Aus Sicht der Gerichte können Sicherungsverwahrte erst dann damit rechnen frei zu kommen, wenn sie eine langjährige Therapie absolviert haben. An dieser Stelle soll die aktuelle Situation in diesem Bereich näher beleuchtet werden.
Sicherungsverwahrung
Von den Nationalsozialisten mit dem “Gewohnheitsverbrechergesetz“ vom 24.11.1933 eingeführt, erlaubt es der Justiz, Menschen auch dann weiterhin in Haft zu halten, wenn diese ihre Strafe längst verbüßt haben. Bis 1998 musste die SV nach spätestens zehn Jahren beendet werden; seit einer Gesetzesänderung der damaligen CDU/FDP-Koalition kann aber die SV lebenslang vollstreckt werden.
Persönlichkeits“störungen“
Nach aktuellen Untersuchungen (vgl. Prof. Kury in 'Behandlung gefährlicher Straftäter-Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse', S.57) muss davon ausgegangen werden, dass rund 60 Prozent der Inhaftierten eine Persönlichkeitsstörung aufweisen. Nach der verbreiteten Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation) wird unter einer Persönlichkeitsstörung ein “tief verwurzeltes, anhaltendes Verhaltensmuster“ verstanden, welches “sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen“ äußert. Es geht um "abnorme Verhaltensmuster" die meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden sind (vgl.Prof.Venzlaff/Prof.Pfäfflin,"Persönlichkeitsstörungen" in: "Psychatrische Gutachten", 4.Auflage: S.248 ff). Viele haben schon von Borderline gehört, oder der paranoiden PS. Im Bereich der Gefängnisse wird dann vielfach die antisoziale/dissoziale PS diagnostiziert.
Einfluss der "Störung" auf Straffälligkeit
In aller Regel wird unterstellt, dass die Persönlichkeitsstörung wesentlichen Einfluss auf die Straffälligkeit gehabt hat, bzw. künftig weiterhin haben wird. Wenn man also diese "Störung" erfolgreich behandelt, so die Vorstellung, reduziert sich auch das Risiko erneuter Straffälligkeit. An dieser Vorstellung gibt es - zu Recht – nachhaltige Kritik; jedoch gebe ich hier nur den herrschenden Meinungsstand wieder. Wird sich, was der Fall ist, fast ausschliesslich auf die Persönlichkeit des Inhaftierten konzentriert, geraten all jene Faktoren, die die Straffälligkeit zumindest begünstigt, vielleicht aber sogar verursacht haben, gänzlich aus dem Blick; d.h. Kriminalität wird individualisiert,anstatt als eingebettet in die komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge wahrgenommen zu werden.
Therapieprogramme
Wie auch in psychosomatischen oder psychatrischen Kliniken üblich, wird mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen versucht, auf die KlientInnen einzuwirken:Einzel-, wie Gruppentherapie, mal- und musiktherapeutische Sitzungen, soziales Kompetenztraining, Entspannungstechniken (wie autogenes Training), angeleitete Freizeitgruppen, gemeinsames Kochen und Essen. Beleuchtet und bearbeitet werden das Gesprächsverhalten, Selbst-und Fremdwahrnehmung, Stressmanagment, Kontakt- und Kommunikationsverhalten, Risikosituationen (die in der Vergangenheit zu Straftaten führten), die Opfer-Empathie soll gestärkt werden (ein erster Schritt das Verfassen eines "Opferbriefes", d.h. eines Briefes an das/die Opfer; wobei der Brief nicht tatsächlich abgeschickt wird, sondern dann in Gruppen- und Einzelgesprächen analysiert wird).
All das geht aber nicht, wie heute im Rahmen von stationären Klinikaufenthalten in Freiheit üblich, binnen weniger Wochen; sondern die Therapieprogramme erstrecken sich über -meist- viele Jahre.
Erfolgsuntersuchungen
Wie erfolgreich sind nun solche hochkomplexen Interventionen?
Rückfalluntersuchungen weisen eine hohe Zahl an erneuter Straffälligkeit im Allgemeinen nach. Rückfallzahlen von bis zu 80 Prozent werden genannt (Mushoff, “Strafe-Maßregel-Sicherungsverwahrung“, Seite 157). Das betrifft jedoch (lediglich) die Gesamtschau; d.h. wenn man alle aus der Haft entlassenen Inhaftierten betrachtet, egal ob Erwachsene oder Jugendliche, “Kurzstrafer“ oder Menschen die nach langer Haft frei gekommen waren.
Betrachtet man lediglich jene Gruppen von Gefangenen die eine Sozialtheraphie erhalten haben, die also in ihrer Haftzeit therapeutisch behandelt wurden, gibt es zumindest einen geringen Effekt. In einer Studie wurde festgestellt, dass die Teilnehmer einer solchen Therapie um insgesamt 8 Prozent weniger rückfällig wurden (Mushoff, a.a.O. Seite 511). Nach einer Metaanalyse (d.h. es wurden verschieden Untersuchungen zu diesem Thema ihrerseits untersucht und zusammengefasst) ergab sich, dass sozialtherapeutische Maßnahmen wirksam sind, zumindest im Vergleich zu einem bloßem Verwahrvollzug (vgl.Prof. Egg u.a. in “Behandlung gefährlicher Straftäter“, Seite 321 ff); wobei die Effekte am deutlichsten sind, während der ersten Zeit nach der Haftentlassung. Nach etwa vier oder fünf Jahren gibt es dann keinen feststellbaren Unterschied zwischen jenen Ex-Gefangenen die Therapie erhalten haben und jenen die keine erhielten.
Kritik und Ausblick
Folgt man den weit verbreiteten Vorurteilen über Inhaftierte, speziell den Sicherungsverwahrten, bringt “Therapie“ am Ende nichts. Am deutlichsten positioniert sich zur Zeit die vormalige Leiterin der 'Sozialtherapeutischen Abteilung' in der JVA Straubing (Bayern) Dipl.- Psychologin Susanne Preusker. Sie wurde vor einigen Jahren von einem wegen Sexualmordes einsitzenden, zu lebenslanger Haft verurteilten Patienten als Geisel genommen und vergewaltigt. Seitdem vertritt Preusker pointiert (u.a.im FOKUS, in Talkshows und Büchern) die Forderung “Lasst sie niemals frei!“. Ihrer Ansicht nach sei der Therapieoptimismus völlig übertrieben; gerade Sicherungsverwahrte seien nur durch dauerhaftes Wegsperren zu entschärfen. Diese These hat sie kürzlich auch zum Gegenstand eines Romans gemacht und gibt dort tiefe Einblicke in die Denkstrukturen von GefängnispsychologInnen ('Die Verwahrten', erschienen im Krimythos-Verlag, ISBN 978-3-943160-08-6).
Im Ausgangspunkt ist Preusker und ihren MitstreiterInnen sogar recht zu geben: die Therapiewütigkeit und Therapiehörigkeit ist völlig überzogen. Die Wirksamkeit von Therapien auch eher dürftig. Nur rechtfertigt dies gerade nicht, die Betroffenen ihr Leben lang weg zu schließen, denn es gibt genügend Belege dafür,dass gerade die spezielle Gruppe der angeblich so extrem gefährlichen Sicherungsverwahrten, bei nüchterner Betrachtung viel weniger “gefährlich“ ist. So belegt eine 2010 publizierte Studie (Michael Alex, 'Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtspolitisches und kriminalpolitisches Debakel'), dass von 77 als extrem gefährlich eingestuften Insassen - man hatte für sie die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt, die aus verschiedensten, meist rechtlichen Gründen frei gelassen werden mussten - 50 während des Untersuchungszeitraums nicht straffällig wurden. Zehn wurden zu Geldstrafen verurteilt, fünf zu Strafen mit Bewährung und lediglich 12 zu Haftstrafen ohne Bewährung (u.a. wegen Betrug, Drogenbesitz). Von diesen 12 Verurteilten, wurden allerdings drei wegen ihrer neuen Taten dann zu Sicherungsverwahrung verurteilt. Trotzdem bedeutet das: die Mehrheit wurde gerade nicht straffällig, und das obwohl Haftanstalten und in aller Regel auch diverse Gutachter eine sehr hohe Rückfallgefahr für jeden Einzelnen prognostiziert hatten.
Die therapeutischen Maßnahmen mögen sicherlich in Einzelfällen für Verwahrte (oder auch Gefangene) sinnvolle Erkenntnisgewinne zur Folge; mehrheitlich handelt es sich jedoch, bei nüchterner Betrachtung, um bloße “Beschäftigung“,etwas zynisch formuliert, “Bespaßung“ der Verwahrten, um die Freilassung versagen zu können, da es immer noch dieses oder jenes “aufzuarbeiten“ gilt. Indem man aber die Weggeschlossenen kontinuierlich in diversen Maßnahmen beschäftigt, haben sie zu tun, sind leicht zu führen (denn sie wissen: ohne die Teilnahme sinkt die sowieso schon geringe Wahrscheinlichkeit entlassen zu werden, fast gegen Null) und bekommt seitens der Justiz immer wieder neues Material, auf welches dann ungünstige Sozialprognosen gestützt werden können. Denn eine Schweigepflicht wie man sie in Freiheit als selbstverständlich ansieht, gibt es im Vollzugsbereich nur sehr, sehr marginal. In der Therapie gewonnene Erkenntnisse dürfen nicht nur weiter gegeben werden, wenn sie z.B. prognostisch relevant sind; sie müssen zwingend weiter gegeben werden.
Würde man die heute ca. 500 Sicherungsvewahrten frei lassen, wäre zu erwarten, dass über 250 von ihnen gar nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung treten werden, denn in aller Regel handelt es sich um lebensältere, oftmals auch körperlich kranke Verwahrte, die nach Jahrzehnten der Inhaftierung,die noch verbleibenden Jahre bis zu ihrem Tod, in Ruhe in Freiheit leben wollen.
Von den 500 Verwahrten würden rund 75 Straftaten begehen, die sie neuerlich in ein Gefängnis führen, jedoch mehrheitlich wegen Bagatelldelikten. Aber von rund 20 Ex-Verwahrten müsste man, statistisch gesehen, erwarten, dass sie erneut so schwer rückfällig würden, dass erneut Sicherungsverwahrung verhängt werden müsste. Diese 20 bestimmen letztlich die Diskussion und führen mit dazu, dass hunderte Menschen über Jahre und Jahrzehnte, unter Umständen bis zu ihrem Tod, eingesperrt bleiben.
Und noch gar nicht wurde betrachtet, ob nicht diese Zahl von 20 schweren Rückfällen erheblich dadurch gemindert werden könnte, dass man sie nach der Entlassung adäquat betreut und sie nicht weitestgehend sich selbst überlässt (so wie Ende 2013 Frau F., vgl. https://linksunten.indymedia.org/de/node/102741 ); d.h. durch das Unterlassen von angemessener Betreuung und Begleitung faktisch Rückfälle fördert.
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV-Abt.), Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg