Der frühere V-Mann "Corelli" lieferte jahrelang Informationen aus der rechten Szene, zeitweilig unterhielt er Kontakt zu Mitgliedern des NSU. Nun ist er im Alter von 39 Jahren gestorben. Bis zuletzt gab er sich zu seiner Zeit als Spitzel verschlossen.
Hamburg - In seiner letzten Vernehmung konfrontierten die Ermittler Thomas R. auch mit einem Artikel von SPIEGEL ONLINE. "Was wusste Spitzel 'Corelli'?", fragte der Text - und die beiden Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) hätten darauf im März 2013 gerne eine Antwort gehört. Hatte der Neonazi aus Sachsen-Anhalt unter dem Tarnnamen eines Barock-Komponisten jahrelang für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als V-Mann gearbeitet? Doch R. verweigerte die Auskunft: "Ob ich 'Corelli' bin, dazu möchte ich nichts sagen."
Im Grunde bedurfte es einer Bestätigung zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht mehr. Längst war klar, dass Thomas R. von 1997 bis 2007 für den deutschen Inlandsgeheimdienst in der rechten Szene spioniert hatte. Er war eine von drei Quellen, die das BfV im Umfeld des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) platzieren konnte. Doch "Corelli" war der einzige von ihnen, der dem Trio wirklich nahe gekommen war: 1995 soll es mindestens ein Treffen zwischen ihm und Uwe Mundlos gegeben haben, zudem fanden sich die Daten von Thomas R. in dessen Telefonliste, die 1998 entdeckt wurde.
Ein Jahr nach seiner letzten Vernehmung starb "Corelli". Nach Informationen des SPIEGEL hat das BfV in der vergangenen Woche das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags vom Tod des ehemaligen Spitzels unterrichtet. Demnach wurde der 39-Jährige Ende März leblos in einer Wohnung in Nordrhein-Westfalen aufgefunden. Der frühere Neonazi war nach seiner Enttarnung im Herbst 2012 in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht worden.
"HJ Tommy"
Offenbar ausgestattet mit einer neuen Identität lebte "Corelli" zuletzt in einer Wohnung im Raum Schloß Holte-Stukenbrock, in der auch seine Leiche gefunden wurde. Die Ermittlungen erbrachten nach SPIEGEL-Informationen bislang keine Hinweise auf eine "Fremdeinwirkung". R. starb laut Sicherheitskreisen an den Folgen einer zuvor nicht erkannten Diabetes-Erkrankung.
Um die Jahrtausendwende galt Thomas R. als einer der führenden Köpfe in der rechten Szene Sachsen-Anhalts. In einem vertraulichen BKA-Bericht über "Rechtsextremistische Kameradschaften" wurde "HJ Tommy" als "Namensgeber und Initiator" des Nationalen Widerstands Halle bezeichnet. R. war Herausgeber der Zeitung "Nationaler Beobachter" und betrieb zahlreiche Internetseiten mit rechtsextremer Hetze.
Jahre zuvor war Thomas R. bereits den European White Knights of the Ku Klux Klan (EWK KKK) beigetreten, einem deutschen Ableger des rassistischen Geheimbundes aus den USA. Seine Aufnahme habe in Wien stattgefunden, berichtete Thomas R. später dem BKA, er habe sich in die Haut schneiden und auf die Bibel schwören müssen. Später verbrannten die Kapuzenträger ein Kreuz in der Burgruine von Schwäbisch Hall.
Thomas R. engagierte sich auch bei dem rechten Fanzine "Der Weiße Wolf", in dessen Ausgabe Nummer 18 im Jahr 2002 ein bemerkenswertes Vorwort erschien. Fettgedruckt, ohne nähere Erläuterung, hieß es dort: "Vielen Dank an den NSU." Es war die erste öffentliche Erwähnung der Terrorgruppe, neun Jahre ehe sie aufflog. Herausgegeben wurde das Heft zeitweise von David Petereit, einem späteren Landtagsabgeordneten der NPD in Mecklenburg-Vorpommern. Ermittler stellten bei ihm einen "Unterstützerbrief" des NSU sicher, Textbausteine aus diesem Schreiben tauchten später auch im Bekennervideo der Rechtsterroristen auf.
"Unsere Stunde wird kommen"
Die erste Quellenmeldung von "Corelli" an den Verfassungsschutz soll die Kameradschaftsszene in Sachsen-Anhalt betroffen haben, aus Halle gab der Informant Details zu geplanten Aktionen und Demonstrationen an die Behörde in Köln weiter. Zudem berichtete der V-Mann wohl über den Ku-Klux-Klan, "Blood & Honour" und Aufmärsche in Ostdeutschland. Die Entlohnung war ordentlich. Zeitungsberichten zufolge erhielt der Zuträger in zehn Jahren insgesamt 180.000 Euro Honorar.
Nach allem, was bekannt ist, war Thomas R. nur ein Spitzel von vielen, der NSU regelrecht umstellt von Informanten der Verfassungsschutz- und Landeskriminalämter. Zeitweise sollen die Beamten sogar erwogen haben, Beate Zschäpe als Quelle anzuwerben. Doch eine Zusammenarbeit mit der Extremistin scheiterte seinerzeit wohl an deren angeblichem Drogenkonsum.
In einem Geheimdokument des BKA aus dem Jahr 1997, das dem SPIEGEL vorliegt, erhoben die Polizisten schwere Vorwürfe gegen die Nachrichtendienste, ein knappes Jahr bevor das Jenaer Trio in den Untergrund ging. In dem "Positionspapier" kritisierten die Kriminalisten den Umgang mit den rechten V-Leuten. Kern der Aussage: Die Spitzel wirkten als Brandstifter und schaukelten sich gegenseitig hoch. Der Verfassungsschutz bekämpfe die Neonazis nicht entschieden, sondern er schütze sie. Die Informanten seien so, wie die Dienste sie führten, kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems.
Auch Thomas R. mischte sehr lange massiv in der rechten Szene mit. Im extremistischen "Thiazi"-Forum soll er laut Antifa noch wenige Wochen vor seiner Enttarnung geschrieben haben: "Wenn wir an der Macht sind (…) wird auch unsere Stunde kommen, wo wir nicht mehr die sein werden, die geknüppelt werden!"