150 Tagessätze für die Aufforderung an die Polizeikräfte ein rechtswidriges enges Polizeispalier um eine Demonstration aufzulösen und die Abfilmerei der VersammlungsteilnehmerInnen zu unterlassen.
Ein Teilnehmer der 1.Mai-Demonstration 2010 in Karlsruhe wurde am 14. Dezember 2010 vom Amtsgericht Karlsruhe zu 150 Tagessätzen wegen angeblicher Nötigung verurteilt. Wegen des weiteren Vorwurfs der Beleidigung wurde er freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Strafmaß von 180 Tagessätzen gefordert.
Am 1. Mai 2010 hatten in Karlsruhe im Anschluss an die traditionelle DGB Demonstration über 700 Menschen unter dem Motto: „Kämpfen in der Krise – Kapitalismus überwinden“ gegen die Ursachen und Folgen der kapitalistische Krise mit ihren weltweiten Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen demonstriert. Zur Erinnerung: Im Zuge der kapitalistischen Krise hatte sich u.a. die Zahl der Hungernden weltweit um 100 Millionen (!) nach UN-Angaben erhöht.
Leider konnte die Demonstration nicht zu Ende gebracht, sondern
musste frühzeitig abgebrochen werden: Mit einem engen Spalier von
Polizeikräften und dem ununterbrochenen Abfilmen des
Demonstrationszuges verunmöglichte die Einsatzleitung der Polizei
die freie Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Schon
im Vorfeld wurde die Demonstration mit einer Unzahl von Auflagen
überschüttet, obwohl es noch nicht einmal Anzeichen für einen
möglicherweise unfriedlichen Verlauf gab, die ansonsten zur
Begründung von Auflagen üblicherweise vorgebracht werden. Die
Demonstration war und blieb auch friedlich wie allen Presseberichten
zu entnehmen war.
Das Urteil des Amtsgericht stellt das Ergebnis der Beweisaufnahme
auf den Kopf! Obwohl die Zeugenaussagen aller 6 hochrangigen
Polizeizeugen sogar übereinstimmend lauteten, dass der Angeklagte
nicht zu einer Blockade aufgerufen habe, sondern als Moderator
lediglich die Einstellung des Abfilmens aller Demoteilnehmer, und
die Aufhebung des engen Polizeispaliers gefordert habe, und obwohl
die Beweisaufnahme ergeben hat, dass die Teilnehmenden der Demo
bereits ohne Durchsagen vom Lautsprecherwagen angehalten haben, um
die Aufhebung des engen Polizeispaliers zu fordern, wurde der
Angeklagte von Amtsrichter Schwierblat zu 150 Tagessätzen
verurteilt. Dabei ignorierte der Amtsrichter sogar die ständige
Rechtssprechung des Bundesverfassungsgericht zu Blockaden und zur
Nötigung, wie sie in dem Brokdorf-Beschluss und im Mutlangen-Urteil
zum Ausdruck kommt. Der Richter hat sich noch nicht einmal nur im
Ansatz mit dieser Rechtssprechung auseinandergesetzt.
Angesichts des eindeutigen Ergebnisses der Beweisaufnahme hätte der
Angeklagte in jedem Falle freigesprochen werden müssen.
Ein skandalöses Urteil, das alle einschüchtern soll, die ihr
elementares Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, und die es
zukünftig wahrnehmen wollen. Wenn diese Rechtssprechung Schule
machen sollte, wird es zukünftig kaum mehr möglich sein, eine
Versammlung ohne anschließenden Strafbefehl in beträchtlicher Höhe
durchzuführen. Auch im Strafverfahren gegen den Anmelder der
Bildungsstreik-Demonstration in Stuttgart, den verdi-Sekretär Marc
Kappler, geht es um ähnliche Vorwürfe.
Wie sehr die Staatsanwaltschaft und die Polizeieinsatzkräfte auf
eine Verurteilung und damit Einschränkung des Versammlungsrechtes
aus sind, zeigte sich auch darin, dass die Anklage sogar vom
Oberstaatsanwalt Zimmermann persönlich vertreten wurde - in einem
Verfahren in dem üblicherweise ein Referendar/in als
Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eingesetzt wird, und dass
6 (!) hochrangige Zeugen der Polizeieinsatzleitung und des
Staatsschutzes aufgeboten wurden.
Der Angeklagte hat bereits angekündigt, dass er Rechtsmittel
einlegen wird.
In diesem und ähnlichen Verfahren geht es nicht allein um den
angeklagten Versammlungsteilnehmer. Hier sitzen alle auf der
Anklagebank, die ihr elementares Recht auf Versammlungsfreiheit als
Ausdruck der kollektiven Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen.
Das Urteil richtet sich gegen alle sozialen Bewegungen und gegen die
Gewerkschaften.
Kennzeichnend dafür ist, dass selbst der DGB Baden-Württemberg in Stuttgart erhebliche Schwierigkeiten bei der Anmeldung seiner Versammlungen hat, und dass die Großdemonstration gegen Stuttgart 21, die am 11.12.2010 mit 50000 Menschen durchgeführt wurde, erst beim VGH Mannheim in 2.Instanz durchgesetzt werden konnte.
Im Zuge der "Föderalismusreform" können die Bundesländer nunmehr
eigene Landesversammlungsgesetze verfassen - wohlgemerkt können,
müssen aber nicht. Dann gilt das Bundesversammlungsgesetz weiter.
Die All-Parteien "law und order"- Fraktion nimmt dies zum Anlass,
längst gewünschte Verschärfungen einzubauen, als wenn das
Versammlungsgesetz nicht sowieso schon versammlungsfeindlich genug
wäre. Das bayrische Landesversammlungsgesetz, gegen das vor dem
Bundesverfassungsgericht von einem breiten Bündnis erfolgreich ein
Eilverfahren betrieben wurde, ist zwar nun weitgehend entschärft
worden. Das gilt jedoch nicht für andere Bundesländer, in denen die
neuen Landesversammlungsgesetze bereits in Vorbereitung sind.
In Baden-Württemberg wird bereits seit 1 1/2 Jahren von den
Versammlungsbehörden versucht, die neuen „law und Order“-
Regelungen des geplanten Landesversammlungsgesetzes vorwegzunehmen,
so dass bei vielen Versammlungen erst mal mit AnwältInnen zum
Gericht gezogen werden muss. Die Wahrnehmung der
Versammlungsfreiheit kann aber nicht vom Geldbeutel, der
Bereitschaft sich einem drohenden Strafbefehl bzw. einer
Verurteilung auszusetzen, oder von der Tatsache abhängen, ob ein
Anwalt/in zur Unterstützung zur Verfügung steht und bezahlt werden
kann.
Der Ursprungsgedanke des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit,
nämlich Demonstrationen und Kundgebungen einen besonderen Schutz zu
verleihen, wird in der aktuellen Praxis der Behörden auf den Kopf
gestellt. Diese Tendenz darf so nicht weitergehen.
Trotz aller Versuche das Versammlungsrecht einzuschränken,
verteidigen wir das Recht auf Versammlungsfreiheit am besten indem
wir es wahrnehmen. Die nächste Demonstration kommt bestimmt. Nehmt
Euch Euer Recht! Angeklagt sind wir alle – Wehren wir uns
gemeinsam!
Kommt / Kommen Sie als kritische Öffentlichkeit zur
Prozessbeobachtung zu den Prozessen!