Der Meister von Meßstetten

Erstveröffentlicht: 
19.08.2015

Der Bürgermeister von Meßstetten sagt, er könne sofort fünf Kneipen kaufen. Jede für eine halbe Million. Aber warum gerade das Waldhorn, das die NPD im Auge hat? Ein Besuch bei Lothar Mennig, vor dessen Rathaus plötzlich rote Fahnen wehen.

 

Von Josef-Otto Freudenreich

 

Der Bürgermeister ist stolz auf das, was er geleistet hat. Seit 24 Jahren regiert er Meßstetten, und wenn man wolle, sagt er, würde er einem sofort die Feuerwehr, die Schule und das Rathaus zeigen. Zum Beispiel sein Sitzungszimmer, in dem die Gemeinderäte auf Sesseln von Interstuhl sitzen. Stückpreis normalerweise 2000 Euro, aber günstig gekriegt, weil der Weltmarktführer in Sachen Sitzmobiliar in Tieringen residiert, einem Teilort von Meßstetten. Interstuhl bestückt auch James-Bond-Filme, erzählt der Verwaltungsvorsteher und streicht sachte über das schwarze Leder. Das Rathaus selbst ist von einem bekannten Architekten gebaut worden. Von Roland Ostertag aus Stuttgart.


Ja, die 10 000-Seelen-Gemeinde auf der Zollernalb ist wohlhabend, auch wenn man es ihr nicht ansieht. Mehr Straße als Stadt. Zwanzig, wenn nicht gar zweiundzwanzig Millionen Euro hat er auf der hohen Kante, verrät Lothar Mennig. Immer eisern gespart und nur dort reingesteckt, wo er es für sinnvoll erachtet hat. Das große Sparschwein in seinem Besprechungszimmer mag dafür ein Symbol sein. "Mein Handeln wird nicht vom Geld", erläutert der 59-Jährige, "sondern von der Sinnhaftigkeit des Ausgebens bestimmt." Schließlich sei er elf Jahre Kämmerer gewesen.

Das Waldhorn erscheint ihm nicht sinnvoll. Soll er daraus ein Jugendzentrum machen, wie ihm empfohlen wird? Von denen, die am vergangenen Samstag vor seinem Rathaus mit roten Fahnen demonstriert haben. SPD, Linke, GEW, IG Metall, Antifa. Meßstetten dürfe kein "braunes Herz Baden-Württembergs" werden, haben sie gerufen. Es waren so viele wie nie zuvor. Aber die meisten von auswärts, hat sich Mennig sagen lassen. Er selbst hat einen Auswärtstermin gehabt. Vielleicht zehn Prozent der knapp 300 Protestler seien Einheimische gewesen, meint der Vorsitzende der Freien Wähler, alle nur zum Gucken. Auf der Zollernalb werde nicht rechtsextremistisch gewählt.


Der rechte Hardliner Christian Käs hat auch in Meßstetten kandidiert

Ist halt schon lange her, dass der Landeschef der "Republikaner", Christian Käs, in Meßstetten zur Bürgermeisterwahl angetreten ist. Das war 1991. Der Stuttgarter Anwalt, bei den Reps ein Hardliner, hat damals 25 Prozent erreicht, sein Konkurrent Mennig 75. Aber noch heute berichten die jungen Leute von der linken "Alboffensive" über die "faschistischen Bauwagen", in denen sich Jugendliche auf der Alb mangels anderer Begegnungsstätten treffen. Der Bürgermeister sagt, ein Jugendzentrum im Waldhorn tauge nichts, weil es zu weit weg sei vom Lidl. Vier Kilometer.


Überzeugter wird er auch nicht, wenn ihm die Mitbesitzerin Ariane Berger-Lustig (37) wieder eine Brandmail schickt, in der steht, sie blicke "bedrückt und ängstlich" in die Zukunft und fürchte sich vor einem "Super-GAU". Mennig hat die Post ausgedruckt auf dem Tisch, wie viele andere Papiere, die ihn mit etwas behelligen, was er so "noch nie erlebt" hat. Da schafft er 70 Stunden in der Woche, hat inzwischen mehr als 2000 Bewohner in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA), sich mit einem neuen Gefängnis herumgeplagt und jetzt den Wirbel um eine Kneipe, die er partout kaufen soll, damit sie die NPD nicht kriegt. Damit ist er sogar ins Fernsehen gekommen, zusammen mit der Antifa, die er bis dahin eher aus der Zeitung kannte. "Wissen Sie", sagt der Schultes, "ich könnte sofort fünf Wirtshäuser kaufen. Jedes für eine halbe Million." Und danach kämen womöglich Auto- und Möbelhändler. "Aber bin ich für Lottogewinne zuständig?"

Nein, so geht das nicht. Schon gar nicht in aller Öffentlichkeit. Seit März nervt ihn Niko Lustig, der Wirt vom Waldhorn, mit seinen Verkaufsabsichten. Keinen Meter traut er ihm über den Weg. Damals hat der 36-jährige Kneiper, laut griffbereitem Amtsblatt, im Gemeinderat erklärt, er distanziere sich "klar von NPD und NSU" und wolle nicht an diesen Interessenten verkaufen. Seitdem ist die Immobilie immer wertvoller geworden. Der Bürgermeister spricht von höchstens 100 000 Euro, die sie kosten dürfe, hat Lustig aber eine "Verhandlungsbasis" in Höhe von 200 000 Euro genannt. Brieflich am 27. Juli.

Für mehr als 300 000 Euro hat ein Maklerbüro aus Albstadt das Anwesen angeboten, zum Ärger Mennigs, der spitz zurückfragte, ob zum Geschäftsgebaren auch die "Prüfung von Leumund und Reputation" des Eigentümers gehörten. Und jetzt stehen, wie berichtet, 490 000 Euro zur Debatte, ausgelobt von dem NPD-Immoaufkäufer Jan Zimmermann. Das alles, inklusive Grundbuchauszügen und Vorverträgen mit dem Notar, kursiert inzwischen in Kopie in einschlägigen Foren, und das macht den Schultes fuchsteufelswild. In Meßstetten werden Geschäfte so nicht abgewickelt.


Das geschieht nach den Regeln, die auf den Interstühlen verhandelt werden. Nicht öffentlich. Darauf sitzen Freie Wähler und Christdemokraten, keine Grünen und Sozialdemokraten und keine Linken. Von seinem Gemeinderat habe er kein Mandat, ein Angebot in der geforderten Höhe zu machen, sagt Mennig, auch wenn der Preis jüngst wieder etwas nach unten gerutscht ist. Ausweislich einer Mail vom 17. August, ist Waldhorn-Mitbesitzerin Ariane Berger-Lustig willens, auf 425 000 Euro zu reduzieren. Sie sei weiter verhandlungsbereit, schreibt sie an Mennig, und der überlegt sich, was das wieder bedeuten könnte.


Der Schultes hat eine Idee: Der Landkreis soll das Waldhorn kaufen

Soll er glauben, dass der für den 21. August geplante Termin verschoben ist? Jener Freitag, an dem die Lustigs und der NPD-Funktionär Zimmermann den Kaufvertrag bei dem Emmendinger Notar Alfons Veit unterschreiben wollten? Hat sein Appell an Frau Berger-Lustig, die Mutter eines Meßstettener Kindes, "Zukunftsverantwortung für diese Stadt" zu tragen, doch Wirkung gezeigt? Oder quält die heimische Bürgertochter die Vorstellung, als Türöffnerin für die NPD zu gelten, in einem Ort, in dem ihr Vater CDU-Gemeinderat und Bauunternehmer war? All das fragt sich der Schultes und erzählt von Bürgern, die ihn davor gewarnt hätten, den Lustigs Geld "hinterherzuwerfen". Andere, die seinen "unbedingten Einsatz" für den Waldhorn-Erwerb erwarten, damit Meßstetten nicht als "Plattform von rechtsradikalem Gedankengut in die Annalen" eingeht, kennt er auch.


Eine Idee hätte er ja schon: Der Landkreis soll kaufen. Nach 2016, wenn die LEA auslaufe, müsse der Kreis Platz schaffen. Warum nicht im Waldhorn? Dort gebe es auch Gästezimmer. Nicht mit Landrat Günther-Martin Pauli. Der CDU-Landtagsabgeordnete sagt, erstens habe Mennig genug Geld, zweitens halte unsere Demokratie eine NPD-Zentrale in Meßstetten aus, wenn sie denn wahr würde, und drittens tätige er keine Angstkäufe. Nicht wie damals 2008, als der Landkreis zusammen mit der Stadt Albstadt ein heruntergekommenes Bordell in der Gemeinde Straßberg erworben hat. Für 538 000 Euro. Der Preistreiber war damals Jürgen Schützinger, bis 2013 Landeschef der NPD, der vorgab, hier ein Schulungszentrum einrichten zu wollen.

Heute vertrauen beide, Mennig und Pauli, auf den Verfassungsschutz. Dessen Präsidentin in Stuttgart, Beate Bube, hat ihnen mitgeteilt, dass sich die NPD in einer finanziell angespannten Lage befände und der Erwerb des Waldhorn deshalb unrealistisch sei. Sollte die Aussage bis zum November halten, hat Mennig das Gröbste überstanden. Dann ist Schluss mit Bürgermeister, dann warten nur noch Ehrenämter, und die habe er sich redlich verdient, meint der Meister von Meßstetten.