Flüchtlinge in Deutschland: Die hässlichen Deutschen

Erstveröffentlicht: 
27.11.2014

Als freundliches, weltoffenes Volk wollen sich die Deutschen am liebsten sehen. Doch kaum steigt die Zahl der Flüchtlinge, zeigt der hässliche Deutsche wieder seine ausländerfeindliche Fratze. Eine Kolumne von Jakob Augstein.

 

Seit Januar haben mehr als 130.000 Menschen in Deutschland Schutz gesucht. Es sind so viele, wie seit Langem nicht. Das ist die Flüchtlingswelle, von der immer die Rede war. Wir haben sie kommen sehen. Aber wir haben uns nicht darauf vorbereitet. Jetzt ist sie da. Und wie reagiert Deutschland? Abscheulich.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat gesagt, er sei "beeindruckt von der Aufnahmebereitschaft" der Deutschen. Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gesagt: "Das Boot ist nie voll." Die Bereitschaft der Bevölkerung zu helfen, sei "so groß wie nie". Schwer zu sagen, woher Kretschmann und de Maizière ihre Informationen haben. Von der Straße, auf der das Murren über die Ausländer wieder eingesetzt hat, jedenfalls nicht.

Im beschaulichen Kneippkurort Bad Schandau haben empörte Deutsche am Ortseingang ein Schild aufgestellt: "Bitte flüchten Sie weiter, es gibt hier nichts zu wohnen!" Das ist Sachsen, Ostdeutschland. In Dresden demonstrieren die Menschen jetzt immer montags - ausgerechnet - gegen Ausländer. Motto: "Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes." Inzwischen sind es ein paar Tausend, die kommen.

Der CDU-Innenminister Markus Ulbig sagt: "Ich denke, man kann bei dieser Konstellation nicht pauschal gegen Demonstranten sein, die ihre Meinung sagen." Er hat so viel Verständnis für deutsche Vorurteile, dass er seine Polizei sogar angewiesen hat, spezielle Einheiten einzurichten, die ausdrücklich für straffällige Asylbewerber zuständig sind.

Die Deutschen formieren sich zum Widerstand

So sieht es nicht nur in der ostdeutschen Provinz aus. Egal ob die Flüchtlinge im vornehmen Hamburg-Harvestehude untergebracht werden sollen oder im ärmlichen Berlin-Marzahn: Die Deutschen formieren sich zum Widerstand.

Plötzlich sieht man: Das liebenswürdige Volk, das die Deutschen beim fröhlichen Fußballgucken so gern der Welt zeigen, kann immer noch ganz anders. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat gerade festgestellt, dass fast die Hälfte der Deutschen eine schlechte Meinung von Asylsuchenden hat und der Ansicht ist, dass Asylbewerber ihre Notlage nur vortäuschen, um Leistungen in Deutschland zu erschleichen. Und wenn ein Asylbewerberheim in ein altes Hotel am See einziehen soll, wie im schönen Bautzen, dann wählen gleich 15 Prozent der Leute die AfD und elf Prozent die NPD.

Das sind nicht mehr die Glatzköpfe und Schläger, die in Hoyerswerda zu Beginn der Neunzigerjahre Wohnheime für Vertragsarbeiter und Flüchtlinge angegriffen haben. Es sind die deutschen Bürger, die ein Reporter der "Süddeutschen Zeitung" schon vor ein paar Jahren bei einer Lesung von Thilo Sarrazin antraf: "In der Münchner Reithalle herrschte ein Hauch von Sportpalast. Gut gekleidete Grauköpfe ereiferten sich nicht nur, sie geiferten."

Springers "Welt", einst Fachblatt für Vertriebene, heute Fanzine der neuen Rechten, schreibt, dass Europa schon "mit seinen hausgemachten Problemen nicht fertig" werde, der Euro sich seiner Belastungsgrenze nähere, die Wirtschaftsleistung sinke und die sozialen Spannungen zunähmen. Zynische Schlussfolgerung: "Das Problem der Flüchtlinge sollte dort gelöst werden, wo es generiert wurde - nach dem Verursacherprinzip."

Nicht genug Unterkünfte und nicht genug Mitarbeiter

Gegen solche Kaltherzigkeit und Feigheit im Angesicht des Leids der Menschen hat Papst Franziskus gerade vor dem Europäischen Parlament geredet. "Es ist nicht hinnehmbar, dass das Mittelmeer zu einem Massenfriedhof wird", hatte er gesagt und für mehr Verantwortungsbereitschaft der Europäer geworben.

Verantwortung. Das ist auch das Wort, das der Bundespräsident, die Verteidigungsministerin, der Außenminister schon das ganze Jahr über gebraucht haben. Deutschland solle mehr Verantwortung im Ausland übernehmen. Dabei haben wir im Inland genug zu tun. All die Menschen, die bei uns Schutz suchen, wo sollen sie hin? Wer kümmert sich um sie? Es gibt in den Gemeinden nicht genug Unterkünfte, es gibt in den Behörden nicht genug Mitarbeiter.
Wer da Reformen fordert, hat kein dankbares Publikum. Es geht da nicht um glitzernde Waffensysteme. Man kann darüber keine großen Reden auf internationalen Konferenzen halten. Für die großen Konzerne ist hier kein Geld zu verdienen. Darüber lassen sich keine pathetischen Essays über Soldaten und Heroentum in der Zeitung schreiben.

Es geht um Menschen in Not, denen wir in diesem reichen, glücklichen Land helfen können. Es geht darum, ob wir anständig sind - oder nicht.