Während autonome Antifaschisten mit Flugblättern angebliche Nazis „outen“ und davor warnen, dass lokale Akteure Führungsrollen in bundesweiten Nazi-Vereinigungen übernehmen, reklamiert die Polizei, dass im Landkreis seit Jahren nur zwischen 20 und 30 politisch motivierte Straftaten registriert werden. Ein Widerspruch?
Vor einem Jahr bekannte sich die linke Antifa dazu, in Giengen und Heidenheim Flugblätter verteilt und Böller gezündet zu haben. Aufmerksam machen wollten die politischen Aktivisten auf zwei junge Männer aus den beiden Städten, die laut den Flugblättern „zu den führenden Aktivisten der süddeutschen Neonazi-Szene“ gehören. Die beiden wurden mit Namen, Adressen und Fotos gezeigt. Aufgelistet wurden deren Aktivitäten bei verschiedenen bundesweiten Demos, aber auch auf einer regionalen Nazi-Homepage. Dort wird wiederum aktuell gegen Göppinger Stadträte gehetzt, die als politische Gegner betrachtet und deshalb mit Fotos und Adressen „geoutet“ werden.
Das Landeskriminalamt hat bereits in seinem Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität 2010 „Outing-Aktionen“ als inzwischen festen Bestandteil der Auseinandersetzung politischer Gegner bezeichnet und eine erhebliche Zunahme festgestellt. Oft werden Informationen durch das „strafbare Ausspähen persönlicher Daten“ (Hacken) gewonnen, körperliche Übergriffe auf geoutete Personen dagegen verzeichnete die Kriminalpolizei nicht – statt Gegner zu „klatschen“ scheint heute oft das Klicken auszureichen.
Strafrechtlich gut informiert
„Das Internet ist ein neues Tatmittel geworden“, meint der Heidenheimer Kripo-Chef Hartmut Schröppel. Gleichzeitig hätten die Rechtsextremisten dazugelernt und wüssten über strafrechtliche Voraussetzungen gut Bescheid. Straftatbestände wie Volksverhetzung, Holocaust-Leugnung oder die Verwendung verbotener Symbole werde vermieden. Stattdessen stellen die Neonazis ihre Aktivitäten gerne als „Widerstand“ dar – natürlich national geprägt. Über Themen wie Umwelt- oder Tierschutz versuche man, Jugendliche zu gewinnen, und auch das klassische „Skinhead“-Aussehen mit Glatze und Springerstiefeln finde man selten, heute bedienen sich auch die Neonazis modischer Accessoires wie schwarzer Kapuzenpullis oder Sonnenbrillen und sind auf den ersten Blick kaum mehr von linksorientierten Jugendlichen zu unterscheiden.
Aufmerksam beobachtet wird die Szene im Landkreis Heidenheim von Staatsschützer Thomas Mack. Der 38-jährige Kriminalhauptkommissar ist seit 2007 innerhalb der Polizeidirektion auf politisch motivierte Taten spezialisiert. In diesem besonderen Bereich fallen auch Delikte in die Zuständigkeit der Kriminalpolizei, mit denen sie sich sonst nicht beschäftigt wie beispielsweise Sachbeschädigungen. Solche Delikte machen dann auch den Hauptanteil der politisch motivierten Straftaten im Landkreis Heidenheim aus. 2010 zählte man insgesamt 22 Straftaten, bei vier war Gewalt im Spiel, jeweils zwei Gewalttaten wurden dem rechten bzw. linken Spektrum zugeordnet.
Szene aufmerksam im Blick
Der Rest: mit Farbe beschmierte Wände oder an Laternenpfähle geklebte Aufkleber. Andererseits muss man auch wissen, dass beispielsweise die Bluttat am früheren Club „K 2“, vor dem 2003 drei russlanddeutsche Jugendliche von einem Täter aus der rechten Szene erstochen wurden, nicht als politisch motivierte Tat gewertet wurde – weil den tödlichen Messerstichen eine persönliche Auseinandersetzung vorausging, erläutert Thomas Mack.
Die Zahl der politisch motivierte Straftaten und rechtsextreme Tendenzen in einer Stadt können also durchaus gegenläufig sein, denn eine Kriminalstatistik beleuchtet nur die „Hellfelderkenntnisse“ der Polizei, merkt Hartmut Schröppel an.
Jedoch betonen Kripo-Chef und Staatsschützer, dass man die Szene sehr wohl im Auge habe, und auch die Informationen aus den „Outings“ werden von der Polizei zur Kenntnis genommen. „Hätten wir ein Lokal, das sich als rechter Szene-Treff etabliert, wäre es sehr schnell unter Beobachtung“, meint Schröppel. Und wenn auch das Internet ein weites Feld darstellt, das kaum vollständig überwacht werden kann, so liefern die Akteure der Polizei doch auch gerne mal selbst Hinweise auf ihre Aktivitäten, etwa wenn die regionalen „nationalen Aktivisten“, wie sie sich selbst nennen, Bilder von Plakatieraktionen oder Fackelaufmärschen auf ihrer Homepage veröffentlichen.
Einen Blick auf weltanschauliche Tendenzen, wenn auch aus anderer Perspektive, hat der Streetworker der Stadt Heidenheim, Kadir Cildir. „Es gibt eine rechte Szene“, sagt er, die sich aber nicht im öffentlichen Raum präsentiere – wohl wissend, dass sie sich dann mit linksorientierten Jugendlichen auseinandersetzen müsste. Wesentlich offener agieren Neonazis hingegen im ländlichen Raum, meint der Kulturwissenschaftler und Pädagoge.
Auch rechtsextreme türkische Jugendliche
Aber nicht nur die deutsche Kultur hat ihren rechten Rand, Cildir weist darauf hin, dass es auch unter türkischstämmigen Jugendlichen rechtsextreme Tendenzen gebe: Die Partei der „Grauen Wölfe“ (türkisch: Bozkurtlar) unterhalte beispielsweise in Giengen einen Treffpunkt, der bei Jugendlichen sehr beliebt sei. Extremer türkischer Nationalismus, die Ablehnung alles Nicht-Türkischen und Vorurteile insbesondere gegen Kurden würden in solchen Kreisen gepflegt, berichtet Cildir, der sich selbst als türkischstämmigen Deutschen bezeichnet.
Gewalt, auf welchem Nährboden auch immer gediehen, ist für junge Menschen in Heidenheim auf jeden Fall ein Thema: Kadir Cildir hat das Präventionsprojekt „Gewalt ohne mich“ ins Leben gerufen. Daraus ist bereits ein Musikvideo entstanden, für das eine Idee von Jugendlichen aufgegriffen wurde: Sie haben ein Musikvideo zur „K 2“-Gewalttat gedreht und dies im Internet veröffentlicht. Doch auch gegen dieses Anti-Gewalt-Video gibt es Widerstände – die aus dem Umfeld des zu neun Jahren Haft verurteilten und kürzlich erst entlassenen Täters kommen.