Widerstand am Kraterrand

bagger
Erstveröffentlicht: 
21.06.2012

Im Rheinischen Braunkohlerevier formiert sich langsam Protest gegen den Energiekonzern RWE

Nirgendwo sonst in Europa wird das Klima so drastisch geschädigt wie im Rheinischen Braunkohlerevier. Doch der Widerstand gegen die Kraftwerksmonster und Tagebaue wächst. Schon träumen Aktivisten davon, die Region zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach zum Wendland der Kohlekraft zu machen.

 

Man mag RWE als tumben Dinosaurier beschreiben, der manisch an Atom- und Kohlekraft festhält, der die Energiewende verschläft und ihr mächtig im Wege steht. Zu groß, zu gefräßig, zu wenig Hirn, zum Aussterben verdammt - so könnte man spotten. Doch immerhin, die PR-Abteilung des Konzerns strotzt vor Kreativität: Der Braunkohletagebau Hambach, das »größte Loch Europas«, eine riesige hässliche Kraterlandschaft nebst gigantischer Bagger, die sich ganze Dörfer vertilgend in die Landschaft fressen - ausgerechnet der Tagebau Hambach also wird als Freizeit-Event mit Naturschutzfaktor inszeniert.

 

Und das erfolgreich. Auf einer Aussichtsplattform am Kraterrand vergnügen sich Einheimische und Tagestouristen. Menschen aus Elsdorf, Russland, Gelsenkirchen und Japan bestaunen und fotografieren das riesige Loch. Tafeln präsentieren Leistungsdaten: Die acht imposanten Schaufelradbagger (Gewicht: 13 500 Tonnen pro Stück) bewegen bis zu 240 000 Kubikmeter Abraum am Tag. 40 Millionen Tonnen Braunkohle fördern sie pro Jahr. So ist es da zu lesen, derweil die Sonne lacht.

 

Natürlich erwähnen RWEs Reklametexter auch die entstehenden Umweltproblemchen: Staub wird aufgewirbelt, keine Frage, gleichwohl werde dies drastisch vermindert »durch technische Maßnahmen«. Währenddessen freuen sich die Abraumhalden über ihre »Rekultivierung«. Kurzum, hier kann man »eine lebendige Landschaft erleben«, verspricht die Werbeprosa. Die das böse Wort »Klimawandel« dezent beschweigt.

 

Noch Fragen? Ja: »Heinz, das mit dem Grundwasser musst du mir bitte mal erklären«, sagt eine Mittvierzigerin zu ihrem Begleiter. Heinz' Schnurrbart zuckt einen Moment, dann drückt der Mann im hellblauen Freizeithemd das Kreuz durch und referiert: »Das Grundwasser absenken, das ist das A und O. Sonst steht hier schnell alles unter Wasser.«

 

Das Wasser - es zählt auch zu den Problemen, die das Protestcamp bewegen, das im Hambacher Forst dem Tagebau und einer drohenden Abholzung des Waldes trotzt. Das Nass muss mühsam in Kanistern herbeigeschafft werden. Manchmal ist es aber auch im Überfluss vorhanden: »Wenn es hier eine Woche lang regnet, wird es hart«, stöhnt Sebastian, einer der Waldbesetzer. Seit zwei Monaten campiert der Schreiner unter den bedrohten Bäumen, aktuell mit etwa 20 Mitstreitern. Meist neigen sie anarchistischen Ideen zu. Im Hambacher Forst findet die Bechsteinfledermaus eines ihrer letzten Refugien. Noch. Denn ab Oktober darf die Planierraupe ihr den Lebensraum streitig machen. Den drohenden Kahlschlag wollen die Waldbesetzer durch Blockaden verhindern. Nach und nach baut ihre Vorhut die nötige Infrastruktur aus.

 

Baumhäuser, Hängematten in Eichenwipfeln, sogar ein »Umsonstladen«, wo Gebrauchsgüter abgegeben und von Interessierten mitgenommen werden können, beleben den Forst. In einer improvisierten Dusche heizt sich Wasser in dunklen Beuteln auf - dem Sonnenlicht sei Dank. Eine Küche verbrät gespendete und »containerte«, also aus Supermarktmülltonnen gesammelte, aber noch genießbare Nahrung.

Im nahen Düren wurde eine »Werkstatt für Aktionen und Alternativen« etabliert, die, zusammen mit der lokalen Bevölkerung, die Region zum Wendland der Kohlekraft machen will. Die Bewegung vernetzt sich mit Gleichgesinnten aus Schottland und Brandenburg. »Auch die Medienresonanz wird freundlicher«, sagt Waldbesetzer Sebastian. Der 24-Jährige trägt eine braune Latzhose, ein Käppi, aber keine Schuhe, während er querfeldein über die künftige Rodungsfläche zum Kraterrand marschiert. »Vor einem Jahr standen hier noch Bäume, nach und nach frisst der Tagebau sich den Weg frei«, bedauert er. »25 Cent pro Quadratmeter soll RWE für den Wald bezahlt haben.«

 

Am Horizont dampfen die Braunkohlekraftwerke Niederaußem und Neurath. Sie zählen zu den übelsten Klimakillern des Kontinents. Beide werden erweitert. Die Kohle aus dem Hambacher Loch, das sich bis 2045 auf 85 Quadratkilometer ausdehnen soll, wird vor allem in Niederaußem verfeuert.

 

So wie viele kohlekritische Menschen aus der Region hat auch Peter Singer die Waldbesetzer schon besucht. »Die Leute fühlen sich von RWE und der Mainstreampolitik verschaukelt, deswegen sind hier so viele offen für die Besetzer«, sagt der LINKE-Politiker aus Frechen. Bei den Bürgerinitiativen vor Ort macht Singer eine Radikalisierung aus. Doch, nein, die Mehrheit stellen die RWE-Kritiker nicht: Der Konzern schafft halbwegs gute Arbeitsplätze, ist ein Traditionsunternehmen und wichtigster Gewerbesteuerzahler der strukturschwachen Region. RWE finanziert Sportplätze und bedenkt Vereine mit Spenden. »RWE ist ein Krake, der bestimmt, wo es hier lang geht«, sagt Singer, der auch Mitglied im Braunkohleausschuss des Regierungsbezirks Köln ist, der die Kohlenutzung und die Umsiedlung ganzer Ortschaften regelt. Sukzessive müssen die anliegenden Dörfer dem Tagebau weichen, verkommen zusehends. Warum auch montieren, renovieren, investieren, wenn in ein paar Jahren sowieso die Bagger kommen?

 

Die Sonne lacht noch immer. Dirk Jansen nicht. RWE verspricht Rekultivierung, Artenschutz, Naturschutz - der Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in NRW schüttelt den Kopf: »Ein Tagebau ist der Super-GAU für Natur und Landschaft.« Für Hambach würden nicht nur Tausende Menschen ihre Heimat verlieren, »auch der Hambacher Wald - einst 4500 Hektar groß - soll bis auf wenige Reste vernichtet« werden. Die Kompensationsmaßnahmen von RWE seien der Versuch, dem Tagebau ein grünes Mäntelchen zu verpassen.

 

Seit Jahren klagt der BUND gegen den Tagebau, scheiterte bereits einmal vor dem Bundesverfassungsgericht und setzt nun auf eine richterliche Entscheidung gegen den dritten Rahmenbetriebsplan. So soll der weitere Ausbau behindert werden. »Im Rheinland wird, toleriert von großen Teilen der Politik, das Wohl der Allgemeinheit für die rein betriebswirtschaftlichen Interessen von RWE geopfert«, ärgert sich Jansen. »Die Bagger rücken immer näher. Scheinbar unaufhaltsam. Das führt letztendlich zu Fatalismus.« Der Geograf wünscht sich ein Braunkohleausstiegsgesetz, wie bei der Atomkraft. »Damit Schluss ist mit diesem Raubbau an unseren natürlichen Lebensgrundlagen.«