Amtsgericht Husum: Antimilitärische Gleisblockade wird erneut verhandelt

Kriegsgerät versenken!

Wer immer noch glaubt, dass Gerichte was mit Gerechtigkeit zu tun haben, kann sich am 18.12.2013 am Husumer Amtsgericht eines Besseren belehren lassen. Denn das Verfahren um eine Protestaktion anlässlich eines Manövers im Februar 2008 des Husumer Flugabwehrraketengeschwaders 1 „Schleswig-Holstein“, das aktuell in der Türkei eingesetzt ist, geht in eine neue Runde.

 

Rückblende Februar 2008: Die Husumer Militärs bereiten sich auf eine Übung für die NATO-Response-Force vor. Was die meisten in der Armee wissen, aber selten reflektieren: Sie sind Teil einer weltweit einsetzbaren Angriffsarmee der Nato, zu deren Aufgaben u.a. „die Offenhaltung des Zuganges zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ gehört. Die Husumer Truppen trainieren für die politischen Interessen der Eliten im demokratischen Regime wie aktuell in der Türkei ihren Kopf hinzuhalten. „Bereits 2008 haben wir mit unserer Aktion auf die Konsequenzen der deutscher Militärpräsenz hingewiesen“ kommentiert dies Jan Hansen von der Husumer Initiative „militarismus-jetzt-stoppen“. „Spätestens ie über 140 Toten bei Kunduz ein Jahr später zeigen, was die Militäreinsätze bedeuten“.

 

Doch erstmal geht es zum Nato-Manöver. Es ist Sonntag früh, der 12.2.2008. Ein Zug, laut Polizei und Staatsanwaltschaft beladen mit Raketen, verlässt das Depot in Ohrstedt. Auf dem Weg vom Depot zur ca. 3 km entfernten Weiche braust der Zug einfach über mehrere Notsignale. Laut Polizieakte sagt der Rangierleiter aus, wie er ein Knall-Notsignal an den Gleisen vernommen hat, Fackeln am Gleisbett überfährt und Lichtsignale ignoriert, weil er diese dreifachen Signalgebung für einen (Zitat aus der Polizeiakte) „Schabernack“ hält. „Man muss sich echt wundern, dass es bei derartig riskanten Umgang mit gefährlichen Material nicht öfter zu Unfällen kommt“ kommentiert dies der Angeklagte.

 

“Heute keine Weiterfahrt!”
Dann erreicht der Zug die Weiche zum Hauptgleis. Hier muss der Zug ohnehin halten. Beide Weichen müssen von Hand durch den Lokführer verschoben werden. Der Lokführer springt vom Zug. Eine Person geht auf den Rangierleiter zu: „Sie können nicht weiterfahren. Da ist eine Person im Gleisbett angekettet. Bitte lassen Sie unverzüglich die Strecke sperren!“. Erst vier Stunden später ist es der Polizei gelungen, die Person zu entfernen. Weil das Stören von Militärtransporten bei der Herrschaftsausübung stört, werden Strafverfahren wegen Nötigung und Beihilfe zur Nötigung eingeleitet. Ein Video zur Aktion: http://husuma.blogsport.de/2008/02/11/militaertransport-blockiert/

 

Gerichte und Absurditäten

Mittlerweile ist Hanna, die sich damals an die Gleise kettete, wegen „Nötigung“ verurteilt. Seit 2011 ist das Urteil rechtskräftig. Die Strafe von 120 Tagessätzen saß sie zu einem Teil 2012 in der JVA Frankfurt ab. Der Weg dahin war von Absurditäten gepflastert. Ein nordfriesischer Richter beschloss in seinem Urteil, das sich der Protest nicht aufs Demonstrationsrecht stützen könne, da das Kriterium der Öffentlichkeit fehle Der Protest habe Nachts in Nordfriesland stattgefunden, deshalb habe niemand dazu kommen können (Link zum Prozessbericht: http://husuma.nirgendwo.info/2010/06/03/nf-gleisblockaden-aktivistin-ver... ). Diese Interpretation ist selbst dem Landgericht zu blöd. Hier ist der Richter dafür der Meinung, das sein Schöffe, der im normalen Leben bei der kriegsführenden Bundeswehr arbeitet, selbstverständlich neutral und unbefangen über Leute urteilen könne, die seinen Arbeitgeber kritisieren und abschaffen wollen (Link zum Berufungsprozess am Landgericht Flensburg: http://husuma.nirgendwo.info/2010/11/18/gleisblockadenberufung-verworfen/ ) Zur Durchsetzung dieses Blödsinns griffen die Gerichte auf die Mobile Einsatzgruppe Justiz (MEG) zurück. „Das MEG verprügelte mit Billigung des Richters ProzesszuschauerInnen und log an entscheidenden Stellen, um die Verurteilung zu beschleunigen“ erklärt Jan Hansen. „Ich rechne mit derartigen Methoden auch wieder in diesem Prozess.“ (Mehr Infos zur Mobilen Einsatzgruppe Justiz: http://husuma.nirgendwo.info/2013/03/13/polizei-doku-8-dienstaufsicht/ und http://husuma.nirgendwo.info/2013/03/07/ein-hausverbot-dass-es-nie-gab-p... und http://husuma.nirgendwo.info/2013/02/23/uben-polizistinnen-gewalt-aus-po...).

 

Das aktuelle Verfahren

Der bisherige Verfahrensablauf scheint ihm Recht zu geben. Im Herbst 2013 meldete sich das Amtsgericht Husum bei den drei verbleibende Angeklagten mit einem Einstellungsangebot nach StPO §153 und der Frage, ob sie dem zustimmen würden. Es bestünde kein öffentliches Interesse und die Schuld der Angeklagten sei nur gering. „Wir waren von Anfang an der Meinung, das eine Einstellung wegen geringer Schuld angebracht sei, da es bei der Aktion nicht um eine Straftat handelte, sondern um eine Protestaktion mit demonstrativen Charakter“ sagt Jan Hansen. „Nur das Gericht und die Staatsanwaltschaft sahen das 5 Jahre lang anders“.

 

Die Schikane geht weiter

Einer der Betroffenen antwortete dem Gericht, dass er diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten könne. Der § 172 StPO sei u.a. laut Beck`schen Kommentaren dazu da, das unschuldig Angeklagte ein Verfahren zum Beweis ihrer Unschuld erzwingen könnten. Da er weder die Akte noch die darin dokumentierten Beweise kennen würde, sei er als juristischer Laie nicht in der Lage, die Situation zu beurteilen. Deshalb bittet der Angeklagte um Akteneinsicht und um Verlängerung der Frist. Netterweise verlängerte das Gericht daraufhin die Frist. Doch ihre eigentlich in der Demokratie-Propaganda vorgesehene Pflicht zur Information des Angeklagten wischte die zuständige Richterin beiseite. Im Strafbefehl seien die Beweise genannt. Das müsse reichen. Und falls der Angeklagte Aktenseiten sehen möchte, solle er diese benennen (genau- Seitenzahlen sagen, ohne die Akte gesehen zu haben…).

 

Ist Seitenzahlen raten normal bei der Husumer Justiz?

Daraufhin erwidert der Angeklagte schriftlich, das er zum einen nicht verstehe, wie er Seitenzahlen nennen solle, ohne die Akte zu kennen. Und er weißt daraufhin, dass im Strafbefehl lediglich Namen von Zeugen und Bezeichnungen von Dokumenten zu finden seien. Daraus würde sich für ihn als juristischen Laien nichts ableiten. Aber das könne für das geschulte Auge der Justiz ja anders sein. Und falls das Seitenraten in der Justiz üblich sei, wolle er sich natürlich nicht sträuben, und zählt willkürlich Seitenzahlen auf. „Was soll man gegenüber einer mächtigen Institution, die sich nicht an ihre eigenen Regeln halten braucht, auch anderes machen?“ fragt sich Jan Hansen.

 

Das Revangefoul

Es zieht keine Woche ins Land, und die gesetzte Frist ist auch nicht ausgelaufen, da landet vom Amtsgericht Husum die Ladung zum Gerichtstermin im Postkasten. Von „geringer Schuld“ und „geringem Öffentlichem Interesse“ ist nun keine Rede mehr. Die Meinung zur Akteneinsicht hat sich auch geändert. Die gibt’s jetzt eine Stunde vorm Prozess. „Mit sämtlichen Urteilen, Protokollen usw. dürfte die Akte mittlerweile geschätzte 500 Seiten oder mehr umfassen. Es ist völlig illusorisch, anzunehmen, dass das jemand in einer Stunde lesen, verstehen und für eine Verteidigung vor Gericht fruchtbar machen könnte“ sagt Jan Hansen. „Man sieht hier, wie willkürlich Gerichte agieren können. Und wie willkürlich RichterInnen auf kritische, engagierte Menschen reagieren, die ihre Rechte kennen und einfordern.“

 

Willkür als systemstabilisierender Faktor

Das Beispiel zeigt sehr deutlich, wie demokratische Gerichte im Rechtsstaat funktionieren. Auf der einen Seite total willkürlich. Die bestehenden Gesetze zur Verhinderung von staatlicher Willkür sind dabei das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. „Wer nervt, kriegt Stress.“ sagt Jan Hansen dazu. „Hätte der Betroffene brav nachgegeben, wäre das Verfahren aus der Welt. Hat er aber nicht. Also ballert ihm die Richterin jetzt eine rein“. Auf der anderen Seite sei laut Hansen die Willkür nur oberflächlich willkürlich. „Willkür erfüllt im demokratischen Regime einen Zweck.“ Dieser Zweck sei die Durchsetzung von Herrschaft gegen Widerstände. „Egal ob Militärtransport oder Gerichtsprozess: Immer dann, wenn Menschen hier effizient Sand ins Getriebe streuen, packt das demokratische Herrschaftsregime seine hässliche Fratze aus“. Dann seien Grundrechte nur belastendes Beiwerk. „Das werden wir sicher auch am 18.12.13 wieder erleben“ schließt Hansen das Statement.

 

Öffentliche Verhandlung am 18.12.2013

Die Verhandlung am 18.12.2012 findet am Amtsgericht Husum ab 9.15h statt. Wahrscheinlich wird sich das Gericht wieder hinter der Mobilen Einsatzgruppe Justiz verschanzen. Durch die schikanösen und gewalttätigen Einschüchterungskontrollen am Gerichtseingang wird sich das Betreten des Gebäudes massiv verzögern.

 

Mehr Infos:

http://www.militarismus-jetzt-stoppen.de.vu

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