[FFM] An­ti­fa­schis­mus und rechts­ra­di­ka­le Be­we­gun­gen in Ita­li­en

colletivo millitant Roma

Wir veröffentlichen hier ein Grußwort des "Colletivo Militant Roma", das diese aus Anlass einer von uns organisierten Veranstaltung am 25.02.  mit Heiko Koch verfasst haben. Nach dem Grußwort stellte Heiko sein unlängst erschienenes Buch CasaPound Italia vor.

 

An­ti­fa­schis­mus und rechts­ra­di­ka­le Be­we­gun­gen in Ita­li­en

Wenn wir über ak­tu­el­le Er­schei­nun­gen des Fa­schis­mus reden, müs­sen wir zu­nächst die Wur­zeln die­ser rechts­ra­di­ka­len Grup­pie­run­gen be­trach­ten, um un­se­re damit ver­bun­de­ne an­ti­fa­schis­ti­sche Ge­gen­stra­te­gie wei­ter er­läu­tern zu kön­nen.
Es ist uns wich­tig her­vor­zu­he­ben, dass es nach dem Fall des fa­schis­ti­schen Re­gimes in Ita­li­en 1945 und der Be­frei­ung, die durch die Par­ti­san*innen er­kämpft wurde, den­noch kei­nen Bruch der po­li­ti­schen und obe­ren so­zia­len Klas­sen mit Mus­so­li­niära gab. In den Fol­ge­jah­ren ge­lang es vie­len der ehe­mals Mäch­ti­gen aus der Zeit des Fa­schis­mus ihre Macht zu er­hal­ten und sie im post­fa­schis­ti­schen Staat zu kon­so­li­die­ren, sich macht­vol­le Po­si­tio­nen in ihm zu si­chern, ihre Ver­gan­gen­heit zu ver­schlei­ern und ihre Dul­dung durch In­sti­tu­tio­nen, Po­li­zei­staat und Bour­geoi­sie auf­recht zu er­hal­ten. Die­sen Pro­zess nen­nen wir die Kon­ti­nui­tät des Staa­tes. Des­sen Kon­se­quen­zen wurde zum ers­ten Mal in den 1970ern und 80ern di­rekt spür­bar. In die­sen Jah­ren wurde die „Stra­te­gie der Span­nung“ vom Staat aus in­iti­iert und von fa­schis­ti­schen Grup­pie­run­gen um­ge­setzt. Dies hatte viele Spreng­stoff­an­schlä­ge mit dem Ziel Angst vor dem Ter­ror in der Be­völ­ke­rung zu sähen und die de­mo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­se zu de­sta­bi­li­sie­ren zur Folge, um ex­tre­me Maß­nah­men des Staa­tes zu recht­fer­ti­gen, wie die Eta­blie­rung einer Mi­li­tär­dik­ta­tur. Heut­zu­ta­ge ist es ein­deu­tig, dass diese Kon­ti­nui­tät des Staa­tes noch immer herrscht. In den Rei­hen der rech­ten Po­li­ti­ker*innen, auch wenn diese in ver­schie­de­nen Grup­pen oder Strö­mun­gen zer­split­tert sind, sehen wir das di­rek­te Erbe des Fa­schis­mus.


Dazu kommt die Zu­nah­me der sys­te­ma­ti­schen Ten­denz zum Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus, der im Be­son­de­ren gegen die Par­ti­san*innen und den ita­lie­ni­schen Wi­der­stand ge­rich­tet ist und ver­stärkt ver­sucht rech­te und linke Ideo­lo­gie gleich­zu­set­zen. Diese Ten­denz er­fährt be­stän­dig Un­ter­stüt­zung in den Me­di­en und da­durch wird eine stets grö­ße­re Le­gi­ti­mi­tät für fa­schis­ti­sche Grup­pen und deren Ge­sin­nungs­ge­noss*innen auf der po­li­ti­schen Bühne zu exis­tie­ren und zu han­deln ge­schaf­fen.

 

Diese Vor­aus­set­zung im Hin­ter­kopf be­hal­tend, konn­ten wir in den letz­ten zehn Jah­ren in Ita­li­en ein Er­star­ken der rechts­ra­di­ka­len Be­we­gun­gen und einen neuen Trend in­ner­halb der fa­schis­ti­schen Ideo­lo­gie ver­zeich­nen. Neben den „tra­di­tio­nel­len“, na­tio­na­lis­ti­schen, ras­sis­ti­schen und ho­mo­pho­ben fa­schis­ti­schen Grup­pie­run­gen wie Forza Nuova oder La De­stra, die mit der Bri­tish Na­tio­nal Party oder dem fran­zö­si­schen Front Na­tio­nal ver­gleich­bar und ver­bun­den sind, wuchs seit 2003 eine neue Or­ga­ni­sa­ti­on heran, die sich einen Platz in der ex­tre­men Rech­ten ver­schafft: Cas­aPound, die „Fa­schis­ten des drit­ten Jahr­tau­sends“, wie sie sich gerne selbst be­zeich­nen.

 

Die Be­son­der­heit Cas­aPounds be­steht darin, mo­der­ne Ele­men­te mit dem klas­si­schen Ka­ta­log fa­schis­ti­scher Ideo­lo­gie zu ver­bin­den. Auch wenn dies zu Wi­der­sprü­chen führt, durch­kreu­zen sie das po­li­ti­sche Feld von rechts nach links und prä­sen­tie­ren sich selbst als „wahre Al­ter­na­ti­ve“.


Sie sagen sie seien „Re­bel­len“, re­vo­lu­tio­när, an­ti-​in­sti­tu­tio­nell, gegen Bän­ker und eu­ro­päi­sche In­sti­tu­tio­nen, an­ti­ras­sis­tisch, en­ga­giert in so­zia­ler Ar­beit und Ga­ran­ten der Fa­mi­li­en­wer­te und des Va­ter­lan­des. Zeit­gleich un­ter­stüt­zen sie mit ihren Kan­di­da­ten Ber­lus­co­nis Par­tei PDL, kas­sie­ren Jobs und meh­re­re hun­dert­tau­send Euro von Po­li­ti­ker*innen, sind be­reit ver­schie­de­ne Par­tei­en für ver­schie­de­ne In­ter­es­sen zu un­ter­stüt­zen, ren­nen zur Po­li­zei wenn sie von An­ti­fa­schist*innen an­ge­grif­fen wur­den und schla­gen Ho­mo­se­xu­el­le und Mi­grant*innen auf den Stra­ßen zu­sam­men und schre­cken sogar vor Mord nicht zu­rück.


Ab­ge­se­hen von ihrer fa­schis­ti­schen Ideo­lo­gie und Pra­xis, gibt es zwei Merk­ma­le, die sie von an­de­ren Grup­pen des rech­ten Spek­trums deut­lich un­ter­schei­den und sie ge­fähr­li­cher macht als die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen.


Zu­erst wäre dort deren Po­li­tik als eine der „so­zia­len Rech­ten“, mit der sie ihre fa­schis­ti­sche Frat­ze ver­ber­gen und sogar aus der lin­ken Tra­di­ti­on stam­men­de Slo­gans und The­ma­ti­ken auf­grei­fen, um ihren Markt­wert als po­li­ti­scher Part­ner zu stei­gern. Ein Bei­spiel ihrer So­zi­al­po­li­tik ist ihre Kam­pa­gne für So­zi­al­kre­di­te und für das Recht, ein ei­ge­nes Haus zu be­sit­zen, wobei bei­des selbst­ver­ständ­lich nur für Ita­lie­ner*innen gel­ten soll­te. Wei­ter bie­ten sie Nach­mit­tags­un­ter­richt für Kin­der an, füh­ren Ak­tio­nen zur Müll­be­sei­ti­gung durch, be­trei­ben Sport­clubs, ins­be­son­de­re für Kin­der und Ju­gend­li­che und en­ga­gier­ten sich in der Hilfe für die Be­trof­fe­nen von Erd­be­ben, indem sie Camps für diese er­rich­te­ten.


Es ist au­gen­schein­lich, wie Cas­aPound mit die­ser Stra­te­gie ver­sucht Er­fah­run­gen und Pra­xis der Lin­ken zu re­pli­zie­ren und auch deren Sym­bo­le, po­li­ti­sche und kul­tu­rel­le Re­fe­ren­zen ver­wen­det. So zum Bei­spiel Che Gue­va­ra, Bobby Sands und kürz­lich erst Fa­bri­zio de Andrè, einen be­lieb­ten an­ar­chis­ti­schen Song­wri­ter aus Ita­li­en.
Weit ent­fernt vom tra­di­tio­nel­len fa­schis­ti­schen Stolz und dem po­li­ti­schen An­satz, und des­halb oft von an­de­ren Fa­schist*innen ge­hasst, hat Cas­aPound auf diese Art ein ‚neues Mo­dell des Fa­schis­mus’ ge­schaf­fen, das be­rei­nigt und auf die Mo­der­ne der Ge­gen­wart zu­ge­schnit­ten ist und selbst schon be­ginnt sich in an­de­ren Län­dern zu ma­ni­fes­tie­ren, wie es der Bloc Iden­ti­taire in Frank­reich zeigt.


Von un­se­rer Seite aus war die­ses Mo­dell am An­fang schwie­rig zu er­ken­nen und wurde man­ches Mal un­ter­be­wer­tet, was dazu führ­te, dass An­ti­fa­schist*innen nicht so­fort die reale Be­dro­hung ver­stan­den und keine schnel­le und star­ke Ant­wort for­mu­lier­ten.


Als die Si­tua­ti­on kla­rer wurde, wur­den linke Be­we­gun­gen aktiv und re­agier­ten auf Cas­aPound, indem sie zu­nächst ihre Stra­te­gie und Ideo­lo­gie ana­ly­sier­ten, um dar­auf­hin eine kul­tu­rel­le und po­li­ti­sche Ar­beit auf­zu­bau­en, die dar­auf ab­zielt den Men­schen zu zei­gen, dass hin­ter dem un­ge­wöhn­li­chen Ver­hal­ten und den freund­li­chen Ge­sich­tern der Cas­aPound der Fa­schis­mus seine Zähne fletscht.

 

Ein wei­te­rer As­pekt ihres „Mo­dels“ ist, und damit kom­men wir zum zwei­ten re­le­van­ten Punkt ihres ‚neuen Fa­schis­mus’, dass sie tat­säch­lich eine ak­tu­el­le Mode re­prä­sen­tie­ren. Sie lo­cken meist Ju­gend­li­che ins­be­son­de­re aus rechts­kon­ser­va­ti­ven, bes­ser si­tu­ier­ten Fa­mi­li­en an, und in­vol­vie­ren diese in vie­ler­lei Hin­sicht, über Kon­zer­te und Sport­an­ge­bo­te und be­son­ders in der Schu­le, wo sie ver­stärkt auf­tre­ten und ihre ver­wir­ren­den Ideen von Re­bel­li­on, Kör­per­kraft, „Ge­ne­ra­tio­nen­so­li­da­ri­tät“ (was auch immer das mei­nen mag…) und an­ti-​lin­ker Hetze ver­brei­ten. In Rom bei­spiels­wei­se, das schon immer eine Art Labor für rech­te Be­we­gun­gen war, wur­den die­ses Jahr etwa 40 Mit­glie­der des Bloc­co Stu­den­tes­co, der Ju­gend-​ und Schul­or­ga­ni­sa­ti­on von Cas­aPound, als Re­prä­sen­tant*innen in Schu­len ge­wählt und or­ga­ni­sier­ten teil­wei­se De­mons­tra­tio­nen oder an­de­re Ak­tio­nen.


Ihre Zahl bei die­sen Events blieb aber ge­ring und be­schränk­te sich auf den har­ten Kern, und dies ist zum Groß­teil der an­ti­fa­schis­ti­schen Ge­gen­ak­tio­nen zu ver­dan­ken. So ver­such­te der Bloc­co Stu­den­tes­co in der Ver­gan­gen­heit stu­den­ti­sche Gre­mi­en gegen Schul-​ und Uni­ver­si­täts­re­for­men zu un­ter­lau­fen, indem er mit un­po­li­ti­schen Sprü­chen wie „weder rot noch schwarz, son­dern Mei­nungs­frei­heit“ auf­trat, um in die­sem links­po­li­tisch do­mi­nier­ten Sek­tor Fuß zu fas­sen. Aber von an­ti­fa­schis­ti­scher Seite wurde die­ser Ver­such so­fort er­kannt und der Bloc­co aus der Be­we­gung ge­drängt. So wur­den diese Fa­schist*innen auch 2008 aus einer Demo in Rom ge­jagt, nach­dem es zu hand­fes­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit ihnen kam, wobei sie sogar von der Po­li­zei ver­tei­digt wur­den. Dies war ein deut­li­ches Si­gnal, dass An­ti­fa­schist*innen be­reit sind, jede Form von Wi­der­stand gegen die In­fil­tra­ti­ons­ver­su­che der neuen Fa­schist*innen zu set­zen. Von die­sem Mo­ment an wurde eine star­ke kul­tu­rel­le und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ar­beit von An­ti­fas auf­ge­baut, um den Leu­ten, ins­be­son­de­re an Unis und Schu­len, klar zu ma­chen, wer Bloc­co Stu­den­tes­co und Cas­aPound sind und aus wel­chem po­li­ti­schen Hin­ter­grund sie ent­stan­den. So muss­ten sie ihre Stra­te­gie der In­fil­tra­ti­on auf­ge­ben. Seit­dem sehen wir sie nicht mehr auf un­se­ren Demos. Dar­über hin­aus haben viele Stu­die­ren­den­in­itia­ti­ven sich öf­fent­lich von jed­we­dem Ras­sis­mus und Fa­schis­mus dis­tan­ziert.

 

Im All­ge­mei­nen konn­te Cas­aPound in den Jah­ren von 2003 bis 2008 einen gra­du­el­len Auf­stieg in Schu­len, Unis, Sta­di­en, und Ge­werk­schaf­ten par­al­lel zur Zu­nah­me mi­li­tan­ter Ak­tio­nen ver­zeich­nen. Zeit­gleich be­setz­ten sie Ge­bäu­de und Plät­ze, wohl­wol­lend und auch di­rekt po­li­tisch und fi­nan­zi­ell un­ter­stützt von rech­ten Po­li­ti­ker*innen und In­sti­tu­tio­nen, wes­halb sie nur sel­ten ge­räumt wur­den. Ein Ver­such von ihnen im Jahre 2009 ein Ge­bäu­de in der his­to­ri­schen In­nen­stadt von Nea­pel zu be­set­zen wurde be­son­ders be­kannt. In die­sem Fall war die an­ti­fa­schis­ti­sche Ant­wort sehr ef­fi­zi­ent. Nach einer Pe­ri­ode har­ter Ar­beit, in der ver­sucht wurde die Nach­bar­schaft und die Stadt dar­auf auf­merk­sam zu ma­chen, was dort pas­siert und um einen Kon­sens gegen die Fa­schist*innen zu er­ar­bei­ten, haben An­ti­fa­schist*innen aus den ver­schie­dens­ten La­gern viele De­mons­tra­tio­nen, Ver­an­stal­tun­gen und di­rek­te Ak­tio­nen or­ga­ni­siert um die Fa­schist*innen zu ver­ja­gen. Nach einem Monat war das Haus aber immer noch von ihnen be­setzt, wes­halb die An­ti­fas sich dazu ent­schie­den die Si­tua­ti­on zu zu­spit­zen, in dem sie ih­rer­seits ein nahe ge­le­ge­nes Haus be­setz­ten und damit ein Pro­blem für die öf­fent­li­che Ord­nung schaff­ten. Nach einer Zeit wie­der­hol­ter Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Un­ru­hen sah sich die Po­li­zei ge­zwun­gen ein­zu­grei­fen und räum­te beide Häu­ser und ver­folg­te Fa­schist*innen und An­ti­fas. Aber dies stör­te die An­ti­fas kaum, so­lan­ge Cas­aPound aus der Stadt ge­trie­ben war!

 

Wenn es auch wich­tig ist im Kopf zu be­hal­ten, wie ge­fähr­lich Cas­aPound ist und eben­so die Pflicht, die Ant­fa­schist*innen haben, diese in Zaum zu hal­ten, müs­sen wir sagen, dass diese Jahre der Aus­deh­nung die Wi­der­sprü­che, mit denen ihr po­li­ti­sches Mo­dell über­sät­tigt ist, be­gon­nen haben, un­wei­ger­lich den Nie­der­gang die­ser Be­we­gung ein­zu­läu­ten. Dies wird be­son­ders in Rom deut­lich, wo ihre Be­set­zun­gen in den letz­ten Jah­ren auf­hör­ten und nun nur noch ei­ni­ge we­ni­ge Be­set­zun­gen von ihnen Be­stand haben, aus denen her­aus sie nicht in der Lage sind, eine kon­ti­nu­ier­li­che So­zi­al­ar­beit oder Ver­dich­tung ihrer Ideo­lo­gie in der Nach­bar­schaft zu eta­blie­ren. Viel­mehr wer­den sie von den An­woh­ner*innen als etwas Ab­ge­schot­te­tes wahr­ge­nom­men und arg­wöh­nisch be­äugt oder offen ge­hasst. Auch in den Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten sind sie nur noch in den Be­rei­chen ver­tre­ten, die tra­di­tio­nell mit rech­ten Krei­sen und Nach­bar­schaf­ten ver­bun­den sind. So blei­ben sie un­fä­hig aus ihrem ei­ge­nen Bio­top aus zu bre­chen und eine re­le­van­te po­li­ti­sche Stra­te­gie zu ent­wi­ckeln. Dar­über hin­aus, als wäre es in sei­ner Tra­gik vor­her­seh­bar ge­we­sen, wurde nach An­grif­fen, Aus­ein­an­der­set­zun­gen und dem Mord an zwei Im­mi­gran­ten durch ein Cas­aPound Mit­glied in Flo­renz, die „net­ten Leute“ in der öf­fent­li­chen Mei­nung, von Me­di­en und Po­li­ti­ker*innen neu be­wer­tet und auf ein­mal als das ge­se­hen, was sie waren, ge­fähr­li­che fa­schis­ti­sche Ver­bre­cher. Eben­so be­gann ihre Stra­te­gie der Tar­nung nach Innen hin die mi­li­tan­ten Mit­glie­der zu ver­är­gern, so zum Bei­spiel als Ian­no­ne und an­de­re Cas­aPound Bosse ver­laut­ba­ren woll­ten, dass der Mör­der der Im­mi­gran­ten (der sich nach der Tat selbst er­schoss) kein Mit­glied und oben­drein ver­rückt war und sie selbst an­ti­ras­sis­tisch ein­ge­stellt wären, wor­auf viele Mit­glie­der auf­be­gehr­ten und ein Ein­ge­ständ­nis zu ihrer Ideo­lo­gie for­der­ten.

 

Ein wich­ti­ger As­pekt ist, dass wäh­rend im rest­li­chen Eu­ro­pa Neo­fa­schis­mus und Na­zis­mus par­al­lel zur öko­no­mi­schen Krise be­deu­tungs­voll zu­neh­men, was mehr und mehr zu einem Pro­blem für un­se­re Ge­noss*innen und re­vo­lu­tio­nä­re Kräf­te wird, wie es in Grie­chen­land der Fall ist, kön­nen wir in Ita­li­en nicht sagen in einer alar­mie­ren­den Si­tua­ti­on oder in di­rek­ter Be­dro­hung eines sich aus­brei­ten­den Fa­schis­mus zu sein. Wenn wir Chri­si Avgi oder an­de­re rechts­au­ßen Par­tei­en in Eu­ro­pa be­trach­ten, sehen wir zu­neh­men­de Wahl­er­fol­ge und Ver­an­ker­un­gen in den so­zi­al schwä­che­ren Vier­teln nach der Krise, wäh­rend in Ita­li­en Cas­apound und Forza Nuova kon­ti­nu­ier­lich nied­ri­ge Wahl­er­geb­nis­se ein­fah­ren und nicht in der Lage sind, sich in lo­ka­len Com­mu­nities zu bin­den, egal wel­che Par­tei oder wel­che Po­li­ti­ker*in sie sich ent­schei­den zu un­ter­stüt­zen oder wel­che Kon­tak­te ihre Mit­glie­der spie­len las­sen. In den letz­ten zehn Jah­ren zeig­ten sie zu vie­len Ge­le­gen­hei­ten das Ka­li­ber ihrer Gön­ner*innen, meist rei­che und macht­vol­le Fa­schis­ten der alten Par­tei­en (die oben er­wähn­te Kon­ti­nui­tät), wie der ehe­ma­li­ge Bür­ger­meis­ter von Rom, Ale­man­no, der ihnen Geld, Häu­ser (dar­un­ter das be­kann­tes­te in Cas­apound Haus in Rom) und Ar­beits­plät­ze im öf­fent­li­chen Sek­tor zu­schanz­te, und im Ge­gen­zug Un­ter­stüt­zung er­hielt und gute Wach­hun­de in Po­si­ti­on brin­gen konn­te, soll­te er sie ein­mal brau­chen.


Un­glück­li­cher­wei­se ist es für sie mo­men­tan so, dass sie als Wach­hun­de noch nicht ge­braucht wer­den und ge­ne­rell die Fa­schist*innen in ihrer Rolle als Die­ner*innen der herr­schen­den Klas­se nicht be­nö­tigt wer­den, da der so­zia­le Kon­flikt in Ita­li­en ak­tu­ell auf nied­ri­gem Ni­veau ver­harrt und die Dif­fe­ren­zen der po­li­ti­schen Klas­se und der Bour­geoi­sie weit davon ent­fernt sind über­wun­den zu wer­den.

 

So­weit und kurz zu­sam­men­ge­fasst ist dies un­se­re Ana­ly­se des Kon­texts, in dem fa­schis­ti­sche und an­ti­fa­schis­ti­sche Be­we­gun­gen ak­tu­ell agie­ren und, ohne zu ba­ga­tel­li­sie­ren oder zu op­ti­mis­tisch zu sein, sieht so der Rah­men aus, von dem aus un­se­re Theo­rie und Pra­xis wei­ter­schrei­tet und sich fort­ent­wi­ckelt. Ins­be­son­de­re seit 2003, als Cas­apound an­fing auf­zu­stei­gen, wurde viel Ar­beit von an­ti­fa­schis­ti­schen Grup­pen in die Ana­ly­se der neo­fa­schis­ti­schen Stra­te­gie ge­steckt und ver­schie­de­ne wi­der­stän­di­ge Pra­xen als Ant­wort dar­auf ge­tes­tet, um ihre Ex­pan­si­on auf zu­hal­ten und ihnen den Boden im po­li­ti­schen und so­zia­len Um­feld zu ent­zie­hen. Wenn wir es ernst neh­men, dass An­ti­fa sein auch be­deu­tet an­ti­ka­pi­ta­lis­tisch zu sein, und der Kampf gegen den Fa­schis­mus ein­ge­bet­tet ist in den um­fas­sen­de­ren Klas­sen­kampf gegen den Ka­pi­ta­lis­mus, müss­te aus un­se­rer Er­fah­rung her­aus An­ti­fa­schis­mus auf drei ver­schie­de­nen und kom­ple­men­tä­ren Ebe­nen ar­ti­ku­liert wer­den: der mi­li­tan­ten, der so­zia­len und der po­li­tisch/kul­tu­rel­len.

Die erste Ebene, die mi­li­tan­te, ist mit den di­rek­ten Ak­tio­nen ver­bun­den, die not­wen­dig sind, um den Fa­schist*innen ihren Be­we­gungs­raum und ihre Be­we­gungs­frei­heit zu neh­men. Sie dür­fen nie­mals ein­fach so in den Stra­ßen um­her­ge­hen, mit Freund*innen aus­ge­hen, Flug­blät­ter ver­tei­len, auf Demos gehen oder ein­fach fa­schis­ti­sche Kla­mot­ten tra­gen, ohne die Mög­lich­keit auf An­ti­fas zu tref­fen, ir­gend­wo her­aus ge­wor­fen zu wer­den oder Schlä­ge zu kas­sie­ren.
Sie müs­sen das Ge­fühl haben als Fa­schist*innen nie­mals si­cher zu sein und be­son­ders jün­ge­re Mit­glie­der müs­sen spü­ren, dass es nicht cool ist dabei zu sein und sich nicht lohnt dabei zu­blei­ben. In pro­ble­ma­ti­sche­ren Städ­ten wie Rom, in denen es „schwar­ze“ , also fa­schis­ti­sche, Vier­tel gibt, oder Vier­tel in denen viele Fa­schist*innen prä­sent sind, müs­sen diese in ihre Struk­tu­ren ver­bannt wer­den, mit dem Hin­ter­ge­dan­ken, dass eines Tages An­ti­fas kom­men und sie dar­aus ver­trei­ben.

 

Die zwei­te Ebene, die so­zia­le, wird durch eine kon­ti­nu­ier­li­che Prä­senz und po­li­ti­sche Ak­ti­vi­tät in den Vier­teln und den Stra­ßen er­reicht, um mit den Men­schen in Kon­takt zu kom­men und mit den Ge­ge­ben­hei­ten der Stadt ver­traut zu wer­den.


Auf jeden Fall ist es not­wen­dig in der Ta­ges­po­li­tik po­li­ti­sche und so­zia­le Zu­sam­men­hän­ge auf­zu­bau­en und die Idee des Klas­sen­kamp­fes gegen das ka­pi­ta­lis­ti­sche Sys­tem und seine Wi­der­sprü­che, die sich in der Aus­beu­tung von Ar­beits­kraft, Zer­stö­rung der so­zia­len Ab­si­che­rung und Ver­schär­fung der so­zia­len und po­li­ti­schen Re­pres­si­on ar­ti­ku­lie­ren, voran zu trei­ben. Zeit­gleich wer­den durch diese Pra­xis die Fa­schist*innen aus un­se­ren Vier­teln ge­trie­ben und dies er­mög­licht es An­ti­fa­schist*innen mit den Leu­ten dar­über zu reden, was Fa­schist*innen und Neo-​Fa­schist*innen wirk­lich sind und ihren ras­sis­ti­schen und re­ak­tio­nä­ren Geist zu ent­lar­ven.

 

Die drit­te und letz­te Ebene, die kul­tu­rel­le und po­li­ti­sche, ist es­sen­ti­ell, um den vor­an­ge­gan­ge­nen Ebe­nen In­halt und Sub­stanz zu ver­lei­hen und kon­ti­nu­ier­lich un­se­re Ideo­lo­gie und Vor­stel­lun­gen im Kon­trast zur fa­schis­ti­schen und mo­men­tan herr­schen­den zu ent­wi­ckeln und zu ver­brei­ten. In die­sem Sinne ist es wich­tig zu­nächst Nach­for­schun­gen über Cas­apounds oder die Ideo­lo­gie an­de­rer fa­schis­ti­schen Grup­pen an­zu­stel­len, deren Po­li­tik und Dul­dung durch den Staat und die Po­li­zei auf­zu­de­cken, um dann mit Hilfe die­ser In­for­ma­tio­nen ihr wah­res Ge­sicht und ihre Wi­der­sprü­che zu ent­hül­len, auch in Ab­gren­zung zu lin­ker Theo­rie und Pra­xis. Zwei­tens ist es wich­tig Kam­pa­gnen gegen den Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus durch­zu­füh­ren, um der Gleich­set­zung von rech­ten und lin­ken Strö­mun­gen ent­ge­gen­zu­wir­ken und die Fa­schist*innen auch von einem his­to­ri­schen Stand­punkt aus an­grei­fen zu kön­nen und den Ver­such der rech­ten Par­tei­en zu stop­pen über die Gleich­set­zung von Par­ti­san*innen und Fa­schist*innen letz­te­re zu le­gi­ti­mie­ren.


Letzt­lich bleibt der As­pekt linke Kul­tur und Sub­kul­tur zu ver­brei­ten und zu stär­ken über Bü­cher, Bro­schü­ren, Musik, Filme und was auch immer Leute und haupt­säch­lich junge Leute dazu bringt zu mer­ken, dass An­ti­fa sein gut ist und um Wel­ten bes­ser und coo­ler als ein Fa­scho zu sein.


Un­se­rer Mei­nung nach kön­nen diese drei Ebe­nen nicht von­ein­an­der ge­trennt exis­tie­ren und müs­sen dem­ent­spre­chend mit­ein­an­der ein­her­ge­hen und ver­wo­ben wer­den, auch um ef­fi­zi­ent gegen fa­schis­ti­sche Be­we­gun­gen zu sein.


Es bleibt zu sagen, dass diese Stra­te­gie von allen an­ti­fa­schis­ti­schen Kräf­ten ge­mein­sam und kon­ti­nu­ier­lich aus­ge­führt wer­den muss, und ver­mie­den wer­den soll­te eine Kluft in der Front ent­ste­hen zu las­sen, die sie in den Augen der Fa­schist*innen und des Staa­tes schwä­chen würde.


Wir wol­len euch für die Ge­le­gen­heit dan­ken un­se­re Er­fah­run­gen zu tei­len, und schlie­ßen mit der Hoff­nung, dass der Kampf gegen Fa­schis­mus und Ka­pi­tal sich in­ter­na­tio­nal wei­ter ver­brei­tet und zu­neh­mend kon­so­li­die­ren wird.

 

Al­ways An­ti­fa!
A pugno chi­u­so, Col­le­tivo Mi­li­tant Roma

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