"Das gewalttätigste Vorgehen im Wendland in den letzten zehn Jahren"

Atom-Warnzeichen

Gewalttätiger Atomstaat – Fazit des Polizeieinsatzes vom Ermittlungsausschuss Wendland
„In der Summe einer der brutalsten Polizeieinsätze anlässlich eines Castor-Transportes ins Wendland, auf jeden Fall das gewalttätigste Vorgehen der uniformierten Staatsmacht im Wendland in den letzten zehn Jahren“, fasst der  Ermittlungsausschuss Wendland seine Eindrücke vom Protestgeschehen im Wendland vom 6. bis zum 9. November zusammen. Die Größe und Vielfalt der Proteste gegen den Castortransport in den letzten Tagen haben die Ablehnung der herrschenden Atompolitik in eindrucksvoller Weise verdeutlicht.

 

Die  polizeilichen Einsatzstrategie ging mit Einschränkungen des Versammlungsrechtes durch Ingewahrsamnahmen, Platzverweise und umfangreichen Personalienkontrollen einher, die durch  systematische polizeiliche Gewaltexzesse am Sonntag in der Göhrde ergänzt wurden. Die polizeiliche Durchsetzung des Transportes kann die mangelnde politische Legitimität der Atompolitik des Castortransportes nicht ersetzen.

 

In der Zeit vom 6. bis zum 9. November wurden mindestens 49 Personen von der Polizei in stationären Gewahrsam genommen. Nach den vorläufigen Erkenntnissen des EA Wendland wurden 25  Personen in die Gefangenensammelstelle (Gesa) Lüchow verbracht, 24 Personen in der Gesa Lüneburg festgehalten und ca. 1300 AktivistInnen in einem von der Polizei als mobile Gesa bezeichneten Kessel unter freiem Himmel festgehalten.

 

Über die Zahl und den Umfang sonstiger repressiver Maßnahmen wie Durchsuchungen, Beschlagnahmungen von Material und Grundstücken, Betretungs- und Durchgangsverboten, gewalttätige Übergriffe gegen Einzelne, Personalienfeststellungen auf dem Weg zu Mahnwachen, Platzverweisen für einzelne Orte oder weite Teile des Landkreises Lüchow-Dannenberg liegen nur fragmentarische Daten vor.

 

Am 8.11. wurden ohne Rechtsgrundlage Hofdurchsuchungen in Grippel, Zadrau und Langendorf durchgeführt, obwohl sie offensichtlich länger geplant waren.  Die  Bewegungsfreiheit von RechtsanwältInnen in der Nacht vom 8. auf den 9.11. entlang der Straßentransportstrecke war phasenweise durch polizeiliche Maßnahmen stark behindert.

 

In der Nacht vom 8. auf den 9. November hinderte die Polizei AnwohnerInnen in Laase, Grippel und Quickborn daran, ihre Häuser zu verlassen.

 

Scharfe Kritik übt der EA Wendland an den Zuständen im Kessel unter freiem Himmel in der Nacht vom 7. auf den 8. November am Ortsausgang von Harlingen. Bei der Errichtung dieses ‚Gefangenenlagers‘ wurden Gegenstände der benachbarten Mahnwache zerstört. Unklar ist die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme, die an jedem richterlichen Beschluss vorbei von der Polizei geplant und umgesetzt wurde.

 

Die richterliche Bereitschaft des zuständigen Amtsgerichtes, die für die Überprüfung der Fortdauer von Ingewahrsamnahmen zuständig ist, wurde erst vom anwaltlichen Notdienst über die Existenz dieses freiheitsentziehenden Kessels  in Kenntnis gesetzt. Die Polizei verhinderte stundenlang die Möglichkeit der richterlichen Überprüfung der von ihr durchgeführten Maßnahmen gegenüber etwa 1300 DemonstantInnen in Harlingen.

 

So waren viele Hundert Personen gezwungen, bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt mehrere Stunden in der Kälte in Gefangenschaft zu verbringen. Zusätzlich wurden sie dabei unangekündigt und fortdauernd durch die Polizei fotografiert. Erst nach Intervention von Seelsorgern und RechtsanwältInnen konnte eine minimale Versorgung mit warmen Nahrungsmitteln durch die Volxküchen des Castor-Widerstandes ermöglicht werden. Durch die Polizei war eine Versorgung mit Lebensmitteln auch bei Freiheitsentziehungen von mehr als vier Stunden unter diesen Bedingungen weder vorgesehen noch ermöglicht.

 

‚Dies erinnert fatal an die rechtswidrigen Zustände im Laaser Kessel anlässlich des Castor-Transportes 2003‘,  erinnerte eine Sprecherin des Ermittlungsauschusses an die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit des damaligen polizeilichen Vorgehens in Laase.

 

Der erschreckendste Angriff auf die Grundrechte der DemonstrantInnen ist jedoch die brutale Gewaltförmigkeit des polizeilichen Vorgehens gegen DemonstrantInnen, JournalistInnen und DemonstrationsbeobachterInnen in der Göhrde am Sonntag. Dabei hatten Hunderte PolizistInnen mit Schlagstöcken auf DemonstrantInnen eingeprügelt und großflächig und massenhaft Reizgas und Pfefferspray eingesetzt. Dabei wurden über 1000 Personen verletzt.

 

Das Ziel dieses regional bislang beispiellosen Polizeieinsatzes ist nicht die Auflösung einer Versammlung oder die Verhinderung einer Gleisbesetzung gewesen, sondern ganz offensichtlich die massenhafte Verletzung und Einschüchterung von Aktivistinnen und Aktivisten. Augenzeugen berichten übereinstimmend, dass die Polizei ohne Vorwarnung und ohne vorigen Anlass vorgegangen sei. Sie trägt damit die alleinige Verantwortung für die späteren kleineren Auseinandersetzungen mit DemonstrationsteilnehmerInnen, bei denen auch vereinzelt Einsatzkräfte leicht verletzt wurden.

 

Abseits der Scheinwerfer und der Presse übten PolizistInnen gehäuft schmerzhafte Griffe und Schläge gegen SitzblockiererInnen in Harlingen aus. Besonders der Abtransport von den Gleisen zum Kessel erfolgte nicht selten unter der Androhung der Zufügung von Schmerzen, wenn BlockiererInnen nicht mitgehen, sondern auf dem Wegtragen bestehen wollten.

 

Auch Polizei aus Frankreich und Kroatien war vor Ort. In mindestens einem Fall haben französische CRS-Kräfte ihre Beobachtungsrolle verlassen. Den EA erreichten am 8.11. Schilderungen von Übergriffen durch Polizisten in CRS-Uniform nahe Leitstade. Ebenfalls kam während des Castoreinsatzes eine vermutlich polizeiliche Überwachungsdrohne probeweise zum Einsatz.

 

Trotz der ruhigen Räumung in der letzten Nacht  vor dem Zwischenlager stellt   der EA Wendland in der Gesamtschau fest, dass der Castortransport mit einer massiven Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Gebote einhergeht. Diese systematische Aushebelung der Grundrechte für die Durchsetzung der Interessen der Atomwirtschaft bezeichnen wir als Atomstaat.

 

Der Ermittlungsausschuss Wendland wird alle Betroffenen der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Repression unterstützen, wenn diese das wünschen. Wie immer hat sich die Staatsmacht Einzelne herausgegriffen, um sie einzuschüchtern und stellvertretend für eine ganze Bewegung zu bestrafen. ‚Gemeint sind alle, und gemeinsam kann dieser Einschüchterung wirksam begegnet werden‘, stellt der EA Wendland fest.

 

ea-gorleben@nadir.org