Die Verwaltung der Flucht

Erstveröffentlicht: 
14.08.2015

Zehntausende Flüchtlinge landen in Deutschland. Wer entscheidet, wo sie leben, wer sie versorgt, wo ihr Asylverfahren läuft? Erste Stationen in einem neuen Leben.

 

Von Marina Kormbaki

 

Es vergeht in diesem Sommer kein Tag, an dem die Bundespolizei keine Flüchtlinge aufgreift. Auf Autobahnen, auf Waldwegen, in Zügen, allein am Hauptbahnhof Frankfurt/Main 44 Menschen an diesem Mittwoch. Manchmal haben die Beamten Glück und ihnen fällt ein Schleuser in die Hände, meist aber lassen die ihre Fracht, die Schutzsuchenden, vor den deutschen Grenzübergängen raus.


Mit ihrer Ankunft findet die Reise der Flüchtlinge vielleicht ein vorerst gutes Ende. Nun beginnt jedoch die mitunter lange, wohl immer nervenzehrende Prozedur ihres Asylverfahrens. Rund 160000 der derzeit rund 50 Millionen Schutzsuchenden sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nach Deutschland geflohen. Mehr als 70000 sind seit dem ­1.Juli dazugekommen. Jedem Einzelnen steht ein faires Verfahren zu.


Die Erfassung, Verteilung und Unterbringung der Menschen - also der gesamte Ablauf eines Asylverfahrens - stellt auch den Bund, die Länder und Gemeinden vor große Herausforderungen. Jeder fühlt sich belastet: Niedersachsen zum Beispiel muss 9000 Neuankömmlinge unterbringen, hat aber nur Plätze für 5000 vorbereitet. In der Erstaufnahmeeinrichtung im schleswig-holsteinischen Neumünster haben sich in den ersten zwölf Augusttagen 1000 Menschen gemeldet. Dem Freistaat Sachsen sind im Juli 4000 Asylbewerber zugewiesen worden. Sind die Aufgaben fair verteilt?


Ein Überblick über die wichtigsten Stationen:  Wie gelangen die Asylsuchenden nach Deutschland?


Die meisten Kriegs- und Elendsflüchtlinge aus Europa, Afrika und Asien gelangen über die "West-Balkan-Route" nach Westeuropa. Sie wird auch "Schwarze Route" genannt, denn der Weg von Griechenland über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich ist so beschwerlich wie gefährlich. Doch trotz der kilometerweiten Fußmärsche und der lauernden Banden von Menschenhändler erscheint er vielen Flüchtlingen vom Westbalkan, aus Syrien, dem Irak und Afghanistan als einzige Möglichkeit. Allein zwischen Januar und Mai griff die EU-Grenzschutzagentur Frontex rund 50000 Migranten auf ihrem Weg durch diese Länder auf - so viele wie im ganzen Jahr 2014 nicht.


Nach Angaben der Bundespolizei reisen die meisten Asylsuchenden über Österreich nach Deutschland ein. Dagegen falle der Zustrom direkt aus Osteuropa bescheiden aus. Ein Sprecher sagt: "Die Bundespolizei konnte von Januar bis Juni 2015 im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeidirektion München über 36500 illegal eingereiste Personen feststellen. Im Bereich der Bundespolizeidirektion Pirna waren es im selben Zeitraum rund 2300 Personen."


Bis Ende Juni haben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 159927 Menschen erstmals Antrag auf Asyl gestellt - deutlich mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2014. Die Behörden waren darauf nicht eingestellt, es mangelt an Personal und Unterkünften.


Der erste Kontakt mit den Behörden

 
Wer einreist, um Asyl zu beantragen, muss sich zunächst als asylsuchend melden. Dafür verfügt jedes Bundesland über Zentrale Erstaufnahmeeinrichtungen. Wird ein Migrant von der Polizei bei der Einreise aufgegriffen und kann keine gültigen Papiere vorweisen, droht ihm in der Regel nichts, wenn er sein Asylbegehr zum Ausdruck bringt. Aber die Polizei erfasst den Flüchtling erkennungsdienstlich: Er wird fotografiert, gemessen, seine Fingerabdrücke werden gescannt, alle Daten über Gestalt, Sprache, Einzelheiten wie Tattoos und Augenfarbe werden registriert. Auch Angaben über Narben, Folterspuren. Die Polizeibeamten leiten ihn an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weiter - vorausgesetzt, er stammt nicht aus einem als sicher eingestuften Drittstaat. Flüchtlinge, die auf eigene Faust in eine deutsche Stadt gelangt sind oder von Schleppern dorthin gebracht wurden, müssen ebenfalls in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorstellig werden. Dort erhalten sie auch einen Krankenschein.


Die nächstgelegene Einrichtung ist jedoch nicht automatisch die zuständige. Diese wird bei der Registrierung des Flüchtlings über das Computerprogramm "Easy" ermittelt, das die Verteilung verwaltet. Muss der Flüchtling in eine andere Erstaufnahmeeinrichtung, erhält er dafür eine Fahrkarte.


Die Verteilung der Flüchtlinge

 
Ob ein Flüchtling in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben darf, hängt von mehreren Faktoren ab - etwa von der Frage, ob dort überhaupt noch Plätze frei sind. Zudem ist nicht jede Einrichtung für jedes Herkunftsland zuständig: Nur Flüchtlinge aus akuten Krisengebieten können überall vorstellig werden. Schließlich regelt eine feste Aufnahmequote die Verteilung der Flüchtlinge im Bundesgebiet: Der "Königsteiner Schlüssel" legt fest, welchen Anteil der Asylbewerber jedes Land aufnehmen muss. Er wird entsprechend der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl berechnet. Der größte Anteil fällt derzeit Nordrhein-Westfalen mit 21,2 Prozent zu, der niedrigste dem Saarland mit 1,2 Prozent. Die Herkunft der Schutzsuchenden spielt keine Rolle. Die Verteilung der Flüchtlinge ist vor allem eine statistische Angelegenheit. Aber: "Familiäre Bindungen im Bundesgebiet können von den Bundesländern bei der Unterbringung berücksichtigt werden", sagt Christoph Sander vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg.


Der Antrag auf Asyl

 
Angekommen in der ihnen zugewiesenen Erstaufnahmeeinrichtung, können Flüchtlinge Antrag auf Asyl stellen. Das tun sie nicht in der vom Land verwalteten Unterkunft, sondern in einem Büro des BAMF. Dort werden, wenn es nicht bei der Polizei geschehen ist, Personendaten, Fingerabdrücke und Fotos gespeichert. Die Daten werden vom Bundeskriminalamt ausgewertet, auch eine europaweite Überprüfung findet statt, um festzustellen, ob der Flüchtling bereits in einem anderen EU-Land Antrag auf Asyl gestellt hat oder gesucht wird.


In einer persönlichen Anhörung muss jeder Flüchtling, der älter als 16 Jahre ist, vortragen, warum er um Asyl ersucht. Im Beisein eines Dolmetschers muss er dem, wie es beim BAMF heißt, "Entscheider" schildern, wie und warum er politisch verfolgt wird.


Während der Antrag bearbeitet wird, müssen die Flüchtlinge bis zu drei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen, um für Nachfragen leicht erreichbar zu sein. Sie erhalten Verpflegung, Kleidung und ein Taschengeld von 143 Euro im Monat. Ist ein Verfahren nach drei Monaten noch nicht abgeschlossen, ziehen die Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünfte um, seltener auch in Wohnungen. Sie erhalten dann pro Monat 359Euro in bar ausgezahlt, Wohn-, Heiz- und Arztkosten werden vom Land erstattet. Wird ein Asylgesuch positiv entschieden, geht die Verantwortung vom Land auf die Kommune über. Lehnt das BAMF den Antrag ab und fordert zur Ausreise auf, kann der Flüchtling vor dem Verwaltungsgericht klagen. Mit dessen Entscheidung aber ist das Verfahren beendet, und die Abschiebung steht bevor. Von Januar bis Juni wurden 8178 Asylbewerber abgeschoben.