Die neurechte Zeitschrift Sezession hat in Berlin zum zweiten Mal ihren »Zwischentag« veranstaltet. Sogar Faschisten aus Italien und Ungarn waren zu Gast. Die Junge Freiheit blieb hingegen fern.
VON MATHEUS HAGEDORNY UND NIKLAAS MACHUNSKY
Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig protestieren zwei Dutzend Antifaschisten. Götz Kubitschek beobachtet die Kundgebung mit einem entspannten Lächeln. Denn der Chefredakteur der Zeitschrift Sezession des Instituts für Staatspolitik (IfS) ist Schlimmeres gewöhnt. In den ersten Jahren verlief das Vorhaben, in Berlin eine Großveranstaltung abzuhalten, stets katastrophal. Immer wieder wurden Räume gekündigt, die Mitwirkenden zermürbt und die Sache in Frage gestellt. Doch nun beginnt im gediegenen Logenhaus, einem Veranstaltungsort in Berlin-Wilmersdorf, der zweite »Zwischentag«, der von der Sezession ausgerichtet wird. Mindestens 500 »Ein-Mann-Kasernen«, wie Kubitschek sich und andere selbsternannte Rechtsintellektuelle nennt, sind der Einladung gefolgt.
Die Etablierung der »Freien Messe Berlin«, wie der »Zwischentag« auch genannt wird, ist für die Neurechten ein Fortschritt, das erklärte Ziel bleibt die Errichtung eines eigenen Bildungszentrums in der Hauptstadt. 13 Jahre nach seiner Gründung soll das IfS allmählich den Umzug aus dem abgelegenen Rittergut Schnellroda (Sachsen-Anhalt) schaffen, wo Kubitschek neben der Sezession ein nach eigenen Angaben erfolgreiches »Verlags- und Familienprojekt« verantwortet. Seit etlichen Jahren sucht das Institut nach einer repräsentativen Immobilie in Berlin. Geld ist das kleinere Problem, das größere bleibt der politische Widerstand.
Beim »Zwischentag« scheint das inoffizielle Tagesmotto zu sein: Hier bin ich rechts, hier darf ich’s sein. Jede Altersklasse ist vertreten, der Dresscode pluralistisch. Geborene und neugeborene Konservative, Burschenschafter, Esoteriker und Neofolk-Fans treffen auf NPD-Spitzenpolitiker und die Jünglinge der bislang vor allem virtuellen »Identitären Bewegung«. Frauen bleiben die Ausnahme.
An den Ständen von über 30 Verlagen, Zeitschriften, parteiunabhängigen Gruppen und subkulturellen Initiativen können die Besucher Bücher, Zeitschriften und Devotionalien erstehen. Dazu kommen Lesungen und Podien zu Kultur und Politik, die den Anspruch auf Intellektualität unterstreichen sollen. Geboten wird jedoch weniger Intellektuelles als vielmehr eine Gelegenheit, einen bürgerlich-elitären Habitus zur Schau zu stellen. So ist der »Zwischentag« keine Konferenz mit Büchertischen, sondern in erster Linie eine neurechte Gesinnungsschau mit Werbeblöcken. Inhaltlich wird die Messe von den Veranstaltern dominiert, die einen Großteil der Podien selbst bestreiten.
Das Messegeschehen bestätigt, was der Cheforganisator Kubitschek in seiner Funktion als Verleger über die neurechte Szene zu berichten weiß: dass diese eigentümlich literaturfern sei. Eine Kostprobe literarischen Unvermögens bietet Thomas Barthélemy, der aus seinem Roman »Von kommenden Stürmen« liest. Unfreiwillig komisch sind die Auszüge aus dem als »lateral« angekündigten Roman, in dem »magische Krieger« und ein Amazonenbund Widerstand in einer entzauberten und von »Überfremdung« bedrohten Welt leisten. »Lateral« soll der Roman sein, weil er von einem »Querdenker« geschrieben wurde. Quer liegt in dem Werk so ziemlich alles, vor allem der blamable Versuch, Heidentum und Christentum durch esoterisches Flickwerk miteinander zu versöhnen.
Der »Zwischentag« ist aber mehr als das neue Deutschlandtreffen der Szene.Hoffnung auf den Durchbruch zieht die hochschulreife Rechte aus den Beiträgen ihrer ausländischen Verbündeten. Die aktionistischen Neigungen der Szene befriedigt vor allem die »Identitäre Bewegung«, deren Mythos sich aus einer Moscheebesetzung in der französischen Stadt Poitiers speist und die inzwischen auch Ableger in Österreich und Deutschland hat. Auf dem »Zwischentag« haben die »Identitären« aus Frankreich, Österreich und Deutschland dann ihren ersten gemeinsamen großen Auftritt. In den vergangenen Monaten löste die Bewegung bei den deutschen Neurechten fiebrige Erregung aus. Auf dem »Zwischentag« hingegen ist Felix Menzel, der Herausgeber der Schülerzeitung Blaue Narzisse, sichtlich bemüht, die Begeisterung zu dämpfen. Schon vorher hat er das Publikum mit der These irritiert, dass der klassische souveräne Nationalstaat unrettbar überkommen sei und es andere Formen zur Wahrung nationaler Identität geben müsse. Dass diese in der Rechten kaum mehrheitsfähige Ansicht in den Raum gestellt worden ist, ohne diskutiert zu werden, ist symptomatisch für das pluralistische wie beliebige Konzept der »Freien Messe«.
Eigentlich hätte der einst militante und wegen des Verdachts des Rechtsterrorismus gesuchte Faschist Gabriele Adinolfi der Star des Tages sein sollen. Doch es gibt einen Überraschungsgast, der dem Chefideologen der italienischen Neurechten die Schau stiehlt. Es ist der ungarische Parlamentsabgeordnete Márton Gyöngyösi von der Nazipartei Jobbik, der dem von Querdenkern ermatteten Publikum klare Ansagen aus der völkischen Demokratie Ungarns auf den Weg gibt. In geschliffenem Englisch ruft er die europäische Rechte dazu auf, die nationale Souveränität wiederherzustellen und den Kontinent vom westlichen System abzukoppeln. Die Tragödie des Abendlandes habe mit der Aufklärung begonnen und es sei nun an der Zeit, gegen Republikanismus, Liberalismus und Gleichheit alte Werte wie Monarchie, Spiritualität, hierarchische Ordnung und nicht zuletzt Opfer und Selbstopfer zu setzen. Das Publikum quittiert diese Kampfansage an den bürgerlichen Liberalismus mit dem stärksten Applaus des ganzen Tages. Gyöngyösi ist bekannt für seine klaren Feindbestimmungen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Jobbik forderte im November 2012 anlässlich der israelischen Militäroperation gegen die Hamas, die Juden Ungarns – später relativierte er: Bürger mit ungarischem und israelischem Pass – gesondert zu erfassen, weil diese ein »Sicherheitsrisiko« darstellten.
Eine Publikation der Neuen Rechten, die noch im Vorjahr anwesend war, ist der Veranstaltung diesmal ferngeblieben: die für dieses Milieu maßgebliche Wochenzeitung Junge Freiheit. Zwischen ihr und der Sezession, von deren Autoren etliche für die Junge Freiheit schreiben, gibt es seit einiger Zeit Spannungen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Anlass der Absage die von Kubitscheks Verlag Antaios wiederveröffentlichten Beiträge waren, die Armin Mohler, erklärter Faschist und ehemaliger Privatsekretär Ernst Jüngers, in den neunziger Jahren für die Junge Freiheit geschrieben hatte. Darin geißelt Mohler die Strafbarkeit der Holocaustleugnung als Gesinnungsjustiz. Zwischen Mohler und dem Herausgeber der Jungen Freiheit, Dieter Stein, kam es deshalb zum Bruch.
Gegenstand des Streits zwischen der Sezession und der Jungen Freiheit ist also der Umgang mit den deutschen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus, von denen sich die Nationalrevolutionären noch weniger distanzieren möchten als die Nationalliberalen. Auf dem »Zwischentag« bemerkte Kubitschek, dass Stein kein »harter Rechter« sei, sondern als »Nationalliberaler« in seiner Zeitung einen »herrschaftsfreien Diskurs« pflege. Das dürfte in diesen Kreisen als Beleidigung aufgefasst werden. Der offene Kampf um die Hegemonie in der Neuen Rechten ist eröffnet.