„Nieder mit dem Lohnsystem!“

Über die Ein­heit des po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Klas­sen­kampfs

Pe­ri­odisch, ins­be­son­de­re in Kri­sen­zei­ten, steigt die Sen­si­bi­li­tät ge­gen­über Fra­gen einer Klas­sen­kampf­po­li­tik, die sich der Über­win­dung der herr­schen­den Ver­hält­nis­se ver­schrie­ben hat. Das ist auch nicht ver­wun­der­lich, da der „Ur-​Kon­flikt“ um die Re­pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen der Ware Ar­beits­kraft vor der Ab­schaf­fung der ka­pi­ta­lis­ti­schen Wa­ren­ge­sell­schaft un­lös­bar ist.

 

In den letz­ten Jah­ren ist ein ver­stärk­tes In­ter­es­se an re­vo­lu­tio­när-​unio­nis­ti­schen und rä­te-​kom­mu­nis­ti­schen An­sät­zen fest­stell­bar. Ein „Trend“, der sich hof­fent­lich ver­stärkt und ver­schüt­te­tes Ma­te­ri­al ans Ta­ges­licht einer links­ra­di­ka­len De­bat­te um Fra­gen ge­sell­schaft­li­cher Al­ter­na­ti­ven be­för­dert, die die Auf­he­bung des re­al­exis­tie­ren­den Ka­pi­ta­lis­mus zum Ziel haben.

 

Über die Ver­qui­ckun­gen im wirt­schafts-​po­li­ti­schen Kampf

Die ver­ein­fach­te Zu­ord­nung, wo­nach der öko­no­mi­sche Kampf von (so­zi­al­part­ner­schaft­li­chen) Ge­werk­schaf­ten und der po­li­ti­sche Kampf von (par­la­men­ta­ri­schen) Par­tei­en ge­führt wird, hat sich über lange Zeit­räu­me tief in un­se­rem Ver­ständ­nis ver­an­kert.

Die Ge­werk­schaft ist dem­zu­fol­ge die Or­ga­ni­sa­ti­on der ge­sam­ten Ar­bei­te­rin­nen­klas­se. Das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um für die Mög­lich­keit der Mit­glied­schaft in der Ge­werk­schaft ist die Zu­ge­hö­rig­keit zur Ar­bei­te­rin­nen­klas­se. An­ders in der (par­la­men­ta­ri­schen) Par­tei, die die An­hän­ge­rin­nen einer be­stimm­ten po­li­ti­schen Rich­tung ideo­lo­gisch Gleich­ge­sinn­ter or­ga­ni­siert.

Öko­no­mi­sche Kämp­fe kön­nen ein Hebel für den po­li­ti­schen Kampf sein. Jene Aus­ein­an­der­set­zun­gen haben immer dann eine po­li­ti­sche Di­men­si­on, wenn sie die In­ter­es­sen der Lohn­ab­hän­gi­gen und Be­schäf­tig­ten in einer Form durch­zu­set­zen ver­su­chen, die „all­ge­mei­ne, ge­sell­schaft­li­che zwin­gen­de Kraft be­sitzt.“ (MEW 33/333). Ein Bei­spiel: Strei­ken­de re­du­zie­ren ihre (ta­rif­li­chen) Aus­ein­an­der­set­zun­gen oft auf einen nur-​öko­no­mi­schen As­pekt. Dabei liegt unser In­ter­es­se darin, das po­li­ti­sche Es­ka­la­ti­ons­po­ten­ti­al, was in Strei­k­aus­ein­an­der­set­zun­gen liegt, frei­zu­le­gen.

Ein auf reine Lohn­for­de­run­gen be­grenz­ter Kon­flikt be­kommt dann eine po­li­ti­sche Stoß­rich­tung, wenn er den Preis der Ware Ar­beits­kraft weit über ihren Wert hoch­treibt. Eine ge­wich­ti­ge Her­ab­set­zung der Pro­fi­tra­te und eine Er­hö­hung der Lohn­ra­te gehen unter sonst glei­chen Be­din­gun­gen auf Kos­ten der Pro­fi­tra­te und rufen in­ner­halb des ka­pi­ta­lis­ti­schen Ak­ku­mu­la­ti­ons­sys­tems unter Um­stän­den kri­sen­ähn­li­che Er­schei­nun­gen her­vor.

Jeder öko­no­mi­sche Kampf trägt ein Mo­ment einer sol­chen Kon­fron­ta­ti­on, den Keim des Klas­sen­kamp­fes in sich. Al­lein die­ser Hin­weis soll­te aus­rei­chen, um die Ver­bin­dung zwi­schen öko­no­mi­schem und po­li­ti­schem Kampf, d.h. ihre wech­sel­sei­ti­ge Durch­drin­gung be­greif­lich zu ma­chen.

Die Ge­werk­schaf­ten zie­hen Teile mit­un­ter in­dif­fe­ren­ter Lohn­ab­hän­gi­ger in die po­li­ti­sche Be­we­gung hin­ein, so­fern sie sich in Bünd­nis­kon­stel­la­tio­nen im Rah­men von so­zia­len Pro­tes­ten en­ga­gie­ren. In der Ak­ti­ons­ein­heit ver­bin­den sich di­ver­se In­itia­ti­ven, die sonst un­ab­hän­gig bzw. iso­liert von­ein­an­der wir­ken.

Al­ler­dings ist eine of­fen­siv vor­ge­tra­ge­ne Po­li­ti­sie­rung öko­no­mi­scher Kämp­fe bei den eta­blier­ten „Links­kräf­ten“ in ge­werk­schaft­li­chen und par­tei­po­li­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen nicht im Blick. Dem­zu­fol­ge ver­misst man das not­wen­di­ge Maß an Ra­di­ka­li­tät in der In­ter­es­sen­ver­tre­tung der Be­schäf­tig­ten und Lohn­ab­hän­gi­gen.

 

Über das ka­pi­ta­lis­ti­sche Lohn­sys­tem

Cha­rak­te­ris­tisch für den Ka­pi­ta­lis­mus ist die Krea­ti­on der dop­pelt­frei­en Lohnar­bei­te­rIn­nen. Das Ka­pi­tal schafft den frei­en Lohnar­bei­ter mit der Dop­pel­be­stim­mung, „dass er als freie Per­son über seine Ar­beits­kraft als seine Ware ver­fügt“, also in die­sem Sinn den an­de­ren Wa­ren­käu­fe­rin­nen gleich­ge­stellt ist –, dass er aber zu­gleich „and­rer­seits andre Waren nicht zu ver­kau­fen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Ver­wirk­li­chung sei­ner Ar­beits­kraft nö­ti­gen Sa­chen“ (MEW 23/183), dass er also die Pro­duk­ti­ons­mit­tel des Ka­pi­ta­lis­tin­nen braucht, um pro­du­zie­ren zu kön­nen, dass er seine Ware, die Ar­beits­kraft, ver­kau­fen muss, wenn er ein le­bens­not­wen­di­ges Aus­kom­men haben will.

Das Ka­pi­tal hat unter dem Zwang der Kon­kur­renz­si­tua­ti­on auf dem Markt zwin­gend die Ten­denz, den Preis der Ware Ar­beits­kraft, den Preis ihrer Re­pro­duk­ti­ons­kos­ten, unter deren Wert zu drü­cken.

Mehr­fach kenn­zeich­net Marx in prä­gnan­ten Sen­ten­zen den Dop­pel­cha­rak­ter ge­werk­schaft­li­cher Auf­ga­ben. Ins­be­son­de­re in „Lohn, Preis und Pro­fit“, wo er ei­ner­seits von dem „un­ver­meid­li­chen Klein­krieg“ spricht, den die Ge­werk­schaf­ten füh­ren müs­sen, an­de­rer­seits ihnen aber zu­ruft, sie dür­fen in die­sem Klein­krieg nicht auf­ge­hen, sie müss­ten „auf ihr Ban­ner die re­vo­lu­tio­nä­re Lo­sung schrei­ben: ‚Nie­der mit dem Lohn­sys­tem!‘“ (MEW 16/152) „Ge­werk­schaf­ten“, so Marx wei­ter aus­füh­rend, „tun gute Diens­te als Sam­mel­punk­te des Wi­der­stands gegen die Ge­walt­ta­ten des Ka­pi­tals. Sie ver­feh­len ihren Zweck zum Teil, so­bald sie von ihrer Macht einen un­sach­ge­mä­ßen Ge­brauch ma­chen. Sie ver­feh­len ihren Zweck gänz­lich, so­bald sie sich dar­auf be­schrän­ken, einen Klein­krieg gegen die Wir­kun­gen des be­ste­hen­den Sys­tems zu füh­ren, statt gleich­zei­tig zu ver­su­chen, es zu än­dern, statt ihre or­ga­ni­sier­ten Kräf­te zu ge­brau­chen als einen Hebel zur schließ­li­chen Be­frei­ung der Ar­beits­klas­se, d.h. zur end­gül­ti­gen Ab­schaf­fung des Lohn­sys­tems.“ (ebd.)

In den „In­struk­tio­nen“ be­tont er eben­falls die Not­wen­dig­keit die­ses „Klein­kriegs“ „so­lan­ge die heu­ti­ge Pro­duk­ti­on be­steht.“ Die Ge­werk­schaf­ten soll­ten al­ler­dings be­grei­fen, „wel­che Kraft sie im Kampf gegen das Sys­tem der Lohns­kla­ve­rei selbst dar­stel­len.“ (MEW 16/197)

Eine Pro­duk­ti­ons­wei­se, die auf Lohnar­beit ba­siert, d.h. die Ar­beits­kraft als Ware und den Wert die­ser Ware als Grund­la­ge aller Wirt­schafts­be­zie­hun­gen be­trach­tet, kann nur zu einer Mehr­wertab­pres­sung und Aus­beu­tung der Lohn­ab­hän­gi­gen füh­ren. Eine Na­tio­na­li­sie­rung der Pro­duk­ti­ons­mit­tel bei Bei­be­hal­tung des Lohn­sys­tems, wie sie in den Län­dern des ehe­ma­li­gen Ost­blocks von stat­ten ging, führt al­len­falls zu einer staats­ka­pi­ta­lis­ti­schen Va­ri­an­te des Aus­beu­tungs­me­cha­nis­mus.

Über den Cha­rak­ter der Ge­werk­schaf­ten

Ge­werk­schaf­ten be­we­gen sich zwi­schen zwei Polen: in der Regel fün­gie­ren sie als Ord­nungs­fak­tor und in Aus­nah­me­fäl­len ver­sprü­hen sie einen Hauch von Ge­gen­macht.

Ka­pi­tal­ver­bän­de und Ge­werk­schafts­vor­stän­de agie­ren im Kon­text der Stand­ort­kon­kur­renz der „na­tio­na­len Wett­be­werbs­staa­ten“ Hand in Hand: „Ein gro­ßer Plus­punkt in Deutsch­land“, so der BDI-​Chef Ul­rich Gril­lo, „ist die star­ke Ta­rif­part­ner­schaft. Darum be­nei­den uns viele im Aus­land. Ge­werk­schaf­ten und BDI wol­len das Land vor­an­brin­gen […].“ (FAZ, 11.​3.​14)

In sei­nem Text­bei­trag „Das Elend der Phi­lo­so­phie“ be­nennt Marx den „dop­pel­te[n] Zweck“ der Ge­werk­schaf­ten, näm­lich „die Kon­kur­renz der Ar­bei­ter unter sich aus­zu­he­ben, um dem Ka­pi­ta­lis­ten eine all­ge­mei­ne Kon­kur­renz ma­chen zu kön­nen.“ (MEW 4/180) Und diese Zwei­deu­tig­keit der Ge­werk­schaf­ten drückt sich fer­ner in deren Be­we­gungs­for­men aus, die ihrer Kon­zep­ti­on ent­spre­chen. Ei­ner­seits exis­tiert die Be­we­gung, die Kon­kur­renz in­ner­halb des Pro­le­ta­ri­ats auf­zu­lö­sen und an­de­rer­seits wird über die Ta­rif­po­li­tik ein un­ver­meid­li­cher Rück­fall in die Kon­kur­renz der­Ar­bei­te­rin­nen un­ter­ein­an­der be­trie­ben.

Von den klas­sen­kämp­fe­ri­schen und so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Ma­xi­men eines pro­le­ta­ri­schen Be­frei­ungs­pro­zes­ses fin­det sich in der prak­ti­schen Um­set­zung der ge­werk­schaft­li­chen Ta­ges­po­li­tik fak­tisch nichts. En­gels kri­ti­siert, dass die Ge­werk­schaf­ten das ka­pi­ta­lis­ti­sche Lohn­sys­tem nicht fun­da­men­tal in Frage stel­len und Ihre avant­gar­dis­ti­sche Rolle in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten las­sen, (vgl. MEW 19/253). Die Ak­teu­rin­nen in den ge­werk­schaft­li­chen Pla­nungs­stä­ben ver­le­gen die Haupt­ak­ti­vi­tät statt­des­sen auf die klein­tei­li­gen Ver­hand­lungs­run­den im ta­rif­li­chen Lohn­sys­tem.

Die In­ter­es­sen­ver­tre­tung der Lohn­ab­hän­gi­gen er­folgt in ers­ter Linie in sei­ner ver­ding­lich­ten Form, näm­lich als Ware Ar­beits­kraft. Die vor­dring­li­che Auf­ga­be be­steht dem­nach im Aus­han­deln eines „guten Prei­ses“ für die Ar­beits­kraft­ware. Die­ser er­ziel­te Lohn wird zur quan­ti­ta­ti­ven Maß­ein­heit, die sich in einer fi­xier­ten Summe von Geld aus­drückt. Ge­werk­schaf­ten sind die „Preis­aus­fech­ter“ der Be­schäf­tig­ten, die Ver­kauf­sa­gen­tur der Ware Ar­beits­kraft. Somit be­we­gen sie sich an der Ober­flä­che des un­glei­chen ka­pi­ta­lis­ti­schen Wa­ren-​Aus­tausch-​Ver­hält­nis­ses.

Es hilft alles nichts: Un­ver­kenn­bar ist die Markt­funk­ti­on der Ko­ali­ti­on der Lohn­ab­hän­gi­gen in der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Form der Ge­werk­schaf­ten die zen­tra­le Funk­ti­on der Be­rufs­ver­tre­tun­gen: eine durch und durch in­ner­ka­pi­ta­lis­ti­sche Funk­ti­on. Ge­werk­schaf­ten funk­tio­nie­ren als In­sti­tu­ti­on von Klas­sen­kom­pro­miss und So­zi­al­part­ner­schaft. Sie stel­len kei­nen „Ramm­bock“ gegen die Fun­da­men­te des ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­bäu­des dar, son­dern bil­den eine tra­gen­de Säule des­sel­ben.

Die Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen des DGB ver­hal­ten sich als Ver­fech­ter der ka­pi­ta­lis­ti­schen Wa­ren­ge­sell­schaft ver­meint­lich par­tei­po­li­tisch neu­tral, ohne dies al­ler­dings als po­li­ti­schen Neu­tra­lis­mus aus­ge­ben zu wol­len. Die DGB-​Füh­rungs­eta­ge drückt ihre „Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz“ durch und wacht vol­ler Arg­wohn dar­über, dass das Credo der kon­zer­tier­ten Ak­ti­on un­an­ge­tas­tet bleibt.

 

Über die his­to­ri­sche Vor­la­ge der Ein­heits­or­ga­ni­sa­ti­on

Die im Herbst 1921 aus einem Li­ni­en­streit in­ner­halb der Kom­mu­nis­ti­schen Ar­bei­ter­par­tei Deutsch­lands (KAPD) und der ihr na­he­ste­hen­den All­ge­mei­nen Ar­bei­ter­uni­on Deutsch­lands (AAUD) her­vor­ge­gan­ge­ne All­ge­mei­ne Ar­bei­ter­uni­on – Ein­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (AAU-E) fa­vo­ri­sier­te die struk­tu­rel­le Zu­sam­men­füh­rung des po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Klas­sen­kamp­fes in einer Or­ga­ni­sa­ti­on. Somit konn­te die dog­ma­ti­sche Trenn­li­nie zwi­schen öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen Kon­flikt­fel­dern durch­bro­chen wer­den.

In den „Grund­le­gen­de[n] Richt­li­ni­en für die AAL) (Ein­heits­or­ga­ni­sa­ti­on)“, die auf der ers­ten Reichs­kon­fe­renz im Ok­to­ber des tur­bu­len­ten Jah­res 1921 ver­ab­schie­de­tet wur­den, wird in der Auf­ga­ben­stel­lung ex­pli­zit „die Zer­trüm­me­rung der Ge­werk­schaf­ten und der po­li­ti­schen Par­tei­en“ fi­xiert.

Otto Rühle, einer der ein­fluss­reichs­ten Stich­wort­ge­ber des Ar­bei­te­rin­nen-​Unio­nis­mus, führt in sei­nem pro­gram­ma­tisch ge­hal­te­nen Bei­trag unter dem Titel „Von der bür­ger­li­chen zur pro­le­ta­ri­schen Re­vo­lu­ti­on“ (1924) die Leit­li­ni­en des Selbst­ver­ständ­nis­ses der AAU-E des ost­säch­si­schen Wirt­schafts­be­zirks aus. U.a. schreibt er: „Von der Auf­fas­sung aus­ge­hend, dass sich Wirt­schafts­fra­gen und po­li­ti­sche Fra­gen nicht künst­lich tren­nen las­sen, ist die AAUE weder Ge­werk­schaft noch Par­tei, son­dern die Ein­heits­or­ga­ni­sa­ti­on des Pro­le­ta­ri­ats.“ „Um die Ein­heits­front der pro­le­ta­ri­schen Klas­se her­zu­stel­len“, so Rühle fort­fah­rend, „or­ga­ni­siert die Union alle Ar­bei­ter, die sich zu ihren Zie­len be­ken­nen, an den Pro­duk­ti­ons­stät­ten, den Be­trie­ben. Alle Be­triebs­or­ga­ni­sa­tio­nen schlie­ßen sich zur Union auf der Basis des Rä­te­sys­tems zu­sam­men.“

Das Uni­ver­sa­le eines klas­sen­spe­zi­fi­schen Um­wäl­zungs­pro­zes­ses drückt sich nach dem von Rühle trans­por­tier­ten AAU-​E-​Ver­ständ­nis darin aus, „daß die pro­le­ta­ri­sche Re­vo­lu­ti­on keine Par­tei-​ und Ge­werk­schafts­sa­che ist, son­dern ein Werk der gan­zen pro­le­ta­ri­schen Klas­se.“

Die Ziel­set­zung einer kom­mu­nis­ti­schen Ge­sell­schafts­form ist nur im Rah­men eines in­ter­na­tio­na­len pro­le­ta­ri­schen Be­frei­ungs­kamp­fes denk- und um­setz­bar, in einer „Zu­sam­men­fas­sung des ge­sam­ten re­vo­lu­tio­nä­ren Welt­pro­le­ta­ri­ats zu einer Rä­te-​In­ter­na­tio­na­le“.

An die­ser Stel­le soll aber auch nicht ver­nach­läs­sigt wer­den, dass der deut­sche Ar­bei­te­rin­nen-​Unio­nis­mus kei­nes­falls eine ho­mo­ge­ne Strö­mung in­ner­halb des kom­mu­nis­ti­schen Be­we­gungs­spek­trums war. Ein in­halt­li­cher Kon­flikt­stoff, ein prak­ti­scher Me­tho­den­streit und eine or­ga­ni­sa­to­ri­sche Mo­dell­viel­falt präg­ten und lähm­ten zu­wei­len das unio­nis­tisch-​rä­te­kom­mu­nis­ti­sche Mi­lieu. Die Nach­wir­kun­gen sind bis heute spür­bar …

 

Über das End­ziel der Eman­zi­pa­ti­on

Das End­ziel der pro­le­ta­ri­schen Be­we­gun­gen ist die öko­no­mi­sche Eman­zi­pa­ti­on der Klas­se der Lohn­ab­hän­gi­gen, Be­schäf­tig­ten und Be­schäf­ti­gungs­lo­sen, dem sich jede po­li­ti­sche Be­we­gung mit Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen un­ter­zu­ord­nen hat. Im Er­geb­nis steht eine staa­ten­lo­se und klas­sen­lo­se Ge­sell­schaft, in der selbst die Klas­se des Pro­le­ta­ri­ats zu exis­tie­ren auf­hört. Die­ser „Ma­xi­ma­lis­mus“ kol­li­diert be­kannt­lich oft mit den vor­ge­fun­de­nen Be­ge­ben­hei­ten.

Wir wan­deln als re­vo­lu­tio­när-​unio­nis­ti­sche und rä­te-​kom­mu­nis­ti­sche Ak­ti­vis­tin­nen auf einem schma­len Pfad, wenn wir die von den so­zi­al­re­for­me­ri­schen Ge­werk­schaf­ten über­nom­me­ne Rolle der Aus­hand­lung von Ta­rif­ver­trä­gen igno­rie­ren wür­den. Das hieße ei­ner­seits an der ele­men­ta­ren Be­dürf­nis­la­ge der Lohn­ab­hän­gi­gen vor­bei zu zie­len und an­de­rer­seits den Preis der Ware Ar­beits­kraft al­lein dem ka­pi­ta­len Pro­fit­in­ter­es­se zu über­las­sen.

Ob­gleich qua­li­ta­ti­ve For­de­run­gen nach einer Kon­trol­le der Be­schäf­tig­ten über ihre Ar­beits­be­din­gun­gen, ins­be­son­de­re die Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on, keine Ga­ran­tie für eine Po­li­ti­sie­rung der Kämp­fe und des Be­wusst­seins sind, so ist diese Po­li­ti­sie­rung doch bei jenen Kämp­fen wahr­schein­li­cher als bei quan­ti­ta­ti­ven Lohn-​For­de­run­gen. Aber auch hier kann die Quan­ti­tät in Qua­li­tät um­schla­gen. Lohn­kämp­fe, die in dem Be­wusst­sein ge­führt wer­den, eine be­deu­ten­de Sen­kung der Mehr­wert-​ und Pro­fi­tra­te her­bei­füh­ren zu wol­len, bre­chen aus dem star­ren ta­rif­ver­trag­li­chen Mus­ter aus. Im­mer­hin.

Die Be­we­gungs­ge­set­ze der Kon­kur­renz un­ter­lau­fen wir al­ler­dings nicht, indem wir die Ar­beits­kraft in den so­zi­al­part­ner­schaft­li­chen Ge­werk­schaf­ten mo­no­po­li­sie­ren; viel­mehr ver­hal­ten wir uns sys­tem­im­ma­nent. Die Po­si­ti­on des Ka­pi­tals ist in die­ser „Sys­te­maus­ein­an­der­set­zung“ von vorn­her­ein eine über­le­ge­ne, da der freie Lohnar­bei­ter und die freie Lohnar­bei­te­rin schließ­lich in­te­gra­le Be­stand­tei­le des Ka­pi­tal­ver­hält­nis­ses sind.

Eine voll­gül­ti­ge Ver­tre­tung der pro­le­ta­ri­schen Klas­se in Fra­gen des Kamp­fes gegen das Lohn­sys­tem ist nur aus­führ­bar, falls sich die Lohn­ab­hän­gi­gen in ihrer Ge­samt­heit selbst­stän­dig ohne ge­werk­schafts­bü­ro­kra­ti­sche „Vor­tur­ner“ or­ga­ni­sie­ren. Das be­deu­tet, die in­ner­pro­le­ta­ri­schen Spal­tungs­li­ni­en, die in der ge­werk­schaft­li­chen Zer­glie­de­rung des Pro­le­ta­ri­ats nach In­dus­trie­ver­bän­den oder gar Be­rufs­grup­pen lie­gen, auf­zu­he­ben. Hier kommt der An­satz der One big union der In­dus­tri­al Wor­kers of the World (IWW) ins Spiel.

Wir haben den Ge­dan­ken­gang in sei­ner Kon­se­quenz zu Ende zu füh­ren: die Funk­ti­on der Ge­werk­schaf­ten liegt in der mo­de­ra­ten Pro­test­ven­ti­lie­rung und Sys­tem­sta­bi­li­sie­rung. Ge­werk­schaf­ten sind als Sys­tem­sta­bi­li­sa­tor ein In­stru­ment, wel­ches im Boden des Ka­pi­ta­lis­mus fest in­stal­liert ist. Aus ihnen einen Ka­ta­ly­sa­tor für so­zia­len Pro­test und Wi­der­stand ma­chen zu wol­len, kommt einer Qua­dra­tur des Krei­ses gleich.

Wenn man die Frage des ka­pi­ta­lis­ti­schen Lohn­sys­tems aus einem ent­schie­den rä­te-​kom­mu­nis­ti­schen Blick­win­kel prak­tisch zu be­ant­wor­ten ver­sucht, so liegt das Grund­übel nicht in zu nied­ri­gen Löh­nen, son­dern im Lohn­sys­tem an sich. Eine As­so­zia­ti­on frei­er und glei­cher Pro­du­zen­tin­nen ist nur unter der Vor­aus­set­zung um­setz­bar, wenn die Lohnar­beit und die dar­über ver­mit­tel­te Kon­kur­renz­si­tua­ti­on unter den Ver­käu­fe­rin­nen der Ware Ar­beits­kraft auf­ge­ho­ben ist. Das führt uns laut­hals zur Aus­gangs­pa­ro­le: „Nie­der mit dem Lohn­sys­tem!“

 

strike! Streitschrift für revolutionären Unionismus und Rätekommunismus

 

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Mai 2014

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