Ihr Wahlkampf – oder die legale Markierung eines „Nazi-Kiezes“

Erstveröffentlicht: 
08.08.2017

Nach dem Verbot verschiedener „Kameradschaften“ in Nordrhein-Westfalen dienen lokale oder regionale Verbände der neonazistischen Minipartei „Die Rechte“ (DR) als Auffangbecken für Mitglieder und Kader. Unter dem Schutz des Parteiprivilegs kann dabei selbst ein „Nazi-Kiez“ wie in Dortmund markiert werden. Resultiert aus der Provokation Gewalt, passt selbst das ins propagandistische Konzept im Rahmen des Wahlkampfes. Selbst mancher NPD-Vertreter nimmt offenbar die letzte Hälfte des Wortes allzu wörtlich. Am Ende aber soll alles nur Notwehr gewesen sein. Drei Beispiele aus NRW.

 

Ein Gastbeitrag von Michael Klarmann

Auf das Notwehrrecht beriefen sich Vertreter der Minipartei „Die Rechte“ (DR) in Dortmund, nachdem es Anfang April mit überwiegend türkischstämmigen Migranten zu Auseinandersetzungen gekommen war. Laut Ermittlern hatten die Neonazis die Eskalation bei dem und durch das Aufhängen von Wahlplakaten provoziert. Ein türkischstämmiger Mann hatte die Neonazis deswegen erbost angesprochen und danach den Ort zuerst verlassen. Wenig später jedoch kam derselbe Mann mit mehreren Migranten zurück, nunmehr kam es zu gegenseitigen Beleidigungen und der Streit eskalierte. Beide Gruppen gingen mit Pfefferspray, Messern, Ketten und Holzlatten aufeinander los. Die Rechtsextremen telefonierten aus „ihrem“ Stadtteil Dorstfeld Verstärkung herbei.

 

Als die Polizei anrückte, habe der Tross der Neonazis laut Polizeibericht „gegenüber den eingetroffenen Polizeibeamten massiven Widerstand geleistet“ und die Polizisten „gezielt“ angegriffen. Mehrere Männer wurden in Gewahrsam genommen. Überschrift zum Bericht der Neonazis auf ihrem Nachrichten-Blog: „Polizei macht Opfer zu Tätern und nimmt Nationalisten fest!“ Angeblich hätten sich diese gegen „immer neue Angriffe der entfesselten Bande [von Migranten], die teilweise unter Drogeneinfluss stand“ nur tapfer verteidigt. Später hieß es fast verniedlichend angesichts der Gewalteskalation in besagtem Blog, es seien „Wahlkampfhelfer und Kandidaten der Partei ‚Die Rechte‘“ festgenommen worden, die „lediglich von ihrem Notwehrrecht Gebrauch gemacht“ hätten.

 

Dortmund, die Hochburg der rechten Szene und Gewalt in Nordrhein-Westfalen. Schon zu Zeiten des „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) und verschiedener Kleingruppen von Nazi-Skinheads und „Autonomen Nationalisten“ (AN) betrachteten die Rechtsextremisten Teile der Stadt als ihr Revier, besonders auf Dorstfeld traf und trifft das weiter zu. „Kameradschaften“ wie der NWDO waren dabei lange eine Strategie, die vor Verboten oder dem Ausheben von Netzwerken schützen sollte. Nach dem Aufdecken des mörderischen NSU gingen Behörden allerdings verstärkt gegen die „Freien Kräfte“ vor.

 

Gerade in NRW wurden einige bedeutende „Kameradschaften“ und AN-Gruppen wie der NWDO verboten oder lösten sich vorsorglich selbst auf. So unter Druck geraten nutzen Teile der Szene wieder das Parteienprivileg, um Strukturen zu erhalten oder neu aufzubauen. So gelten bundesweit die Miniparteien „Die Rechte“ (DR) und „Der III. Weg“ als Auffangbecken für die Mitglieder verbotener Gruppen. Neu ist, dass aus formalen Gründen zuweilen an Wahlen teilgenommen und so der Schein aufrecht erhalten wird, ein Parteiverband und keine Belebung verbotener Strukturen zu sein.

 

Dortmund ist auch für diese Strategie ein Paradebeispiel. Die Simulation der Parteiarbeit wird dabei gezielt dazu genutzt, weiter radikal öffentlich auftreten und auffallen zu können, allerdings teilweise unter dem Schutz des Parteienprivilegs. Verschiedene Viertel oder Straßenzüge in Dortmund hat die Szene durch illegale Sprüh- und Aufkleberaktionen zum „Nazi Kiez“ deklariert. Journalisten oder Antifaschisten müssen hier immer damit rechnen, auf Neonazis zu stoßen und von diesen provokativ begleitet und verfolgt oder sogar angegriffen zu werden.

 

Parteiarbeit im öffentlichen Raum hat dabei immer wieder den Zweck, auch neonazistische Propaganda zu betreiben sowie Drohungen oder Revieransprüche zu artikulieren. Provokativ plakatierte Die Rechte im Landtagswahlkampf die Losung „Wir hängen nicht nur Plakate! Die Rechte“. Es sind Morddrohungen, Ankündigungen und Aufrufe zur Lynchjustiz ohne direkte Adressaten, weswegen solche Plakate unter die Meinungsfreiheit fallen. Doch adressiert sind sie zweifellos auch an Demokraten, Beamte und Migranten, im Szenenargon als „Volksverräter“ und „Minusmenschen“ diffamiert.

 

Die Minipartei nutzte den Wahlkampf dazu, ohne Parteilogo Plakate aufzuhängen mit dem Slogan „Dortmund Nazi Kiez Dorstfeld“. Nachdem es diesbezüglich rechtlich Probleme gab und die Behörden darin keine Wahlwerbung erkennen konnten, plakatierte die Partei neue Motive mit dem Slogan „Nazi Kiez Dorstfeld – Die Rechte – Dortmunds neue Rechtspartei“. Städtische Mitarbeiter hatten die Erstversion teils abgehängt, die DR wertete das über das ihr nahestehende Blog als „rechtswidrige[n] Plakatdiebstahl“. Gegen eine Ordnungsverfügung, in der es hieß, die Neonazis betrieben einen „Raumkampf“ im Stadtteil und die Plakate seien ähnlich anzusehen wie die gleichlautenden Graffiti und Aufkleber, zog die Partei vor das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

 

Das Verwaltungsgericht entschied Anfang Mai 2017 zugunsten der Neonazis und befand, die Plakate seien im Rahmen des Wahlkampfes zulässig. Die Rechte konnte also weiterhin ihre provokanten Plakate zwecks Generierung von Aufmerksamkeit nutzen: Erstens konnten die Neonazis so den „Nazi Kiez“ völlig legal als ihr Revier markieren; zweitens war ihnen erlaubt worden, erheblich zu provozieren; und drittens spielten ihnen Migranten, die sich Mitten in der Nacht darüber empörten, wenn derlei vor ihren Wohnungen, Caféhäusern oder Imbissen plakatiert wurde, in die Hände.

 

Kam es dann wie im April zur Eskalation, konnten die Neonazis später via Blogs und sozialer Medien die Mär von ihren immer anständigen und friedfertigen „Wahlkampfhelfern“ verbreiten, die jedoch immerfort angeblich zu Unrecht von „kriminellen“ Migranten oder Polizisten drangsaliert, schikaniert oder gar attackiert wurden. Dass besagte „Wahlkampfhelfer“ jedoch zuweilen aus der militanten Neonazi-Szene stammten und die Plakate und deren Aufhängen bewusste Provokationen darstellten, blieb dabei oft genug unerwähnt. Dabei hatte Die Rechte unter anderem den Dortmunder Daniel G. auf einem vorderen Listenplatz für die Landtagswahl am 14. Mai platziert. Erst wenige Tage vor der Wahl machten Medien öffentlich, dass der Industriekaufmann eine 22-monatige Haftstrafe ohne Bewährung wegen Körperverletzungsdelikten verbüßen musste.

 

Auch andere Rechtsextremist betonen offenbar den „Kampf“ im Begriff Wahlkampf deutlich mehr, was sich im Rahmen des Landtags- und Bundestagswahlkampfes in NRW auch andernorts zeigen sollte. Als am 7. Juni in Duisburg-Neumühl ein 50-jähriger Duisburger und sein Begleiter (49) aus Görlitz Unterstützerunterschriften für die NPD zwecks Antritt zur Bundestagswahl sammelten, gerieten sie mit einer Frau (29) und zwei Männern (26, 31) in Streit. Der 50-Jährige schlug schließlich laut Polizei dem 31-Jährigen ins Gesicht. Laut NPD jedoch habe die Gegenseite den Streit begonnen und versucht anzugreifen, weswegen das Parteimitglied eine „nachvollziehbare Notwehrhandlung“ begangen habe.

 

Schon im April waren in Duisburg-Meiderich Migranten mit NPD-Plakatierern kurz nach Mitternacht aneinander geraten. Die NPD verbreitete in einem entsprechenden Bericht, „dass diese kriminellen Ausländer scheinbar nicht mit der Meinungsfreiheit einverstanden waren und als Gäste in Deutschland meinten zu bestimmen, welche Wahlplakate in ‚Ihrem‘ Gebiet aufzuhängen seien.“

 

Laut Polizei hätten mehrere Personen aus einem nahen Internetcafé die Gruppe von fünf Plakatierern aufgefordert, die Plakate wieder abzunehmen. Fußend auf die Angaben der NPD-Zeugen hieß es im Polizeibericht, die Personen hätten die Plakatierer bedroht und einem der Männer (50) mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Die Personen seien allerdings unernnt entkommen. Der betroffene 50-Jährige aus Meiderich war derselbe, der Wochen darauf in Neumühl zuschlagen sollte.