die okkupation der originär durch die antiimperialistische linke orthodoxer prägung geschaffene friedensbewegung durch eine reaktionär dezidiert prozionistische personenkohorte, die weder als eine alters-kohorte noch als aus sich selbst hgeraus entsandene peergroup gewertete werden kann, muss sich der immanenz ihres agierens auch weit weg von klandestinen und informellen strukturen bewusst sein.

die fission der genuin zusammen gehörenden pole der deutschen und intenationalen linke kann nicht durch die ambiguität und ambivalenz der durch hierachisierung (!!!) erzeguten gruppen in einen konsens gebttet werden, der, da kryptisch, doch nur die genese für den nächsten dissonaz-reigen sein wird.

der nukleus der heutigen kaum mehr als sozialistisch zu begreifdenen aber auch noch nicht vollends in den syndikalismus abgeglittenen linken kann nur regenerieren, wenn larmoyanz und selbstgenuss nicht mehr anankastisch an den mesnchen haften würde, die in einer -dem kategorischen imperativ ähnlichen- phase der selbsterneuerung sind.

der umsichgreifende strukturelle und non-strukturelle proto-faschismus zwingt einen jetzt zu einer neuen entente (vgl. der kommende aufstand!!!).

sollte die scheitern, werde wir die folgen nicht mehr abmildern können.

 

das (!) sollte vorher bedacht werden, bevor mensch sich um den eigentlichen sachverhelt bemüht!

 

Das, was du geschrieben hast, ist richtig, aber wer soll denn ein zusammen rücken und einen freidlichen und versöhnlichen "shout-out" herbei führen?

Hingeschmiere ohne Substanz - das sich an diesen Unsinn überhaupt jemand als ideologisch-taktischen Wegweiser halten will, ist nur noch brachiale Witzigkeit.

 

Ansonsten mehr Fremdwörter, mehr Fremdwörter für den Semisozialismus und dessen Halbfreunde.