Am 30. April wird in Wedding, im Rahmen der Antikapitalistischen Walpurgisnacht wieder eine berlinweite Demonstration gegen steigende by CouponDropDown">Mieten, Rassismus und soziale Ausgrenzung stattfinden. Das Bündnis "Hände weg vom Wedding!" hat zur Situation im Bezirk eine Broschüre erstellt, die sich mit Mietsteigerung, der Rolle der Quartiersmanagements, staatlichem Rassismus und weiteren Themen befasst. Auf Indymedia werden in den Wochen vor dem 30. April als inhaltliche Begleitung veröffentlicht.
# 30. April 2013, S.-U.-Bhf. Gesundbrunnen | 15 Uhr, Kundgebung | 20.30 Uhr, Demonstration
[Aufruf | Material]
Teil 5 : "Und die Miete steigt und steigt und steigt und…."
Die Berliner Stadtteile Wedding und Moabit galten viele Jahrzehnte als unattraktive Wohnbezirke. Eine Mischung aus Rassismus, Sozialchauvinismus und Mythen über Kriminalität sorgten dafür, dass viele Menschen einen Bogen um diese Kieze machten. Dadurch waren die Mieten lange Zeit im Vergleich zum Berliner Durchschnitt vergleichsweise günstig.
Seit dem Fall der Mauer 1989 liegen beide Bezirke jedoch zentraler denn je. Gerade im Zuge der großangelegten Sanierung der Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg befindet sich der Wedding nun in unmittelbarer Nachbarschaft zu den beiden „hippen“ Stadtteilen mit ihrer markanten Kreativindustrie. Dass Sanierungen, Mietsteigerungen und die dadurch zunehmende Verdrängung der „alteingesessenen“ Bewohner_innen der „neu entdeckten“ und „hippen“ Bezirke auch Wedding und Moabit mit seiner Sozialstruktur berühren, war abzusehen.
Vor allem in den letzten Jahren stiegen die Mietpreise in den betreffenden Quartieren überproportional an. So betragen die Mietsteigerungen im Brüsseler Kiez und rund um den Leopoldplatz bereits satte 19 bis 20 Prozent bei Neuvermietungen im Vergleich zu den letzten Jahren. Übertroffen wird diese Entwicklung noch von den Quartieren um die Moabiter Stephanstraße und im Hansaviertel, wo die Quadratmeterpreise um ca. 21 Prozent stiegen. Die Steigerung von 20 Prozent in drei Jahren ist übrigens vom Berliner Senat gestattet worden und gilt nur für bestimmte Schutzgebiete nicht. Was sich in pastellfarbenden Häuserwänden und gepflegten Eingangsbereichen niederschlägt, ist eine gewaltvolle Umschichtung der lokalen Bevölkerung. Die Botschaft ist klar: Wer sich die Miete nicht mehr leisten kann, muss weg!
So werden ganze Bestände ehemaliger Sozialwohnungen für neue „bessergestellte“ Mieter_innen bereitgestellt, womit das Wohnungsangebot für ärmere Milieus weiter verknappt und vernichtet wird. Wobei sich Rassismus und soziale Ausgrenzung hervorragend ergänzen – auch bei Neuvermietungen von Wohnungen werden immer wieder Menschen entlang sozialer oder vermeintlicher ethnischer Kategorien ausgeschlossen.
Der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm hat diese Entwicklungen, die u.a. auch im Wedding zu tragen kommen, für den Stadtteil Moabit festgestellt. So sind die Angebote über eine preisgünstige Wohnung für Hartz4-Empfänger_innen dort von 2007 auf 2011 von 8000 auf ca. 5000 Wohnungen gesunken. Dies bedeutet, dass Bezieher_innen von Arbeitslosengeld 2 und anderen Transferleistungen bei Neuvermietungen zunehmend ausgeschlossen werden. So gab auch der Bauträger des frisch sanierten Hauskomplexes an der Prinzenstraße/ Osloer Straße unumwunden zu, dass sich der Wedding „komplett verändern“ und vor diesem Hintergrund die Nähe zum „wohlhabenden“ Prenzlauer Berg weitreichende Folgen habe werde.
Doch um für die anvisierte zahlungskräftige Klientel reizvoll zu
erscheinen, muss der Wedding erst noch gesäubert und aufgehübscht
werden. Die Verzahnung von Sicherheitspolitik und der Ausgrenzung
ärmerer Menschen bereitet diesen Boden vor.
Zu beobachten ist dies einerseits an der zunehmenden Kameraüberwachung
in Bereichen der Höfe und Hauseingänge und immer mehr Zäunen zwischen
vormals unbegrenzten Höfen. Vor allem aber vollzieht sich die soziale
Ausgrenzung deutlich wahrnehmbar im öffentlichen Raum – beispielsweisen
durch rassistische Polizeikontrollen. Während ein Jugendclub nach dem
anderen geschlossen wird, werden auf der Straße herumhängende
Jugendliche im „neuen“ Wedding nicht gern gesehen. Sind sie auch noch
migrantischer Herkunft, wird die entsprechende Ecke im Verständnis von
Politik und Sicherheitsorganen zum sogenannten
„Kriminalitätsschwerpunkt“. Im Wedding wurden die U-Bahnhöfe Osloer
Straße und Gesundbrunnen als solche „Kriminalitätsschwerpunkte“
ausgewiesen. Hier dürfen dann verdachtsunabhängige Kontrollen durch die
Polizei durchgeführt werden. Jung, männlich, Migrationshintergrund ist
juristisch abgesicherter Verdacht genug. „Racial Profiling“ nennt sich
das ganz unverblümt im Jargon der Kriminalistik. Die Möglichkeit, an
diesen Orten jedwede Person zu kontrollieren und zu durchsuchen, führt
schnell dazu, dass die regelmäßigen Polizeischikanen nicht nur
Jugendliche mit Migrationshintergrund treffen. Dies dem Übereifer
gelangweilter Polizisten zuzuschreiben, trifft nicht den Kern der Sache.
Politisch gewollt sollen diese Kontrollen nach außen hin vermitteln:
keine Toleranz gegen jene, die von der Norm abweichen.
Die Vertreibung der sogenannten „Trinker“ und Wohnungslosen am
Leopoldplatz aus der Wahrnehmbarkeit des Kirchenvorplatzes auf dessen
Rückseite an einen eigens eingerichteten „Trinkerplatz“ verdeutlicht
dies. Solange „soziale Auffälligkeiten“ wie Alkoholismus oder
Drogenkonsum nicht aus dem Wedding verbannt werden können, gilt es
zumindest diesen Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Zustände auszugrenzen
und „unsichtbar“ zu machen. Private Sicherheitsunternehmen räumen
derweil in Bahnhöfen und Einkaufszentren diejenigen heraus, für die im
neuen Wedding kein Platz mehr ist.
Die soziale Stigmatisierung der Betroffenen, der ökonomisch verarmten
Menschen, ist daher auch politisch gewollt. Sie ist eines der
Hauptmittel einer Strategie, die Stadt in ein großes
durchkommerzialisiertes Projekt zu verwandeln. Die Imageverbesserung des
„schlechten Rufes“ der Stadtteile Moabit und Wedding genießt dabei
Priorität bei GSW, DeGeWo, privaten Vermieter_innen und Senat, welche
nun auch hier richtig „absahnen“ möchten. Mittels inszenierter
Straßenfeste, wie dem Fashion-Festival „Wedding Dress“ in der
Brunnenstraße, und subventionierter Geschäftsräume möchten DeGeWo &
Co die Attraktivität des Weddings für Kreativindustrie und vermögendere
Mieter_innen beweisen.
Die studentischen Zuzügler_innen stellen dabei nur eine Etappe dar,
um bei weiter steigenden Mieten ebenfalls von Wohlhabenderen verdrängt
zu werden. Andrej Holm bezeichnete dies als „Verdrängungskampf von Armen
gegen noch Ärmere“.
An den Mieter_innenkämpfen in Kreuzberg (bspw. am Kottbusser Tor) und in
Neukölln (bspw. in der Oker- und Weisestraße), lassen sich
Widerstandsmöglichkeiten ableiten. Die Ausweitung der
Gentrifizierungsprozesse auf weitere Stadtgebiete zeigt, dass das
Schlagwort nun endgültig zum „städtischen Mainstream“ geworden ist. Nur
eine Mieter_innenorganisierung von unten kann Alternativen zur
Verwertungslogik des Immobilienmarktes aufzeigen. Die Mieter_innen und
Unterstützer_innen von Kotti & Co zeigen auf, dass ein solidarisches
Miteinander zu einer starken Mieter_innenbewegung führen kann. In den
kommenden Jahren werden die Konflikte zwischen den Verwertungs- und
Profitinteressen einerseits, und den betroffenen Haushalten und ihren
Bewohner_innen andererseits weiter zunehmen. Doch die diversen, sich
vernetzenden Kämpfe zeigen auf, dass Widerstand durch Mieter_innen nicht
ausweglos ist.
Es stellt sich umso mehr die Frage, wem die Stadt gehört.