Am Ende, als alles vorbei war, herrschte für einen Moment Stille. Das 20-minütige Glockengeläut hatte aufgehört, mit dem die Pforzheimer Kirchen stets zur Uhrzeit des Bombenangriffs an die Zerstörung erinnern und dem die Menge vor dem Rathaus schweigend gelauscht hatte. Dann begannen etliche der Teilnehmer zu applaudieren. Etwas zaghaft zunächst und wie unter dem Eindruck des Geschehens. Schließlich löste sich die Versammlung auf. Viele der laut Polizei rund 1200 und nach anderen Schätzungen gut 1600 Teilnehmer suchten den Weg zu OB Gert Hager, drückten ihm die Hand, ein Pforzheimer dankte ihm.
Der Rathaus-Chef hatte in seiner Rede klare Worte an die Adresse der rund 120 Neonazis droben auf dem Wartberg gefunden, denen es nicht um Pforzheim gehe und die großteils von irgendwoher angereist kämen. Gerichtlich habe man es nicht verhindern können. „Die dort missbrauchen das Gedenken an die Toten des 23. Februar für ihre kruden ideologischen Fantasien“, sagte Hager. „Das wollen wir nicht, und schon gar nicht in Pforzheim.“ Die Stadt habe mit ihrer fast vollständigen Zerstörung einen sehr hohen Preis bezahlt für „den unmenschlichen Vernichtungswahnsinn des nationalsozialistischen Deutschland“. Von der breiten gesellschaftlichen Unterstützung, die der Kampf der Stadt gegen die Neonazi-Veranstaltung auf dem Wartberg gefunden habe, gehe das klare Signal aus: Die Stadt wolle keine Rechtsextremisten. Dennoch müsse die Arbeit daran weitergehen, das Bündnis zu verbreitern. „Viele Städte haben dieses Problem des Missbrauchs ihrer stillen Trauer durch Neonazis“, sagte Hager weiter. Diese Städte sollten sich dagegen zusammenschließen. Er habe jüngst in Dresden ein Bündnis vorgeschlagen. „So kann es nicht weitergehen, nicht in Dresden, nicht in Dortmund, nicht in Pforzheim.“ Mit Mut, Toleranz und Respekt vor dem anderen bekämen die Pforzheimer eine zukunftsfähige Stadt.
Vor Gert Hagers Rede hatte Schauspieldirektor Murat Yeginer aus Marcel Reich-Ranickis Autobiographie „Mein Leben“ jene Passagen vorgelesen, in denen sich der Literaturkritiker an seine Abschiebung aus Deutschland erinnerte. Im Anschluss an den Oberbürgermeister trug Operndirektor Wolf Widder aus Viktor Klemperers Erinnerungen an die Zerstörung Dresdens vor, bis das Glockengeläut einsetzte. So schloss sich der Kreis von einem Zeitzeugen des Nazi-Ungeists bis zu den Folgen jenes Wahns für die eigenen Städte.
„Würdig und klar in der Botschaft“, so habe er die Veranstaltung empfunden, sagte Gert Hager im Anschluss. „Ich bin überwältigt von der Resonanz, ich hatte es gehofft, aber nicht erwartet.“
Die Teilnehmer deckten nicht nur ein breites politisches Spektrum ab, in dem alle Parteien des Gemeinderats vertreten waren. Jüngere wie ältere Pforzheimer waren gekommen, etliche aus Zuwandererfamilien – und viele, die zuvor bei der „Initiative gegen rechts“ mitgelaufen waren, setzten am Abend ein Zeichen der Einheit.
Autor: Marek KLimanski | Pforzheim