Während das Massaker in der Diaz-Schule und die Misshandlungn in der Polizeikaserne Bolzaneto faktisch straffrei bleiben, sollen die DemonstrantInnen für angebliche Sachbeschädigung bis zu 14 Jahre Knast absitzen
Der erste Senat des italienischen Kassationsgerichtshof (die höchste Instanz im italienischen Gerichtswesen) hat soeben die Urteil gegen zehn angeklagte AktivistInnen teilweise bestätigt: Wegen der Kämpfe gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 sollen zwei Personen bis zu 14 Jahre Knast absitzen. Drei haben für ihre mehrjährigen Knasturteile Strafnachlass von neun Monaten bis ein Jahr bekommen, während fünf nochmal in Berufung gehen können. Für die anderen ist das Urteil nicht mehr anfechtbar.
Das abgeurteilte Vergehen nennt sich "Plünderung und Verwüstung", in Deutschland etwa mit schwerem Landfriedensbruch vergleichbar – zuzüglich erschwernder Umstände, die laut Gericht darin bestehen, im Falle von Ausschreitungen nicht eilig das Geschehen zu verlassen. Zum Zuge kam der sogenannte Codice Rocco, ein Paragraf aus der Zeit des Faschismus. Er soll Vergehen ahnden, die gemeinschaftlich begangen werden.
Viele Vorwürfe drehen sich um Sachbeschädigung. Dieses Property Damage
wurde unter der entstehenden globalisierungskritischen Bewegung in
Europa nach dem Gipfel der Welthandelsorganisation in Seattle 1999
populär: Im Rahmen von Demonstrationen werden die Fassaden von Banken
oder multinationalen Konzernen besprüht, Schaufenster eingeworfen oder
Filialen ausgeräumt.
Ursprünglich standen 25 italienische DemonstrantInnen vor Gericht. In
der zweiten Instanz waren allerdings über die Hälfte freigesprochen
worden. Ihre Strafen wurden teilweise als verjährt betrachtet. Mehrere
profitierten auch davon, dass ihnen Notwehr zuerkannt worden war: Sie
hatten sich gegen einen unrechtmässigen Einsatz der Polizei zur Wehr
gesetzt, als diese eine Demonstration angegriffen hatte. Die Polizisten
hatten eine genehmigte Demonstration attackiert, obwohl sie vom
Einsatzzentrum in eine andere Gegend geschickt worden waren. Dafür
schalteten sie schlicht das Funkgerät aus – und konnten so ungestört und
unter den Augen Hunderter JournalistInnen den Demonstrationszug mit
Tränengas angreifen. Im Verlauf dieser Straßenkämpfe wurde der 21jährige
Carlo Giuilani von einem Polizisten des Verteidigungsministeriums
getötet.
Letzte Woche war das Urteil gegen Polizisten verkündet worden, die an
dem brutalen Überfall auf die "Diaz-Schule" beteiligt waren. Zwar wurden
die Urteile grundsätzlich bestätigt, mehrere Polizisten müssten
eigentlich Haftsrafen antreten. Die Taten gelten jedoch als verjährt.
Ohnehin sind viele von ihnen bereits befördert worden; einer brachte es
gar zum Koordinator aller Geheimdienste. Unklar ist, ob die ebenfalls
vom Gericht endgültig bestätigte fünfjährige Suspendierung von allen
öffentlichen Ämtern durchgesetzt wird.
Auch in einem anderen spektakulären Prozess wurden Urteile gegen
Polizisten und medizinisches Personal bestätigt. Der Oberste Gerichtshof
hatte kürzlich alle Berufungen wegen Übergriffen in der Polizeikaserne
Bolzaneto verworfen. Polizei und Carabinieri hatten dort rund 300
Verhaftete mit Schlägen, Beleidigungen und systematischen Demütigungen
misshandelt. Betroffene mussten in den Zellen stundenlang mit dem
Gesicht zur Wand stehen und waren Schlafentzug, Androhung sexueller
Gewalt sowie CS-Gas ausgesetzt. Unter den Verurteilten ist auch der
durch seine Brutalität aufgefallene Gefängnisarzt Giacomo Toccafondi,
der Verletzten die Behandlung verweigerte und sich stattdessen an
Misshandlungen beteiligte. Wenn überhaupt, werden wohl nur Toccafondi
und sechs Polizisten ihre Haftstrafen zwischen zwölf Monaten und drei
Jahren antreten müssen. Die übrigen profitierten bereits in zweiter
Instanz von der kurzen Verjährungsfrist für Staatsbedienstete.