Chaostage in Schneeberg: 200 Asylbewerber in einer Sporthalle

Erstveröffentlicht: 
16.02.2015

Kritik an sanitären Zuständen / Rettungsdienste stoßen in der Region an ihre Grenzen

Von Gunter Niehus, Susanne Devaja, Jürgen Freitag und Oliver Hach


Schneeberg. Nirgendwo in Sachsen ist der Anteil der Asylbewerber an der Gesamtbevölkerung so hoch wie im Raum Aue-Schneeberg. Selbst die Rettungsdienste stoßen an ihre Grenzen. Die Landesdirektion hebt die Hände. Eine Woche Ausnahmezustand - eine junge Frau aus Tschetschenien hat sie miterlebt. Die 32-Jährige lebt mit 200 anderen Asylbewerbern in der Sporthalle auf dem Gelände der ehemaligen Jägerkaserne in Schneeberg (Erzgebirge). Liege presse sich an Liege, erzählt die Frau in gebrochenem Deutsch. Die Luft sei zum Schneiden, die sanitäre Situation eine Katastrophe. "Es gibt keine Handtücher, keine Kopfkissen, kein Duschgel", sagt sie. "Alle husten, meine Kinder haben Fieber."


Der Auer Landtagsabgeordnete Thomas Colditz von der CDU ist stinksauer auf die Landesbehörden. "Das kann nicht wahr sein, was hier passiert", schimpft er. Die letzte Hauruck-Aktion bringt für ihn das Fass zum Überlaufen. "Die Asylbewerber müssen untergebracht werden, das ist doch gar keine Frage", so Colditz. "Aber man könnte auch in Dresden und Leipzig Container aufstellen, statt noch mehr in diese Region zu pressen."


Denn im Großraum Aue-Schneeberg-Bad Schlema gibt es neben der Erstaufnahmeeinrichtung in der Kaserne noch das Asylbewerberheim in Aue-Alberoda und die Notunterkunft an der Schneeberger Straße in Aue. Insgesamt wohnen derzeit in den drei Orten zusammen mehr als 1500 Asylbewerber. In der Großstadt Dresden sind es gut 2000. Obgleich sich die Verteilung jeden Tag ändert und für die Gesamtzahl der Bevölkerung auf Daten des Statistischen Landesamts vom Dezember 2014 zurückgegriffen werden musste, ist der Vergleich deutlich: Während der Anteil der Flüchtlinge in Dresden etwa 0,4 Prozent beträgt, liegt er in Schneeberg bei 6,9 Prozent.


Die Vielzahl der Asylbewerber, die vor allem in der Erstaufnahme-Einrichtung, der ehemaligen Jägerkaserne, leben, bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Der Rettungsdienst der Johanniter fährt bei rund 40 Einsätzen am Tag inzwischen mehr als fünfmal zur Flüchtlingsunterkunft nach Schneeberg. "Wir sind an unserer Schmerzgrenze angelangt", sagt Dirk Roscher, Bereichsleiter Rettungsdienst der Johanniter. "Weil ein Arzt vor Ort fehlt, der die Flüchtlinge rund um die Uhr betreut, geht bei der Rettungswache in Bad Schlema ständig der Piepser." Die Einsatzzahlen seien förmlich explodiert. Für die zusätzliche Arbeit fehlten Rettungskräfte und Einsatzfahrzeuge. "Unser Bestand ist nicht auf die akute Situation mit mehr als 1000 Flüchtlingen abgestimmt", sagt Roscher.


Das Gerücht, dass sich Asylbewerber krank melden und sich ins Krankenhaus einliefern lassen, um der Sporthalle für ein paar Tage zu entfliehen, will Roscher weder bestätigen noch dementieren. "Ob jemand simuliert, wissen wir nicht. Verstehen könnte ich aber jeden, der es versucht." Die Unterbringung in der Turnhalle sei menschenunwürdig. Anfangs habe es für Hunderte Menschen nur zwei Sanitäranlagen gegeben. "Es herrschen Bedingungen, bei denen sich Krankheiten schnell ausbreiten können."


Für die Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Sprecher Ingolf Ulrich berichtet, unter den Menschen, die in der Schneeberger Turnhalle hausen, sei "eine ganze Reihe von Familien mit Kindern". Man strebe an, die Menschen jeweils nach zwei bis drei Tagen zu verlegen. Doch Ausweichquartiere gibt es nicht mehr. "Wir suchen landesweit mit Hochdruck nach weiteren Kapazitäten."


Erst am Dienstag hatte die Landesdirektion begonnen, Asylbewerber in einem Polizeigebäude am Görlitzer Flugplatz unterzubringen - "zur Vermeidung von Obdachlosigkeit", wie es hieß. Auch diese Plätze sind nun alle belegt. "Wir erleben in Sachsen derzeit einen Ansturm von etwa 100 Menschen am Tag", so der Behördensprecher. "Vor einem Jahr um die Zeit waren es 30." Besonders der Zustrom aus dem Kosovo sei völlig unerwartet gekommen.


Die Folge: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kommt mit der Aufnahme der Asylanträge nicht mehr hinterher. "Die schaffen 60 bis 70 Anträge pro Tag", sagt Ulrich. Ganz abgesehen von der Bearbeitung. Inzwischen würden bereits bis zu 400 Flüchtlinge auf die Landkreise verteilt, bevor ihr Asylantrag überhaupt aufgenommen wurde.


Als Reaktion auf die prekäre hygienische Situation in Schneeberg wurden am Mittwoch als Übergangslösung acht mobile Toilettenhäuschen aufgestellt. Zudem wurde eine Sanitärstation mit WCs und Duschen angeliefert. Doch nächste Woche ist es wieder vorbei mit dem gesamten Provisorium. Dann sind die Winterferien zu Ende und die Turnhalle muss für den Schulsport geräumt sein. (fp)

 


 

 

Nagel spricht von Aufnahme-Chaos


Dresden. Linke-Politikerin Juliane Nagel hält das Innenministerium für überfordert mit der Aufgabe, Flüchtlinge angemessen zu versorgen. "Das Chaos bei Aufnahme und Unterbringung von neu in Sachsen ankommenden Asylsuchenden hält an", erklärte die Landtagsabgeordnete gestern. Minister Markus Ulbig (CDU) habe die Sache "trotz großer Töne" um bessere Kommunikation und planvolles Handeln nicht im Griff. Da die regulären Erstaufnahmeeinrichtungen in Chemnitz und Schneeberg überfüllt seien, habe man kurzerhand Kapazitäten in Böhlen, Görlitz, Meißen und in einer Turnhalle in Schneeberg schaffen müssen: "Das Hals-über-Kopf-Agieren des Innenministerium spricht Bände." Zahlreiche "leere Versprechungen im Schlepptau des Asylgipfels" seien ins Land gegangen. Dass die Zahl der Asylsuchenden sinken würde, dürfte nicht mal der Innenminister gedacht haben.

 


 

 

Bleiberecht für 341 Menschen erwirkt


Dresden. Während ihrer zehnjährigen Arbeit hat es die Härtefallkommission in Sachsen 341 Menschen ermöglicht, in Deutschland bleiben zu dürfen - trotz Ablehnung ihres Asylantrags. Damit liege die Erfolgsquote bei 82 Prozent, so die Kommission. In 115 von 139 Fällen folgte das Innenministerium dem Ersuchen und bewilligte eine Aufenthaltserlaubnis wegen dringender humanitärer oder persönlicher Gründe. 13 Fälle wurden abgelehnt, die übrigen zurückgezogen oder anderweitig bearbeitet. 2014 stellte die Kommission 11 Härtefallanträge für 19 Menschen, mit Erfolg für 13 Betroffene. Die sächsische Härtefallkommission nahm im Oktober 2005 ihre Arbeit auf. In den ersten Jahren seien oft Fälle diskutiert worden, in denen ganze Familien von Abschiebung bedroht waren, sagte Markus Guffler, Sprecher der Geschäftsstelle des Ausländerbeauftragten. Zur Kommission gehören Vertreter der Kirchen, des Flüchtlingsrates und des Innenministeriums.

 


 

 

Böller auf Heim für Asylbewerber geworfen


Freiberg. Bei einer Böller-Attacke auf ein Asylbewerberwohnheim in Freiberg ist ein Bewohner leicht verletzt worden. Wie die Chemnitzer Polizei mitteilte, erlitt er in der Nacht zum Sonnabend ein Knalltrauma. Welche Art von Pyrotechnik die unbekannten Täter verwendeten, müssten die Ermittlungen klären, hieß es. Auch die Höhe des Sachschadens blieb zunächst unklar. In unmittelbarer Nähe des Tatortes wurden zwei Männer beobachtet, die mit einem Auto davonfuhren. Ob sie etwas mit der Attacke zu tun hatten, ist bisher nicht bekannt. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) der sächsischen Polizei hat die Ermittlungen übernommen, war jedoch für Nachfragen zunächst nicht erreichbar. Das OAZ untersucht alle Straftaten mit extremistischem Hintergrund im Freistaat.