Syrien und deutsche Linke, von Harald Etzbach
Menschenrechte, Bürgerrechte, Internationalismus sind Begriffe, die im Vokabular einer gewissen Linken in Deutschland fehlen. Sie denkt lieber in geopolitischen als in klassenpolitischen Kategorien und schlägt sich systematisch auf die Seite der Staaten, die dem Weltbeherrschungsdrang der westlichen Industrieländer im Weg stehen. Das ist nicht sehr glaubwürdig.
Man nehme ein autoritäres Regime, das seit über vierzig Jahren Menschen verfolgt, inhaftiert, foltert, «verschwinden» lässt, ins Exil treibt, dessen berüchtigter Geheimdienst allgegenwärtig ist, das keinen Widerspruch duldet, dessen Führung in quasimonarchistischer Manier vom Vater auf den Sohn übergeht, das schließlich weitreichende neoliberale Maßnahmen einführt, was viele Menschen in die Armut treibt, während einige wenige hochgradig korrupte Geschäftsleute (darunter die Stützen des Regimes) noch reicher werden.
Das Regime gerät in eine tiefe Krise, Auslöser ist die Verhaftung und Folterung von Kindern, die es gewagt haben, einige regimekritische Parolen an Häuserwände zu malen.
Auf welcher Seite sollte man in diesem Fall die politische Linke vermuten? Die Antwort dürfte eigentlich nicht schwer fallen – auf der Seite derjenigen natürlich, die sich gegen die Unterdrückung erheben, sich selbst organisieren und der Gewalt entgegentreten.
Sollte, dürfte – doch leider ist im Falle Syriens, wo all dies geschieht und wo die regierende Baath-Partei unter Präsident Bashar al-Assad seit einem Jahr auf brutale Weise offen gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, alles anders. Denn in diesem Fall hat eine sich selbst als antiimperialistisch verstehende Linke Partei für die Herrschenden ergriffen.
In Deutschland hat diese Richtung u.a. in der jungen Welt ein publizistisches Sprachrohr gefunden. Denkfiguren, wie sie dort vertreten werden, haben aber auch Eingang in Teile der Friedensbewegung gefunden. So unterstellt Joachim Guilliard vom Heidelberger «Forum gegen Militarismus und Krieg» in seinem Blog der zivilgesellschaftlichen Kampagne «Adopt a Revolution», die für die Unterstützung des basisdemokratischen Widerstands in Syrien wirbt, durch ihre Solidaritätsarbeit faktisch «die westliche Intervention zu legitimieren und somit auch den Konflikt anzuheizen».
Nun hat sich «Adopt a Revolution» ganz eindeutig gegen eine ausländische Intervention und auch gegen einen bewaffneten Widerstand gegen das syrische Regime gewandt. Die Kampagne arbeitet in Syrien mit dem Netzwerk der lokalen Koordinationskomitees zusammen, die sich ebenfalls eindeutig gegen die Anwendung von Gewalt und gegen eine Einmischung von außen ausgesprochen haben. «Wir bestehen auf dem Recht des syrischen Volkes, ohne äußere Einmischung frei die Form seiner Regierung zu bestimmen. Das syrische Volk hat ein Recht auf Selbstbestimmung», heißt es in einer Stellungnahme der Komitees.
Wer protestiert in Riad?
Guilliard wirft den Unterstützern der demokratischen Basisbewegung in Syrien weiter vor, den «Fokus ausschließlich auf Syrien» zu legen, dabei «die benachbarten Feudalstaaten Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, Jordanien etc. ungeschoren» zu lassen und keine Anstalten zu machen, die dortige demokratische Opposition zu unterstützen.
Nun ist es einfach eine Tatsache, dass es im Augenblick genau Syrien ist, wo die Armee Tag für Tag mit äußerster Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgeht. Zudem ist nicht bekannt, dass sich Aktivisten von «Adopt a Revolution» auf die Seite irgendwelcher arabischer Regime gestellt hätte – und es ist auch nicht zu erwarten, dass dies jemals geschehen wird.
Genau dies tun Guilliard und andere aber im Falle des syrischen Regimes. Damit machen sie sich exakt der Doppelmoral schuldig, die sie den Unterstützern der syrischen Demokratiebewegung – fälschlich – unterstellen. Zudem: Ist nicht gerade die aktive Solidarität mit der syrischen Bewegung die beste Form der Solidarität mit den Bewegungen in anderen arabischen Ländern? Nichts nämlich fürchten die Autokraten dort mehr als den Erfolg einer solchen Bewegung und ihr «Übergreifen» auf die Nachbarländer.
Antiimperialistisch?
Was ist eigentlich am gegenwärtigen syrischen Regime so progressiv oder gar antiimperialistisch, dass westliche Linke es unbedingt verteidigen müssten? Auf diese Frage gibt es im Allgemeinen zwei Antworten: erstens der angeblich sozialere Charakter der syrischen Staatswirtschaft und zweitens die Rolle Syriens im Kampf gegen die aggressive und unterdrückerische Politik Israels.
Was den ersten Aspekt betrifft, so war der soziale oder «sozialistische» Charakter der Baath-Partei und des syrischen Staates schon immer eine Illusion. Spätestens seit den 80er Jahren hat das Regime sich jedoch endgültig zu einem System der Vetternwirtschaft von Partei, Staat, einzelnen reichen Geschäftsleuten und der Armee entwickelt. Die dabei betriebene wirtschaftliche Liberalisierung hat zur Zerstörung sozialer Sicherungen, zum Aufstieg einer neuen städtischen Bourgeoisie und zur Verarmung großer Teile, insbesondere der Landbevölkerung geführt. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieser Prozess im Jahr 2005 mit der Einführung einer sogenannten «Sozialen Marktwirtschaft», die darauf zielt, auch die letzten Reste der Staatswirtschaft zu privatisieren.
All dies geschah dabei durchaus auch im Hinblick auf westliche – insbesondere europäische – Investoren. Wer daher heute die Gefahr eines imperialistischen Einflusses in Teilen der syrischen Opposition beschwört, übersieht, dass das Assad-Regime selbst sich bereits seit längerer Zeit dem Westen annähert.
Neben der zentralen Forderung nach Freiheit und Würde spielen in der gegenwärtigen Demokratiebewegung übrigens auch die sozialen Aspekte eine wichtige Rolle.
Unglaubwürdig
Zweitens, was Syriens Rolle im Kampf gegen die sich über alles internationale Recht hinwegsetzende Politik Israels angeht: Auch hier hat das syrische Regime erheblich mehr Rhetorik als wirkliche Politik entwickelt. Die syrisch-israelische Grenze ist eine der ruhigsten im ganzen Nahen Osten. Vom israelischen Standpunkt erscheint eine Stabilisierung des syrischen Regimes sogar als wünschenswert, hat sich dieses doch bislang als recht kalkulierbar erwiesen.
Und schließlich: Ein Antiimperialismus, der sich nicht zugleich gegen Autoritarismus und Unterdrückung wendet, ist unglaubwürdig und unfähig, überzeugende politische Perspektiven zu entwickeln. Welche Legitimation hat das syrische Regime, sich etwa über die brutale Unterdrückung der Palästinenser durch die israelische Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten zu empören, wenn es die eigene Bevölkerung massakriert? Welcher Palästinenser, welche Palästinenserin wird an die Aufrichtigkeit eines Bashar al-Assad glauben, der im eigenen Land den Ruf nach Demokratie in einem Blutbad ertränkt?
Mit aller Deutlichkeit hat dies Adalah, eine Menschenrechts- und Rechtshilfeorganisation, die für die Rechte der arabischen Minderheiten in Israel kämpft, formuliert. In einer Presserklärung vom 7.Februar fordert Adalah eine unabhängige Untersuchung des Massakers von Homs. Weiter heißt es dort: «Die Brutalität, die vom syrischen Regime gegenüber seinen Bürgern ausgeübt wird, ist ein unmittelbares Ergebnis eines systematischen Fehlens von Demokratie und Menschenrechten in diesem Land. Das Regime basiert auf militärischer Unterdrückung, die es über Jahrzehnte gegen sein eigenes Volk ausgeübt hat. Das syrische Regime hat sich wiederholt geweigert, Verantwortung für die Tötungen zu übernehmen und betreibt stattdessen eine Kampagne der bewussten Desinformation.»
Hätte das syrische Regime irgendeinen «antiimperialistischen» Charakter, dann hätte es sich hinter die Rebellionen in der arabischen Welt stellen müssen, hinter die Menschen, die in Tunis, Kairo oder Bahrain gegen die dortigen – prowestlichen – Machthaber aufbegehrt haben. Dies hätte auch der Beginn einer großen Bewegung gegen die Kriegstreiber in der israelischen Regierung, gegen die Netanyahus und Liebermans sein können, und es wäre ein Antiimperialismus gewesen, der den Namen verdient.
All dies ist jedoch nicht geschehen, denn dem Assad-Regime geht es nicht im Mindesten um irgendeine Form von Antiimperialismus, es geht ihm schlicht und ergreifend um den Erhalt der Macht. Dies hat jedoch mit dem Projekt einer internationalistischen, wahrhaft antiimperialistischen Linken nicht das Geringste zu tun. Ein solches Projekt ist vielmehr nur dann glaubwürdig, wenn sich seine Verfechter konsequent auf die Seite der um ihre Freiheit und Würde kämpfenden Menschen stellen – ob in Tunesien, Ägypten, Bahrain, Syrien oder anderswo – und nicht hinter die Machthaber in ihren Präsidentenpalästen.