15 Thesen zu Kapitalismus und Prostitution

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Übersetzung der Hauptthesen von Quinze thèses sur le capitalisme et le système prostitutionnel mondiale von Richard Poulin, Professor der Soziologie an der Universität von Ottawa /Kanada und Autor von "Die Globalisierung der Sexindustrien" Paris, Imago, 2005. Der Autor dankt Francois Houtard, der anläßlich des 4. Internationalen Marx Kongresses seinen Vorschlag aufgenommen hat eine Ausgabe der "Alternatives Sud" der Frage der Globalisierung der Prostitution zu widmen.

 

  1. Die Globalisierung und die Industrialisierung des Sexhandels sind zwei Phänomene, die eng ineinander verschachtelt sind.
  2. Die Politik der Liberalisierung /des Liberalismus (politiques liberales) hat Anteil am Aufschwung der Sexindustrien.
  3. Die Verelendung zahlreicher Regionen der Welt schafft günstige Bedingungen für alle Formen des Verkehrs, des Handels und der Prostitution von Menschen.
  4. Die kapitalistische Globalisierung hat die Ungleichheit der Entwicklung der Länder verstärkt, die einen bedeutenden Druck erzeugt hat, der internationale Migrationen fördert.
  5. Die Industrialisierung des Sexhandels hat zur Entwicklung einer Massenproduktion von Gütern und "sexuellen Dienstleistungen" geführt, die eine regionale und internationale Arbeitsteilung hervorgebracht hat.
  6. Trotz dieser Tatsachen untersucht die sehr große Mehrheit der Analysen der kapitalistischen Globalisierung der Gegenwart den Einfluß des industrialisierten Sexhandels auf die Gesellschaften und die Geschlechterbeziehungen nicht.
  7. Die Prostitution ist ein traditionelles Betätigungsfeld des organisierten Verbrechens und die Explosion der Sexmärkte wird zu großen Teilen durch dieses kontrolliert.
  8. Die Prostitution gründet sich auf Gewalt. Sie speist sich aus Gewalt und sie verstärkt Gewalt.
  9. Die Frauen und Kinder von Minderheiten sind überproportional davon betroffen Opfer der globalen Sexindustrie zu sein im Vergleich zu ihrem Anteil in den Bevölkerungen.
  10. Die aktuelle massive Ausbreitung der Prostitution ist unter anderen eine Auswirkung der Anwesenheit von Soldaten in Kriegseinsätzen oder besetzten Gebieten.
  11. Weltweit werden jedes Jahr zwischen einer und zwei Millionen Minderjährige zu Opfern des Sextourismus, das heißt der organisierten Prostitution.
  12. In seiner Gesamtheit ist die Akkumulation von Kapital das Ziel des Systems, im besonderen des Zuhältersystems, das die Sexindustrie beherrscht und organisiert.
  13. Das ungebremste Wachstum der Sexindustrien hat zur Folge, daß die grundlegenden Menschenrechte in Frage gestellt werden, vornehmlich die der Frauen und Kinder, die zu Sexwaren geworden sind.
  14. Die Werte des Liberalismus haben einen wichtigen Teil der Linken und der Frauenbewegung infiziert.
  15. Man kämpft vergeblich gegen den Menschenhandel, wenn man nicht gegen das Prostitutionssystem kämpft, welches die Ursache dafür ist.
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Ein Professor fällt aus allen Wolken, selbst die Prostitution folgt den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Warenproduktion. Seine Thesen sind größtenteils auch gar nicht falsch, nur langweilig. Denn wenn man herausarbeitet, dass auch die Prostitution sich nicht von anderer Arbeitsmigration unterscheidet, wo bleibt dann die gesondert zu kritisierende Alleinstellung?

Und da hat er keine Analyse, sondern nur billiges Moralisieren anzubieten: "Die Prostitution gründet sich auf Gewalt." - Nein, manche Prostitution gründet sich auf Gewalt, in der Mehrzahl wird sie in Deutschland selbstbestimmt und freiwillig ausgeführt. "daß die grundlegenden Menschenrechte in Frage gestellt werden, vornehmlich die der Frauen und Kinder, die zu Sexwaren geworden sind." Prostituierte sind, abgesehen von Zwangsprostituierten, "Sexwaren" nur in dem Sinne wie sie Träger der Ware Arbeitskraft sind. Auch sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen und ziehen das Bordell dem Fließband vor. Wegen dieser ideologisch intendierten Gleichsetzung von Prostituierten mit Zwangsprostituierten, sind seine Thesen nicht nur kein großer Wurf, sondern auch meilenweit unter dem Stand der Debatte.

Enthiusiastische Zustimmung zu diesem Kommentar!

 

Als Ergänzung: Unser Professor fragt keine Sexarbeiter_innen nach deren Thesen zu Sexarbeit. Die Betonung of Kriminalität und Zuhälterei legt eine Kriminalisierung von Sexarbeit nahe - mehr Polizei als linke Perspektive?

 

Ich würde die Frage stellen: Was ist der unterschied zwischen Sexarbeit und ARbeit auf dem Bau - die auch manchmal  gefährlich ist, unter Mafia-Strukturen stattfindet und von armen Menschen mit eingeschränkten Rechten ausgeübt wird. Ich glaube ein entscheidender Punkt ist die Sexualmoral, die im Kern Frauen und Männder im Gewerbe verurteilt und damit das was ihnen vielleicht von Zuhältern oder Kunden angetan wird ein Stück weit legitimiert - wenn Sexarbeit an sich schon der Skadal ist, dann ist es der übergriffige Kunde  oder der Zuhälter nicht mehr. Sexismus und Arbeitsrechte wären in meinen Augen zwei Angriffpunkte für linke Politik.

Es ist eben keine tiefergehende Gesellschaftsanalyse, sondern letztenendes nicht mehr als Polemik, bei welcher der Verweis auf die kapitalistische Verfasstheit der Prostitution dieser als Makel anhängen soll. Die Erkenntnis, dass ein totalitärer Gesellschaftszusammenhang wie der Kapitalismus alle zwischenmenschlichen Strukturen formt fehlt pseudo-radikalen meist, insbesondere wenn sie sich auf einen einzelnen Großbereich kapitalistischer Herrschaft beschränken. Mehr als verkürzte Kapitalismuskritik kommt da meist nicht bei rum, eben weil man seiner eigenen moralisierenden Tendenz folgt, die Welt in Gut und Böse einzuteilen.

 

Traurig auch die Tatsache dass es offensichtlich als Erkenntnisgewinn gewertet wird, 8 Jahre später nochmal die selben Thesen zu wiederholen ohne dass es anscheinend eine Auseinandersetzung dazu gegeben hat. Wurden diese Thesen mittlerweile an den Tatsachen überprüft, wurden verfügbare Daten ausgewertet oder verbleibt das ganze jetzt einfach so und wir nehmen unbegründete Thesen für bare Münze, weil sie unser Moralgefühl untermauern?

 

Aber auch das wäre ein treffendes Bild der gegenwärtigen Linken, für die ihr Image des moralisch Überlegenen alles ist, was ihre Politik zustande bekommt.

für die Stärkung der Rechte und für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit


Prostitution ist keine Sklaverei. Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden. Ein solches Geschäft beruht auf Freiwilligkeit. Gibt es keine Einwilligung zu sexuellen Handlungen, so handelt es sich nicht um Prostitution. Denn Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung. Das ist auch dann ein Straftatbestand, wenn dabei Geld den Besitzer wechselt.

Prostitution ist nicht gleich Menschenhandel. Nicht nur Deutsche, sondern auch Migrant_innen sind überwiegend freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig. Prostituierte, egal welcher Herkunft, pauschal zu Opfern zu erklären, ist ein Akt der Diskriminierung.

Obwohl Prostitution im Volksmund als das älteste Gewerbe der Welt gilt, ist sie in den wenigsten Ländern als Arbeit anerkannt. Im Gegenteil, Sexarbeiter_innen werden in den meisten Teilen der Erde verfolgt, geächtet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Deshalb fordern Sexarbeiter_innen weltweit die Entkriminalisierung der Prostitution und ihre berufliche Anerkennung.

Hier weiterlesen:

http://www.sexwork-deutschland.de/Prostituierten-Vereinigung/Aktuelles/E...

Stimmt, immerhin sind hierzulande ganze 44 Prostituierte sozialversicherungspflichtig registriert, zudem haben etwa 60-70% der Prostituierten einen Migrationshintergrund....Wahrlich sehr selbstbestimmt!

naja, die meisten sexarbeiterInnen sind eben keine angestellten, sondern selbstständig tätig. dass diese selbstständigkeit prekär ist-wie viele andere arbeitsverhältnisse, ist offensichtlich. obwohl mich doch interessieren würde, wo du diese zahl her hast. generell konnte ich feststellen, dass sich die viele "feministInnen" gerne anmaßen ÜBER sexarbeiterInnen zu sprechen statt MIT den leuten. es gibt tatsächlich nicht wenige frauen (und ein paar männer), die diesen job gewählt haben, so wie andere ihre lohnarbeit: unter dem zwang geld verdienen zu müssen aber eben auch nichts anderes. gerade viele dominas und sexualbegleiterInnen (sexuelle Dienste im Behindertenbereich etc) sind übrigens ziemlich feministisch eingestellt. man darf menschenhandel/zwangsprostitution und sexarbeit nicht in einen topf werfen. letztlich führt das oft zu einer repressiven und reaktionären haltung gegenüber den sexarbeiterInnen. nicht wenige linke wollen die rücknahme des prostitutionsgesetzes mit dem selben eifer wie die csu. ich fände es auch besser, wenn die gesellschaft nach einem revolutionären prozess an einem punkt wäre an dem niemand lohnarbeiten muss, niemand sex oder anderes als diensleistungen kaufen kann und emanzipation an jeder stelle verwirklicht ist. bis dahin aber können unsere solidarischen forderungen nur welche sein, die die verbesserungen der arbeitsbedingungen der sexarbeiterInnen im fokus haben und den kampf gegen zwangskontexte nicht seite an seite mit konservativen auf ihren rücken auszutragen.

Krass, die Kommentare hier sagen aber auch schon alles über die linke Szene (und ich nehm das Wort bewusst). Nur männliche Mackerscheiße hier!

 

Hat sich mal jemand gefragt, warum Mädchen/Frauen (und Jungs/Männer) fast ausnahmslos von Männer für Sex bezahlt werden?

Hat sich mal jemand gefragt, was dieses Verhältnis für eine Gesellschaft bedeutet? Für ihre Mädchen und Frauen? Für ihre Jungs und Männer?

wo ist denn deine begründung warum das hier alles mackerscheiße sein soll? du gehst kein bisschen auf das ein was die anderen hier geschrieben haben. stellst nur einen vorwurf in den raum.

 

ja ich habe mich schon aufgefragt warum die verhältnisse bei prostitution so sind wie du sie beschreibst. eine klare antwort konnte ich nicht finden. vielleicht kannst du diese fragen ja beantworten? ja? dann klär uns doch alle bitte auf. nein? dann zeig auch nicht mit dem finger auf leute, die es auch nicht wissen.

Es gibt auch männliche Sexarbeiter, und über die spricht wieder einmal niemand.

Merkwürdigerweise wird immer nur bei weiblichen Sexarbeiterinnen von Gewalt; Zwang, Ausnutzung gesprochen und bei männlichen Nicht - der Frau wird also automatisch wieder einmal die Opferrolle zugeschrieben

Viele Frauen in der Sexarbeit betrachten sich jedoch nicht als Opfer, deswegen mit dem Zeigefinger an zu kommen bringt überhaupt nichts - viel mehr sollte man sie encouragieren sich in ihrem sexistischen Umfeld so selbstbewusst und unabhängig wie möglich zu positionieren und ihren Hilfe an zu bieten wie z.B eine Weiterbildung zur Sexualassitenz

Natürlich ist Sexarbeit eine der deutlichsten Bereiche in denen das Patriarchat zu tragen kommt, doch sollte man die Menschen nicht verurteilen die sich innerhalb des Systems bewegen, denn eigentlich bewegen sich alle Frauen in diesem System. Um es von unten auf zu dröseln ist es nun mal wichtig mit Sexarbeiterinnen zusammen zu arbeiten und sie nicht zu verwerfen. 'Menschenhandel' an sich findet nicht nur im Prostitutionssystem statt sondern ist allgemein sehr gängig im kapitalistischen Alltag s.h Zeitarbeitsfirmen. Es darf nicht sein das Sexarbeiter_innen kriminalisiert und von Feminist_innen und Antisexist_innen abgelehnt werden! Sexarbeit ist Arbeit!

Die Diskussion und die Kommentare sind so bitter... Natürlich ist es wichtig, dass Menschen, die innerhalb der Sexarbeit tätig sind, abgesichert werden und dass wir als Linke sie in dem Punkt unterstützen... Aber wir müssen uns doch auch v.a. mit der Frage auseinandersetzen, woher kommt die Prostitution und wem nützt diese?

Und was bedeutet diese Aussage? "Man kämpft vergeblich gegen den Menschenhandel, wenn man nicht gegen das Prostitutionssystem kämpft, welches die Ursache dafür ist." Das lenkt in meinen Augen nur vom eigentlichen Problem ab und kommt keineswegs auf die Tatsache zu sprechen, dass im Kapitalismus alles zur Ware wird und verkauft werden soll...

"woher kommt die Prostitution und wem nützt diese?"

warum sagst Dus uns denn nicht? Zu erraten ist es relativ schwer, zumindest Deine favorisierten Antworten.