AfD-Nachwuchs: Ideologie statt Verstand

Erstveröffentlicht: 
06.01.2015

Die „Junge Alternative“ macht Stimmung gegen den Feminismus und schürt Ängste vor Ausländern. In Hessen kämpft der rechte Nachwuchs darum, als Jugendorganisation der AfD anerkannt zu werden - die Chancen dafür stehen nicht schlecht.

 

von Leonie Feuerbach

 

Manchmal kann Christian Kühner nicht fassen, wie wenig seine Mitmenschen von der Welt verstehen. „Die Zeit ist reif! (...) Was brauchen die Deutschen denn noch, bis sie endlich aufwachen?!“, schrieb er einmal im Kommentarbereich von FAZ.NET. Kühner ist der Schatzmeister der hessischen „Jungen Alternative“ (JA), der halboffiziellen Jugendorganisation der AfD, und Mitglied in deren Landesvorstand. Kühner ist der Mann, der im November den hessischen AfD-Vorsitzenden Gunther Nickel zu Fall brachte – mit einem Abwahlantrag auf dem Parteitag. Der Antrag erhielt zwar nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, Nickel gab aber dennoch seinen Rücktritt bekannt – das Misstrauen gegen seine Person schien ihm zu groß. Fragt man den gestürzten Nickel, warum er als Landesvorsitzender die JA nicht als Jugendorganisation anerkennen wollte, sagt der: „Fragen Sie die mal nach ihren politischen Ansichten, ich glaube, das ist erhellend.“

 

Tatsächlich gibt Kühner gerne Auskunft über seine Überzeugungen. Er begleitet den hessischen JA-Vorsitzenden Robert Wasiliew zu einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mehr als vier Stunden lang äußert Kühner seine politischen Ansichten in einer solchen Offenheit, dass Wasiliew bisweilen einen erschrockenen Eindruck macht. Kühners Vorstellungen entsprächen nicht der Mehrheitsmeinung der JA, sagt Wasiliew dann schnell: „Ich vertrete diese Positionen nicht, aber ich finde es gut, dass man sie in der JA frei äußern kann.“ Welche Äußerungen zu dieser Reaktion geführt haben, will Kühner der Öffentlichkeit lieber vorenthalten. Er unterbindet die Veröffentlichung aller Zitate. „Schließlich fallen jegliche öffentlich getätigten Äußerungen nicht nur auf mich als Privatperson oder AfD- bzw. JA-Vertreter, sondern auch beruflich zurück“, schreibt er zur Begründung in einer E-Mail. Also muss man sich seinen politischen Ansichten auf anderem Wege nähern.

 

Selbst für AfD-Verhältnisse extreme Ansichten

 

In einem internen Forum der AfD schrieb Kühner am Abend des Halbfinales der Fußball-Weltmeisterschaft: „Erst Brasilien abgeschossen und dann auch noch dieses faschistische Islamistenpack: Was für eine großartige Nacht!“ Israel hatte an diesem Abend begonnen, den Gazastreifen zu bombardieren und 50 Ziele angegriffen. Bis zum Ende des Gaza-Kriegs sieben Wochen später starben mehr als 1000 Menschen. Kühner wurde von der AfD für seine Entgleisung gerügt. Im März 2013 brachte Kühner eine Petition in den Bundestag ein: Die Sozialhilfe sollte auf fünf Jahre beschränkt werden. Begründung von Kühner: „Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen.“

 

Es dürften solche Äußerungen einiger JA-Mitglieder sein, weswegen der Nachwuchsverband von etlichen Landesverbänden der AfD immer noch nicht als offizielle Jugendorganisation anerkannt wird. Obwohl 90 Prozent ihrer Mitglieder auch Mitglied der Mutterpartei sind, haben bisher nur sechs Landesverbände die JA in die Partei integriert. Bundesweit wolle man erst noch abwarten, wie sich die JA entwickele, sagt der AfD-Pressesprecher Christian Lüth: „Bei einigen Punkten ist es schwer, eine gemeinsame Linie zu erkennen.“ So fordert die JA etwa eine Auflösung der Europäischen Union, während die AfD sich bloß für ihre Reformierung einsetzt. Dennoch sei die Angliederung aber grundsätzlich vorgesehen, sagt Lüth. In der Partei gilt es als wahrscheinlich, dass sie beim nächsten Bundesparteitag Ende Januar 2015 beschlossen wird.

 

Inhaltliche Überschneidung mit der NPD

 

In Hessen stehen die Zeichen für die JA gut – seit Nickel gehen musste. Der neue Landesvorsitzende Konrad Adam, der auch AfD-Bundesvorsitzender ist, sagt über die Nachwuchspolitiker zwar: „Einiges erscheint unüberlegt und über das Ziel hinauszuschießen.“ Nichtsdestotrotz hege die hessische AfD die Absicht, die JA als ihre Jugendorganisation anzuerkennen, sobald die Voraussetzungen dies erlaubten und die JA etwa weniger radikale Forderungen bezüglich der EU stelle. Noch positiver steht Peter Münch, neben Adam ein weiterer Landesvorsitzender in Hessen, einer Angliederung gegenüber. „Es ist nur vernünftig, dass jede Partei eine Jugendorganisation hat, und die JA hat sich bundesweit sehr aktiv gezeigt und keinen Anlass zu Kritik geboten“, sagt er. Auf die Forderung nach dem EU-Austritt und umstrittene Kampagnen der JA angesprochen, erklärt er, von diesen nichts gewusst zu haben.

 

Dass die Anerkennung der JA einen Rechtsruck für die AfD bedeuten würde, glaubt Nickel nicht. Zumindest in Hessen sei die JA dafür schlicht zu klein: Dort sind nur knapp drei Dutzend Personen organisiert. Einige Plakate und Aktionen hätten „eine etwas nationalistische Anmutung“, sagt Nickel, so etwa das Titelfoto eines Meeres aus Deutschland-Fahnen auf einer der JA-Zeitschriften. Insgesamt handele es sich bei den Aktionen der JA-Hessen-Mitglieder aber eher um „vorpolitisches“ als um rechtsextremes Verhalten.

 

Der Soziologe Andreas Kemper sieht das anders. Die Landesverbände und auch der Bundesverband der JA stünden deutlich rechts von der AfD, mehrere Mitglieder hätten Kontakte zu rechtskonservativen Burschenschaften und verträten einige Positionen, die sich auch bei der NPD finden ließen. Tatsächlich sind einige JA-Mitglieder laut Medienberichten selbst Mitglied in Burschenschaften, die wiederum im Dachverband Deutscher Burschenschaften organisiert sind: ein ultrakonservativer Verband, in dem auch einige vom Verfassungsschutz beobachtete Burschenschaften organisiert sind und den liberalere Gruppierungen längst verlassen haben. So etwa der stellvertretende Vorsitzende der JA in Nordrhein-Westfalen, Alexander Jungbluth, und der Vorsitzende des Bundesschiedsgerichts der JA und Richter am AfD-Landesschiedsgericht in Baden-Württemberg, Dubravko Mandic. Der äußerte sich in einer internen JA-Gruppe in dem sozialen Netzwerk Facebook so: „Von der NPD unterscheiden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützerumfeld, nicht so sehr durch Inhalte.“

 

Schrille Facebook-Kampagnen bringen Aufmerksamkeit

 

Offiziell distanzieren sich AfD und JA klar von rechtsextremen Gesinnungen. Gegen Mandic läuft ein Ausschlussverfahren, wie Pressesprecher Lüth bestätigt. Und der stellvertretende JA-Vorsitzende Benjamin Nolte trat zurück, nachdem bekannt wurde, dass er Mitglied im Altherrenverein der Burschenschaft Danubia München ist, deren Aktivitas vom bayerischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Er war außerdem durch Medienberichte in Bedrängnis geraten, laut denen er einem Bekannten, in dessen Burschenschaft ein Dunkelhäutiger Mitglied war, auf einem Treffen eine Banane überreicht haben soll. Robert Wasiliew sagt dazu: „Ich habe den Benjamin damals vorgeschlagen und würde meine Hand für ihn ins Feuer legen.“ Die Medien hätten den Vorfall unnötig aufgeblasen. Das sieht auch Nolte selbst so. Er erklärt den Vorfall dieser Zeitung gegenüber mit der fortgeschrittenen Stunde und seinem Alkoholpegel und sagt, er habe sich bei dem Betroffenen entschuldigt. In der AfD ist Nolte nach wie vor Mitglied. Zuletzt wurde er zum bayrischen Landessprecher der „Patriotischen Plattform“ gewählt, einem nationalkonservativen Bündnis innerhalb der AfD. Diese spricht sich unter anderem gegen das Ausschlussverfahren gegen Mandic aus.

 

Obwohl die JA schon vor fast anderthalb Jahren gegründet wurde, erreichte sie erst in den vergangenen Monaten einen gewissen Bekanntheitsgrad - wohl vor allem dank ihrer schrillen Facebook-Kampagnen. In dem sozialen Netzwerk veröffentlichten die Nachwuchspolitiker diverse Plakate und Fotomontagen. Ein Plakat führte in Brandenburg zur Prüfung einer möglichen Ermittlung durch die Staatsanwaltschaft, weil es zur Selbstjustiz aufgerufen haben soll. „Selbstjustiz ist die neue Polizei“ stand darauf.

 

Auf einem Plakat mit dem Text „Wenn der Staat seine Aufgaben nicht wahrnimmt, werden es andere tun“ war eine Frau zu sehen, die zwei Waffen abfeuert, auf einem anderen muskulöse Männer mit nackten Oberkörpern unter dem Spruch „Schluss mit Kuscheljustiz“. Nach eigenen Aussagen wollte die JA mit dem Slogan zur Selbstjustiz anprangern, dass der Staat nicht genug gegen Kriminalität tue. Die AfD bezeichnete die Plakataktion als „dumm und überflüssig“. Die JA hingegen wollte im Gegenzug wegen Verletzung des Neutralitätsgebots gegen den brandenburgischen Justizminister vorgehen - mit Mandic als ihrem Anwalt.

 

Der äußert sich in der besagten JA-Facebook-Gruppe mit dem rassistischen Satz: „Schwarze haben schon ein anderes Triebleben als Weiße oder Asiaten.“ Auch zu „Tunten“ und „Genderscheiße“ lässt er sich dort aus. Letztere erzürnt viele JA-Mitglieder. Eine Anti-Feminismus-Kampagne fand bei zahlreichen JA-Sympathisanten Anklang, führte aber auch zu viel Hohn und Spott. Gleiches galt für das Bild fünf halbnackter Strandschönheiten von hinten, mit denen sich die JA „gegen Gleichmacherei“ ausspricht. Darunter prangt das kalauernde Wortspiel „P(r)o Vielfalt in Europa“. Solche Plakate könnten der Grund sein, warum sich in Hessen erst eine einzige Frau der JA angeschlossen hat. Und selbst Plakate und Aktionen, die nicht von Geschlechterfragen handeln, offenbaren eine chauvinistische Haltung. Etwa das Bild einer Blondine in Hotpants, die sich darüber empört, dass ihr Staubsauger wegen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht mehr genug Kraft zum Putzen habe. Peinlich – oder eine gelungene Provokation?

 

Die Legende von den kriminellen Ausländern

 

Wasiliew ist nicht gerade stolz auf diese Kampagne. Aber er verurteilt sie nicht, sondern zitiert lieber die Leitlinien der JA: „Wir lehnen ,Political Correctness‘ und Denkverbote ab“, heißt es dort. „Auch mutige, fragwürdige oder irrsinnige Meinungen verdienen es, gehört zu werden.“ Der Slogan der JA lautet „Verstand statt Ideologie“. Zumindest in Hessen entspreche das Gegenteil der Wahrheit, sagt der frühere Landesvorsitzende Nickel.

 

Er könnte damit auch Wasiliew meinen. Der ist der Meinung, es sei ganz offensichtlich, dass Einwanderer oft aggressiver und krimineller als Deutsche seien. Er könne das sagen, schließlich stamme er selbst aus einer Einwandererfamilie: Seine Mutter sei Portugiesin, sein Vater Russe. Statistiken, nach denen Einwanderer dem deutschen Staat jährlich im Schnitt 3300 Euro einbringen und die Gewaltkriminalität seit Jahren abnimmt, überzeugen Wasiliew nicht. Man wisse ja nicht, wie diese Statistiken zustande gekommen seien; vielleicht seien sie ja falsch.

 

Wasiliew und Kühner reisen derzeit zu den Mitgliedern der AfD-Ortsverbände in Hessen, um für die JA zu werben. Kürzlich war Kühner beim Kreisverband Odenwald zu Gast. Auf der Internetseite der JA heißt es dazu: „Christian Kühner gelang es vortrefflich, die Inhalte und Vorzüge der JA Hessen im Wesentlichen darzustellen, sodass auch hier ein zukünftiges Miteinander mehr als nur wahrscheinlich erscheint.“