Seit Jahren gedenken Nazis in Bad Reichenhall der französischen SS-Einheit »Charlemagne«. Die Bundeswehr und der Kameradenkreis der Gebirgstruppe gehen in der bayerischen Kurstadt einer ähnlichen »Traditionspflege« nach. Proteste gab es bisher nicht. Das soll sich nun ändern.
»Wir finden, es reicht – Bad Reichenhall muss endlich entnazifiziert und entmilitarisiert werden!« Das ist derzeit auf der Internetseite badreichenhall.org zu lesen. Zum 70. Jahrestag der deutschen Invasion auf Kreta wollen antifaschistische Gruppen gegen die Verhältnisse in der Stadt protestieren. Sie rufen für den 21. Mai zu einer Demonstration »gegen rechte Traditionspflege, Nazis und den militaristischen, nationalistischen deutschen Normalzustand« auf.
Anlass besteht offensichtlich. Von »paramilitärisch auftretenden, faschistischen Gruppen aus dem In- und Ausland« berichten Augenzeuginnen über das Geschehen im Jahr 2005. Eine »Ehrengarde Benito Mussolini« sei anwesend gewesen, französische Nazis seien in »uniformähnlicher Kleidung« durch Bad Reichenhall marschiert. In einer Pressemitteilung der Polizei aus dem Jahr 2006 wird Ähnliches geschildert: Beamte hätten an Kontrollstellen insgesamt sieben Personen festgenommen, die mit zur Kriegführung tauglichen Gegenständen ausgerüstet gewesen seien. »Darunter befanden sich Sprengmittel, eine funktionsunfähige Pistole, Rauchbomben und Waffenteile. Das weitere Führen einer Kanonenlafette ohne Aufbau hinter einem französischen PKW wurde unterbunden.«
Die Gedenkveranstaltung für die französische SS-Einheit »Charlemagne« in Bad Reichenhall hat sich mittlerweile als internationales Treffen für Nazis etabliert. Nach Polizeiangaben beteiligten sich beispielsweise 2006 etwa 130 Personen aus Deutschland, Frankreich, Italien und Dänemark. 12 Mitglieder der SS-Einheit »Charlemagne« wurden am 8. Mai 1945 von französischen Truppen wegen der Kollaboration mit den Nazis hingerichtet. Die rechtsextreme Szene arbeitet schon länger fleißig am »Mythos Reichenhall«. 2001 veröffentlichte der auf geschichtsrevisionistische »Dokumentationen« spezialisierte Manfred Thorn aus Nürnberg einen Film mit dem Titel »Der Fall Karlstein«. Die französische Nazi-Band »Décadence Culture« widmete der SS-Einheit auf dem Album »Rebelles Européens« von 2004 das Lied »Bad Reichenhall«, in dem die Hingerichteten als europäische Märtyrer besungen werden.
Die Behörden gehen sehr zurückhaltend vor. Als im Oktober 2007 die rechtsextreme »Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger« ihr bundesweites Treffen in der Kurstadt abhielt, wurde das Gedenkkreuz für die Kollaborateure, das sich zur Pilgerstätte entwickelt hatte, nicht etwa entfernt. Es wurde lediglich vom Parkplatz »Am Kugelbach« im Ortsteil Karlstein, wo die SS-Soldaten erschossen worden waren, auf den Friedhof St. Zeno versetzt, wo die Franzosen begraben sind. »Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Problematik Neonazismus und Geschichtsrevisionismus fand jedoch nicht statt. Die rechte Gedenkfeier kann weiterhin ungestört stattfinden, ohne dass sich in Bad Reichenhall ein zivilgesellschaftlicher Protest gegen die menschenverachtende Propaganda regt«, schrieben antifaschistische Gruppen aus Oberbayern und Österreich in einer Presseerklärung 2010.
Uwe Brunke, der Vorsitzende des NPD-Kreisverbands Traunstein/Berchtesgadener Land, beschwerte sich in der Parteizeitung Deutsche Stimme 2007 in dem Artikel »Die Schande von Bad Reichenhall« dennoch über das Vorgehen der Stadt: »Die Stadtoberen von Bad Reichenhall gingen wohl davon aus, dass mit dem Wegsterben der unmittelbar Betroffenen sich die Sache von selbst erledigen würde. Dank der Bereitschaft und Ausdauer junger nationaler Kräfte wurde dieses Ansinnen in gewissem Maße vereitelt.« Der NPD-Funktionär, der über gute Verbindungen zu den »Freien Kräften« verfügt, veranstaltet weiterhin die SS-Gedenkfeier. Im vergangenen Jahr fanden sich etwa 40 Nazis ein.
Das Treffen ist ein jährlicher Höhepunkt für die ortsansässigen Nazis, die auch ansonsten umtriebig sind. Neben Kundgebungen organisieren sie Wintersonnwend- und Horst-Wessel-Feiern sowie Fahrten zu Aufmärschen und Konzerten. So fand vor zwei Wochen im Berchtesgadener Land ein »nationaler Liederabend« statt, für den sich der Münchener Norman Bordin als Redner angekündigt hatte. Gute Kontakte bestehen auch zu Manfred Edelmann aus dem Dorf Pieding, der als Nazi-Liedermacher »Edei« Zeilen wie diese hervorbringt: »Wir stellen die jüdische Drecksau, zum letzten entscheidenden Schlag. (…) Kamerad, Kamerad, es lautet der Befehl: Ran an den Feind, ran an den Feind! Bomben auf Israel!«
Proteste gegen die Nazis gab es in Bad Reichenhall bislang nicht, sie dürften sich dort eher wohlfühlen: Ein Schulrektor entschuldigte sich nicht einmal, als bei einer »Panne« während eines Festakts zur deutsch-französischen Freundschaft im Januar 2003 plötzlich »Deutschland, Deutschland über alles« aus den Lautsprechen erklang, wie das Reichenhaller Tagblatt berichtete. Die Stadt untersagte im März 2006 Vorträge zum Thema Antisemitismus im örtlichen Haus der Jugend. Der NPD-Stammtisch findet jeden zweiten Sonntag im Monat um 15 Uhr ungestört in einem Gasthaus statt und wird gelegentlich sogar von Parteigrößen wie Holger Apfel besucht.
Der Oberbürgermeister Herbert Lackner (CSU) wohnt regelmäßig dem »Kreta-Gedenken« des Kameradenkreises der Gebirgstruppe bei. Dieser Verein wird vom Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege als »Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher« bezeichnet und organisiert auch das jährliche Treffen von Wehrmachts- und SS-Veteranen in Mittenwald (Jungle World 22/09). In der übernächsten Woche will der Kameradenkreis wieder der »beim Kampf um Kreta im Zweiten Weltkrieg gefallenen Reichenhaller Gebirgsjäger« gedenken. Anregungen wie die des Münchener Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD), auch den »dunklen Teil« der Geschichte zu durchleuchten, hört der Kameradenkreis hingegen nicht gern. So schimpfte Manfred Held, der Vorsitzende der Bad Reichenhaller Sektion, auf der Gedenkfeier 2009: »Wenn aber, wie auch Ude erkannte, ›das Militär für einen verbrecherischen Krieg missbraucht wurde‹, wer kann da an dieser Stelle vorwurfsvoll an die Vergangenheit erinnern?« Etwa 80 Zuhörer hatte Held nach Polizeiangaben.
Unter ihnen waren auch Angehörige der Bundeswehr. Die Traditionspflege der Armee passt zu Bad Reichenhall. Die Kaserne in der Stadt trägt den Namen des Nazigenerals Rudolf Konrad. An einem Gebäude an ihrem Eingang prangt nicht nur ein großes, nationalsozialistisches Wandgemälde, das Wehrmachtssoldaten zeigt, sondern auch ein steinerner Reichsadler. Bei diesem wurde lediglich das Hakenkreuz, das er in den Krallen hielt, durch ein Edelweiß ersetzt.
Die Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger auf Kreta interessieren die Öffentlichkeit in Bad Reichenhall nicht. Deutsche Gebirgsjäger ermordeten auf der Insel über 3500 Zivilistinnen und Zivilisten und zerstörten mehr als 30 Dörfer vollständig. So wurde etwa das Dorf Skines niedergebrannt, die 148 Einwohner wurden erschossen. Dieses Massaker lässt sich der aus Bad Reichenhall kommenden 5. Division eindeutig durch ihren eigenen »Tätigkeitsbericht« nachweisen.