Beim MSV Duisburg wurde eine antirassistische Ultragruppe überfallen. Ein Trend, der mittlerweile in immer mehr Stadien zu beobachten ist.
"Für Integration, Respekt und Toleranz“ – so lautete der Aufdruck eines Transparentes, das die Spieler des Fußball-Drittligisten MSV Duisburg vor dem Anpfiff der Partie gegen den 1. FC Saarbrücken am vergangenen Wochenende präsentierten. Dem Vernehmen nach applaudierte das ganze Stadion. Knapp zwei Stunden später überfielen etwa zwei Dutzend Hooligans und Neonazis die Duisburger Ultragruppe „Kohorte“, die sich für genau diese Werte einsetzt. Und das direkt am Stand des Fanprojekts, dort, wo nach dem Spiel Hunderte MSV-Fans zu ihren Fahrzeugen gehen.
„Ich gehe seit 23 Jahren zum MSV. Das war das Schlimmste, was ich je gesehen habe“, sagt ein Augenzeuge. „Die haben auf eine Frau eingetreten, die am Boden lag.“ Der Familienvater spricht von einem „organisierten politischen Angriff“. Er habe bekannte Duisburger Hooligans gesehen, aber auch „irgendwelche Nazis mit entsprechenden Shirts, die ich noch nie hier gesehen habe“.
Die Angegriffenen selbst gehen ins Detail: „Mitglieder der Gruppen ,Division Duisburg’ und ,Proud Generation Duisburg’ attackierten unter Hinzuziehung von Mitgliedern des ,Nationalen Widerstands Duisburg’ und Führungspersonen des ,Nationalen Widerstands Dortmund’ unsere Gruppe auf dem Parkplatz“, heißt es in einer Erklärung der „Kohorte“, die seither jede weitere Stellungnahme gegenüber der Presse verweigert. Man wolle nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, heißt es.
Frauenrechte im Blick
Die Gruppe besteht aus zumeist eher jungen Mitgliedern, die sich in den letzten Jahren einige Gedanken darüber gemacht haben, was der „Ultra“-Gedanke jenseits der szenetypischen Folklore beinhaltet. Natürlich basteln auch sie aufwendige Choreographien, natürlich haben auch sie zentral gesteuerte Fangesänge, doch damit hören die Gemeinsamkeiten mit einigen anderen Ultragruppen auch schon auf.
Sie haben sich beispielsweise überlegt, wie sie es schaffen können, dass die wenigen weiblichen Gruppenmitglieder angesichts der vielen Männer, die das große Wort führen, ebenso zu ihrem Recht kommen. Seit man sich im Plenum melden muss, bevor man redet, werden Frauen nicht mehr so untergebuttert. Sie singen keine Hass-Lieder gegen den Lokalrivalen Fortuna Düsseldorf, weil sie nicht einsehen, warum sie Fans verachten soll, mit denen sie gemeinsam bei der Anti-Nazi-Demo in Dortmund demonstrieren. Stattdessen verweigern sie jede Form der Kumpanei mit rechtsgerichteten Hooligans.
Szene wie auf dem Pausenhof – und wie bei der Mafia
Und damit beginnen die Probleme. Denn in der Fanszene eines Fußballvereins geht es zuweilen auch nicht anders zu als auf einem Pausenhof, wenn die Aufsicht mal auf Toilette ist: Die Jungs mit dem großen Bizeps setzen sich dann gerne einmal gegen die mit dem besseren Argument durch. So ist es zumindest in Duisburg, wo „der Großteil der Fans natürlich nicht rechts ist“, wie der Augenzeuge berichtet, „aber man traut sich auch nicht, etwas gegen die Nazis zu sagen. Die sind eben sehr aggressiv“.
Auch die Ultras der „Kohorte“ sind weder willens noch in der Lage, physisch gegen die kampfsporterprobten Kanten zu bestehen. In den vergangenen Monaten sind sie zu Kompromissen gezwungen worden, die ihnen eigentlich gegen den Strich gehen: Wenn sie darauf verzichten würden, sich mit Transparenten oder Gesängen gegen Rechts zu positionieren, werde man gnädigerweise davon absehen, sie zu verprügeln. Das wiederum erinnert weniger an Schulhof, als an Mafiamethoden.
Auch am Samstag haben die Duisburger Ultras das Schweigegelübde eingehalten, das ihnen alte und junge Hooligans abgerungen haben. Sie hissten aber ein Transparent, auf dem sie sich solidarisch mit einer antirassistischen Braunschweiger Ultra-Gruppe erklärten, die im September zur Zielscheibe rechter Gewalt wurde. Auch bei Fortuna Düsseldorf und bei Hansa Rostock wurden Ultras, die sich gegen Rechtsaußen positionieren, eingeschüchtert. In Aachen gab eine Ultragruppe deshalb sogar auf und überließ den Rechten die Fankurve.
Rechte Hooligan-Gewalt – ein bundesweiter Trend
Martin Endemann, Sprecher des Fanzusammenschlusses „Bündnis Aktiver Fußballfans“ warnt dann auch vor einem bundesweiten Trend: „Rechtsradikale Hooligans wollen ihre Sichtweise der gesamten Fanszene aufzwingen und versuchen, die einzige Gruppe, die sich offen dagegen wehrt, zu zerschlagen, auch mit körperlicher Gewalt.“
An dem Duisburger Angriff waren auch zwei Führungsfiguren der 2012 verbotenen Neonazikameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ beteiligt. Die beiden sind Fans von Borussia Dortmund und der Dortmunder Polizei leidlich bekannt. Für BVB-Spiele haben die beiden ein Stadionverbot.
Wenn zwei Nazikader, deren Lieblingsverein gleichzeitig ein Heimspiel hat, lieber nach Duisburg fahren, anstatt sich das BVB-Spiel in einer Dortmunder Kneipe anzuschauen, ist das ein weiteres Indiz für eine gestiegene Vernetzung der deutschen Fußball-Naziszene. Und ein ziemlich deutlicher Hinweis darauf, dass die Duisburger Ultras sich an diesem Tag auch gegen die Jagd auf Blauwale hätten aussprechen können – verprügelt worden wären sie so oder so.
Augenzeugen berichten dann auch, dass einer der Duisburger Hool-Anführer „Das war heute euer letztes Spiel“ gebrüllt habe, bevor er zuschlug. „Wenn es so weit kommt, dass die Leute von der Kohorte sich nicht mehr ins Stadion trauen“, sagt der Augenzeuge, „gehe ich auf die Geschäftsstelle und zerreiße vor deren Augen meine Dauerkarte“.