1. Mai Berlin - Von Bullen, Akteuren und Bässen

Maus im Rad

Da der Frust tief sitzt bei den atomisierten Individuen des Empire und da sich soviele zeitig am Abend des 1. Mai in Richtung Lausitzer Platz aufgemacht hatten, begann die 18:00 Uhr Demo dieses Jahr mit einer rekordverdächtigen Verspätung von nur einer halben Stunde. Gemächlich setzte sich der Zug in Bewegung, vorneweg eine halbe Hunderschaft ohne Helm.


Hinter den roten Fahnen an der Spitze die üblichen verbalradikalen Satzbausteine vom Lauti, einiges weiter hinten die wiedervereinigte Kampagnenlinke von UG und IL mit ihren modischen Regenschirmen. Der black dress code bloc trottet hinterher, ein paar Auswärtige nehmen die Sache ernst und ziehen ihre Tücher hoch.

An der Ecke Mariannen/Kottbusser Strasse turmt das SEK sinnfrei auf dem Dach herum, ein Fotograf der Nazis erhält einen Platzverweis. Am Kottbusser Damm haben sich die Banken verrammelt, die einladend ungesicherte Woolworth Filiale zeigt, wie überflüssig das ist.

Einige wollen das schwarze Outfit nicht nur spazierentragen und verlassen den öden black dress code bloc um weiter vorne Betätigungsfelder zu suchen. Eine auswärtige Bulleneinheit rangiert panisch ihre Fahrzeuge run, nachdem ACAB auf einen ihrer GrKW getaggt worden ist und Florida Kandt schickt seine Eliteeinheiten (23., 22. und BFE der Bundesbullen) los, die links von der Demo in schnellem Schritt nach vorne eilen. Auf der Gneisenaustrasse kassieren die Bullen einige Steine und Flaschen, der Lauti unterbricht sein Werbeprogamm der Klassiker der vulgärkommunistischen Verlautbarungen, um überraschend festzustellen, "dies sei kein Sonntagsspaziergang".

Die Bullen nehmen seitlichen Kontakt mit der Demospitze auf, würden gerne mal so richtig reingehen, daran hindern sie aber der überraschend tatkräftige Widerstand des mittlerweile bunten Völkchen an der Spitze sowie die Zwänge ihres taktischen Konzept. Der Zug soll unbedingt in den vorbereiteten Kessel an der SPD Zentrale reinlaufen, dafür sind alle Querstrassen von massiven Bulleneinheiten besetzt. In der Zossner dann doch einige Festnahmen, dann gehts es weiter, auch vereinzelte Vollvermummmte bleiben unangetastet, obwohl die Bullen direkt daneben laufen.

Am Ufer dann der Grund für das Lob der Bullen über die Kooperationsgespräche mit den Demo- Organisatoren. Mit Wannen und Gittern, unterstützt von den natürlichen Gegebenheiten Kanal und Neubaublock, ist ein Spitzen- Szenario für die Taktikfüchse der Einsatzleitung kreiert worden. 20.000 Menschen finden sich eingepfercht und handlungsunfähig wieder, warum die ursprüngliche Routenplanung über den Mehringdamm auf Bitten der Bullen verändert worden ist, versteht jetzt auch der Letzte.

So strömen schnell immer mehr Leute weg, etliche machen sich auf den Weg zu Fuss nach 36, wobei die eine oder andere Baustellenabsperrung noch ihren Weg auf die Fahrbahn findet. Andere drängen in die vollbesetzten Züge, die selbstverständlich an den Stationen Kotti und Görlitzer durchfahren. Die letzten beissen die Hunde und so stürmen die Bullen den Hochbahnhof, sprühen Pefferspray und teilen aus, die paar Flaschenwürfe tangieren sich nicht.

Am Kotti zeigen die Bullen, dass sie mit der Zeit gehen und haben neben ihren Lichtmasten modische Riesen-LED -Leuchten istalliert, die den Kreisverkehr taghell ausleuchten. Gegen 23:00 Uhr startet die traditionelle Kottiparty mit dem ersten Böller auf die hinter den Absperrgittern postierten Bullen. Am Anfang sind alle eigentlich noch Publikum, das jeder vereinzelten Flasche, die ihren Weg in Richtung Bullen findet, herzlichen Beifall spendet. Doch das Konzept des moderen Theaters bahnt sich auch am Kotti den Weg und so werden aus Zuschauern Akteure.

"Ganz Berlin hasst die Polizei" wird zum Ruf und Motto des Abends und die Stimmung wird prächtig. Trotz Glasflaschenverkaufverbot im Gebiet des Myfest finden sich immer mehr Flaschen ein, die geleert ihren Weg in Richtung Uniformierte finden, die ganze Breite der modernen Pyrotechnik mit Licht-und- Soundeffekten kommt zum Einsatz. Verunsicherte Bullen aus dem Schwabenland gehen tatsächlich noch mit Schildern in die Menge , eine skurrile Fünfertruppe irgendeiner Lehrabteilung der Berliner Bullen in viel zu grossen Uniformen tastet sich immer wieder ängstlich diurch die Menge.

Die Einsatzleitung hat die Schnauze voll und schickt ihre besten Jungs. Die laufen grimmig schauend in grossen Gruppen durch die Menge, können aber auch keine Effekte erzielen. Aus dem Lautsprecherwagen der Bullen die hilflose Durchsagen, die Veranstaltung sei beendet, aber um solche Nebensächlichkeiten hat sich die Kottiparty noch nie geschert. Eine Räumung in Richtung Oranienstrasse verbietet sich von selber, weil da dort das elterlich alimentierte Mittelklassenpartyvolk zu Technomukke zappelt.

Unterdessen haben sich ein paar Hundertschaften unter das Kottivolk gemischt, dass im Gegensatz zur Denunzination der ARAB überwiegend nicht aus besoffenen Idioten besteht. Hier sind vor allem jede Menge Leute unterwegs, die noch jung genug sind, nicht damit zufrieden zu sein, der Dienstleister oder Müllhinterherräumer mit Migrationshintergrund für das arische Mittelstandspack zu sein, das dabei ist, sich 36 unter den Nagel zu reissen. Im mittlerweile strömenden Regen erreicht die Stimmung ihren Siedepunkt, die Bullen haben es immer schwerer, hier werden ihnen noch ehrliche Faustkämpfe angeboten, wenn sie meinen, zu sehr einen auf Dicken machen zu können. Und im Gegensatz zu dem meisten Gelegenheiten bei den üblichen linken Demos schlagen sie hier diese Einladungen aus.

Am Ende der Nacht sind fast alle zufrieden. Die politische Klasse und die Medien über die Überschaubarkeit der Auseinandersetzungen. Die Bullen, wil ihr taktisches Konzept weitgehend aufgegangen ist. ARAR und ALB, sowie ihre Follower von SDAJ und Co, weil sie mal wieder vor 20.000 Leuten herlaufen konnten und die Unkosten u.a. mit Staatskohle für das Barrio Antifaschista eingespielt werden. Die narzistischen Autisten, die ihren Lifestyle mit Hedonismus verwechseln, weil sie vor authentischer Kulisse auf dem Myfest für lau abfeiern konnten, ohne befürchten zu müssen, von einem Türsteher als uncool abgewiesen zu werden.

Zurück bleiben wir.

Die bis in die Nacht das Wummern der Bässe in unseren Wohnungen ertragen müssen, weil wir uns immer noch nicht aus 36 verpisst haben und deshalb all das an Asozilität, Sexismus und Dumpfheit ertragen müssen, was uns jedes Jahr das Myfest zumutet.

Die, die wir uns nicht zu organisieren wissen, deren theoretische Waffen stumpf geworden sind und die wir in uns in Sarkasmus, Neurose und Drogen flüchten, um unsere Ohnmacht nicht spüren zu müssen.

Die, die wir auf unserer Selbstbestimmung beharren und dabei vergessen, dass Autonomie nur in der Revolte möglich wird und wir nur im sich finden eine Chance haben, uns als uns überhaupt zu begreifen.

Liebe - Hoffnung - Krawall

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Die bis in die Nacht das Wummern der Bässe in unseren Wohnungen ertragen müssen, weil wir uns immer noch nicht aus 36 verpisst haben und deshalb all das an Asozilität, Sexismus und Dumpfheit ertragen müssen, was uns jedes Jahr das Myfest zumutet.

Die, die wir uns nicht zu organisieren wissen, deren theoretische Waffen stumpf geworden sind und die wir in uns in Sarkasmus, Neurose und Drogen flüchten, um unsere Ohnmacht nicht spüren zu müssen.

Die, die wir auf unserer Selbstbestimmung beharren und dabei vergessen, dass Autonomie nur in der Revolte möglich wird und wir nur im sich finden eine Chance haben, uns als uns überhaupt zu begreifen

 

Insurrektionalismus als Selbsterfahrungstrip für massenverachtende Individualisten, die keinen Bock auf Organisation oder irgendwie strategische Gesellschaftsveränderung haben. Kein Wort von den auf der Demo repräsentierten (natürlich nicht geführten) Kämpfen, stattdessen geht es seitenlang darum, ob doch noch irgendjemand irgendwo einen Böller auf die Bullen geworfen hatte (in dem taktischen Setting der 18-Uhr-Demo ein ziemlich dummes und daher selten gewordenes Unterfangen). Narzistische Autisten, die ihren Lifestyle mit einem Konzept zur Umwälzung sozialer Verhältnisse verwechseln.

"hier werden ihnen noch ehrliche Faustkämpfe angeboten"

 

wirklich zu schön...und das sagt uns jetzt was genau?

Im ernst, vorne Arab und Alb kritisieren, Ok bin dabei, Mayfest-hedonismus abwatschen, auch Ok, nervt schließlich als Aufstandsbekämpfungsparty voll ab, aber aus allem was hinterherläuft ein "zurück bleiben wir" zu konstruieren ist einfach nur weltfremd und schräg.

 

Und Liebe ist sicher was schönes, aber Leute die diese mit Krawall verknüpfen machen mir Angst.

danke für den artikel, sehr schön geschrieben und kopf hoch, eines tages finden wir uns schon ;)

das ist ja ein ganz schöner text geworden, mehr aber auch nicht.

 

das myfest gibt es jetzt seit 11 jahren; seit 11 jahren meckert die kreuzberger linke daran herum - völlig zu recht, wohlgemerkt. aber alternativen zu entwerfen? konzepte zu entwickeln, wie mensch das gedränge, die unübersichtlichkeit, die unmengen an brenn- und werfbarem material zum eigenen vorteil nutzen könnte? da ist schweigen im walde. es gibt immer mal wieder ansätze, wie die "17-uhr-demo" am mariannenplatz, aber anscheinend haben alle beteiligten vergessen, dass die berühmten krawalle 1987 auch nicht einfach so anfingen, sondern weil sich ein paar aktivist_innen ein herz fassten und was machten, statt sich in anonymen traktaten über alle anderen zu ärgern.

20.000 Leute (und damit wesentlich mehr als auf der "offiziellen" DGB-demo) haben sich ganz offensichtlich bewußt gegen eine militärische Auseinandersetzung und für eine beieindruckende linksradikale Demo entscheiden. Das Rumgejammere über fehlenden Krawall wirkt daher ziemlich peinlich. Am Ende bleibt dem alleingelassenen Avantdardisten letztlich nur, sich in  schräge Verschwörungstheorien zu flüchten, die vom barrio über arab, ALb, IL und umsganze bis zum bündnis niemand auslässt, montagsdemo ick hör dir trapsen.

Es soll eine Verschwörung sein, dass die Demo sich seit Beginn des MyFests von eben diesen finanzieren lässt? Worin liegt diese Verschwörung? Barrio Antifascista bekommt Geld und gibt einen Anteil dieses Betrags wiederum an die Demo weiter, ganz ohne "Finanzkapital und Hinterzimmer". Es ist bekannt, niemand leugnet es.

Ist es eine Verschwörung, dass es die AAAB/ALB war, die das MyFest als "DenkMalNeu" zuerst in 36 platzieren wollte?

... erlebe ich auf die gleiche Art - und den ganzen Rest auch. Meine Wahrnehmung ist mit Deinen Schilderungen annähernd komplett deckungsgleich. Bis zum nächsten 1. Mai sinds 364 Tage. Wär' hilfreich, die zu füllen, so nach und nach.

 

Du schriebst etwa: "Hier sind vor allem jede Menge Leute unterwegs, die noch jung genug sind, nicht damit zufrieden zu sein, der Dienstleister oder Müllhinterherräumer mit Migrationshintergrund für das arische Mittelstandspack zu sein, das dabei ist, sich 36 unter den Nagel zu reissen".

 

Die Flucht in Sarkasmus, Neurosen oder Drogen halte ich auch deshalb für schwer daneben. Garantiert effektive Strategien anderer Art kann ich auch nicht bieten, manche Erfahrung in jüngster Zeit hat mir aber gezeigt, dass wirklich noch einige hier sind, die das beschäftigt, was mit uns passiert. Ich hatte das nicht bewusst geplant. Ich wurde seit einiger Zeit ganz einfach der Umstände halber sehr spontan immer rotziger und scharfzüngiger, wenn sich das Mittelstandspack mal wieder zu breit machte. Ich war überrascht, wie oft rein zufällige Mitanwesende ausgesprochen positiv reagierten, sofort wussten was Sache ist und wo sie (wir) stehen und verbal oder auch nonverbal für den kurzen Moment der "Auseinandersetzungen" Zustimmung zeigten oder gar Front machten. Wohl wissend, wie ernst die Lage ist, ist es mir doch richtig positiv aufgefallen.

 

Sich im Sinne einer kleinen, aber ständigen Revolte gegen den Druck, den auch noch krass offen zur Schau getragenen Klau unserer Straßen, Häuser, (bisherigen) Lebensbedingungen im normalen kreuzberger Kiezalltag konsequent und lautstark zu artikulieren könnte übrigens auch ein möglicher Weg sein, sich zu finden - was ich auch für eine wichtige Chance halte... und wenn es nicht zum sich finden reicht, reicht es immerhin zur bewussteren Feststellung, dass es ein noch verhältnismäßig breites "wir" gibt. Dass es ausgerechnet in 36 nötig erscheint, sich überhaupt zu finden, zeigt allerdings dass all die x-berger Strukturen und Szeneklüngels alles Mögliche geschafft haben, außer ein "wir", wie wir es gebraucht hätten, um uns gegen Spekulanten, Myfeste und Mittelstandsinvasionen zu wehren. So ein sich finden scheint mir sehr viel weniger der Weg.

 

Liebe - Hoffnung - Widerstand

Video der beiden Demos in Berlin Kreuzberg

-17.00 Mariannenplatz - unangemeldete Demo gegen Mieterhöhungen, Zwangsräumungen und Armut
-18.00 Lausitzer Platz - Revolutionäre 1. Mai Demo

https://www.youtube.com/watch?v=9cZvlMl7kVE

" (...) gehen tatsächlich noch mit Schildern in die Menge(...) "

 

zum x-ten male:

 

"schilder" sind hinweistafeln- bei den geschilderten objekten handelt es sich um "schilde".

 

und:

singular hinweistafel: "das" schild

singular defensivbewaffnung: "der" schild

 

bitte endlich mal merken.

danke.

wirklich eine sehr schöne und ausgewogene reflektion. danke!

Am 1. Mai nach der 18 Uhr Demo wurde am Kottbusser Tor ein Mann mit Kamera im Revers beobachtet. Er war mit einer weiteren männlichen Person unterwegs.

Sie bewegten sich aus Richtung Prinzenstraße in Richtung Kotti, als einer der beiden Männer seine Handykamera einschaltete und zu filmen begann. Daraufhin steckte er sein Smartphone in seine linke Brusttasche, achtete aber peinlichst darauf, dass die Linse der Kamera nicht in der Tasche verschwindet. Umstehende wurden lauthals auf die Beiden und die Tatsache, dass sie von ihnen gefilmt werden aufmerksam gemacht, waren aber leider in weiten Teilen uninteressiert. Die beiden reagierten gelassen, schauten aber ziemlich ratlos. Sie standen einen Moment planlos am Kotti rum. Kurz darauf verloren wir sie leider aus den Augen.

Fraglich ist, wofür die beiden die Aufnahmen anfertigten. Auch als einige Umstehende die beiden massiv beleidigten kam es zu keinem Zugriff, obwohl genügend Greiftrupps nur weinge Meter entfernt standen. Ob es sich bei den beiden um Nazis, Bullen (warum kein Zugriff?), oder sonst irgendwelche Schnüffler handelt ist leider unklar.

 

 

Was immer ihr tut - haltet die Augen offen!

Macht derartige Vorfälle öffentlich, informiert euer Umfeld.

 

„Das größte Schwein im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant“

Wolfgang Schäuble

es ist schon vorgekommen, dass die berliner bullen ihre berliner bullen ohne uniform verprügelt haben. die koordination ist also nicht immer gegeben und das meint, dass es durchaus hätten bullen sein können und die beleidigt wurden und dennoch nicht eingeschritten wurde.

was aber nicht bedeuten soll, dass es bullen waren.