Seit einiger Zeit belebt sich in Esslingen die Auseinandersetzung um ein
Autonomes Zentrum. Am 2. Juni wurde in Bahnhofsnähe ein leerstehendes
Haus besetzt, das von den BesetzerInnen vorübergehend als provisorisches
Gebäude akzeptiert worden wäre. Die Auseinandersetzung um Räume in
Esslingen findet nicht in luftleeren Raum statt. Denn mit dem Argument
der "leeren Kassen" stehen Veranstaltungshallen wie das Zentrum
Zell wegen Streichung
der städtischen Zuschüsse vor dem Aus: So hat der Kulturausschuss
beschlossen, ab 2011 nur noch Veranstaltungen der Vereine zu
bezuschussen, wenn sie im Neckar Forum, in der Osterfeldhalle oder im
Alten Rathaus stattfinden. Damit verschärft sich die Raumnot für
Veranstaltungsmöglichkeiten für Vereine, Initiativen, Jugendtreffs.
Vor allem, wenn sie nicht auf der Zuschussliste oder dem
parteipolitischen Kalkül der Verantwortlichen entsprechen, wie sich auch
an einem jahrelangen Hin
und Her in Zusammenhang mit der Finanzierung neuer Räumlichkeiten
für das Kulturzentrum "Dieselstrasse" zeigte.
Diese Räumlichkeiten stellen keine Alternative für notwendige kulturelle
und politische Freiräume dar. Diese werden seit Jahren gefordert, ohne
zu einem Ergebnis zu kommen. Zu den Hintergründen und weiteren Plänen ein Gespräch mit einigen AktivistInnen der Initiative für ein
Autonomes Zentrum.
Am 26.6. hat in Esslingen eine Demo für ein
"autonomes Zentrum" mit
ca. 60 Teilnehmern stattgefunden. Worum ging es da?
Benno:
Die Demonstration war eine Reaktion auf das ignorante Verhalten der
Stadt. Als wir am 02.06.10 das alte Güterabfertigungsgebäude am
Esslinger Bahnhof besetzt haben, wurde uns von Seiten der Stadt
Gesprächsbereitschaft signalisiert, die aber letzten Endes nur eine
strategische Hinhaltetaktik war, um uns so schnell wie möglich los zu
werden. Dies verdeutlichte sich dadurch, dass die Stadt auch nach
mehrmaliger Nachfrage zu keinem Zeitpunkt zu Verhandlungen bereit war. Salvatore: Die Demonstration sollte unsere Forderung nach einem
selbstverwalteten Freiraum bekräftigen, außerdem war sie ein
eindeutiges Zeichen unsererseits, dass wir uns nicht verarschen und
ruhigstellen lassen.
Emma: Ein selbstverwalteter Freiraum
bedeutet für uns, einen Raum zu haben, in dem wir uns weder Hierarchien
noch Konsumzwang beugen müssen. Außerdem haben wir durch die
anschließende, unangemeldete Spontandemonstration verdeutlicht, dass wir
uns den Rahmen unseres Protestes nicht vorgeben lassen.
Offenbar
hat Euch die Stadt ja mit dem Versprechen, Verhandlungen über einen
Nutzungsvertrag zu führen, ja gelinde gesagt, verschaukelt. Wie seht Ihr
das: Hat die Stadt überhaupt Interesse, mit Euch über ein solches
Zentrum zu reden? Laut Rathaussprecher Karpentier gibt es ja
unkommerzielle Alternativen? Warum reicht Euch das "Komma" nicht?
Alexander:
Wir fühlen uns von der Stadt verarscht. Die mangelnde
Gesprächsbereitschaft ist für uns ein Zeichen dafür, dass die Stadt kein
Interesse an einem selbstverwalteten Projekt hat. Die Stadt wehrt sich
übrigens seit wir uns erinnern können gegen politische, von ihnen nicht
erwünschte Strömungen, beispielsweise ehemalige Antifagruppen oder
feiernde Punks im Stadtpark. Im Gegensatz dazu werden Naziprobleme von
der Stadt und der bürgerlichen Presse ignoriert und vertuscht. Die
sogenannten Alternativen entsprechen nicht unseren Vorstellungen.
Entweder haben sie hierarchische Strukturen, die einem emanzipatorischen
Prozess der Selbstverwaltung im Weg stehen, oder man wird gezwungen zu
meist übertriebenen Preisen zu konsumieren.
Salvatore:
Speziell zum Fall Komma: Anfangs bot uns das Komma eine annehmbare
Plattform, wurde dann jedoch politisch umstrukturiert, was im Interesse
der Stadt war, wodurch es zu andauernden Konflikten kam. Hierbei ging es
z.B. um den Umgang mit Neonazis, der uns nicht konsequent genug ist.
In
den Städten, in denen es autonome Zentren gibt sind diese ja meist mit
einer linken und alternativen Community verbunden. Diese ist in
Esslingen ja eher eine Randerscheinung, oder? Bezieht sich das von Euch
geforderte autonome Zentrum nur auf diese "Szene" oder habt Ihr auch
andere Gruppen im Visier - zum Beispiel MigrantInnen?
Benno:
Die Forderung nach einem selbstverwalteten Freiraum wird von vielen
getragen. Hierbei spielen Herkunft, Alter oder auch der (sub)kulturelle
Hintergrund keine Rolle, solange man an linker, herrschaftsfreier
Politik interessiert ist. Im Klartext: Wer keinen Bock auf
Rassismus/Sexismus/Homophobie usw. hat ist willkommen und kann sich
beteiligen.
Wie positioniert Ihr Euch zu anderen Initiativen
und Projekten in Esslingen - z.B. der "Dieselstraße"? Diese ist ja seit
Mitte der 1980er finanziell unterstützt von der Stadt.
Alexander:
Die Dieselstraße, die aus einer uns naheliegenden Motivation entstanden
ist, ist ein gutes Beispiel dafür, dass selbstverwalteter Raum in
Esslingen geschaffen werden kann, jedoch hat die Geschichte der
Dieselstraße gezeigt, dass die Stadt erfolgreich im Bestreben war und
ist, selbstverwaltete, alternative Projekte für ihre Interessen zu
vereinnahmen. Die heutige Situation in Esslingen ähnelt der vor der
Entstehung der Dieselstraße, allerdings ist es für uns keine Option, uns
in finanzielle Abhängigkeit durch die Stadt zu begeben oder uns für
Wahlkampfzwecke missbrauchen zu lassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
Menschen, die aus entsprechenden Initiativen oder Gruppen kommen, uns
nicht unterstützen können/ sollen.
Wie kann man euch
unterstützen? Wo trefft Ihr Euch?
Emma: Das Nächste,
das wir organisieren werden, ist eine Vortragsveranstaltung über
Freiräume allgemein, sowie den bisherigen „Kampf“ in Esslingen, in deren
Anschluss wir gemeinsam mit allen Interessierten diskutieren wollen,
wie wir weiter agieren werden bezüglich der Aktionsplanung, Schaffung
einer Initiative, Einrichtung einer Kommunikationsebene etc. Dieses Treffen wird am Sonntag, den 25.07. ab 15 Uhr in
der "Dieselstraße" in
Esslingen stattfinden.
Alle Interessierten sind dazu herzlich
eingeladen. Ein Flyer folgt!
Vielen Dank für das Gespräch und
viel Erfolg!