Proteste setzen Hollande in Frankreich unter Druck

Erstveröffentlicht: 
14.11.2013

Blockierte Autobahnen, streikende Handwerker und ein hilfloser Regierungschef Hollande: In Frankreich stehen die Zeichen auf Sturm. Die Proteste gegen die Steuererhöhungen werden zur Massenbewegung. Von Gesche Wüpper, Paris

 

"Explosiv", sei das Klima überall, "sehr angespannt". So beschreibt Gewerkschaftsführer Thierry Lepaon von der kommunistischen CGT die Stimmung in Frankreich. Und damit steht er nicht allein. Angesichts der sich ausweitenden Proteste gegen den hohen Steuerdruck warnen immer mehr Politiker und Gewerkschaftsvertreter davor, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone von sozialen Unruhen erfasst werden könnte.

Tatsächlich stehen die Zeichen auf Sturm, seit die bretonische Protestbewegung gegen die inzwischen aufgeschobene, aber offiziell nicht aufgehobene Ökomaut für Lastwagen auch andere Regionen erfasst hat. Mittwoch mobilisierte zudem die Protestbewegung "Les Sacrifiés" ("die Opfer") ihre Mitglieder gegen die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Zu ihnen gehören Bäcker, Schlachter, Schuster, Klempner und andere Handwerker. Donnerstag dann wollen Lehrer streiken, um so gegen eine Reform zu protestieren, die die Rückkehr in die Schulen zum in Frankreich an Grundschulen traditionell schulfreien Mittwoch vorsieht.

Staatspräsident François Hollande und seine sozialistische Regierung geraten durch die Protestbewegungen immer mehr unter Druck. Selbst wenn Hollande die Regierung umbilden sollte, wie inzwischen immer mehr Stimmen fordern, schwindet sein Spielraum, Reformen durchzuführen.

Nachdem letzte Woche erst die EU-Kommission Zweifel an seinem wirtschaftspolitischen Kurs anmeldete und ihm die Ratingagentur Standard & Poor's wenige Tage später ein schlechtes Zeugnis ausstellte, wurde er Montag auch noch als erster Präsident Frankreichs während der Feierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkriegs von Gegnern der von ihm eingeführten Homosexuellen-Ehe ausgebuht. Inzwischen haben nur noch 21 Prozent der Franzosen eine positive Meinung von Hollande.

Zwei von drei Franzosen wollen protestieren

Dagegen ist die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen davon überzeugt, dass sich die Proteste weiter ausdehnen werden. So glauben laut einer Umfrage von Tilder, LCI und Opinionway 72 Prozent der Franzosen, dass die soziale Unzufriedenheit zu einer bedeutenden Protestbewegung führen wird.

In einer von CSA für den Wirtschaftsfernsehsender BFM TV durchgeführten Umfrage erklärten sich zwei von drei Franzosen bereit, gegen weitere Steuererhöhungen auf die Straße zu gehen.

Gewerkschaftsführer Jean-Claude Mailly von Force Ouvrière spricht bereits von einem "Gefühl der Revolte", das sich ausbreite. "Das ist wie ein Vulkan", sagt er. "Es gibt Rauch, kein Erdbeben, aber darunter brodelt es."

Die "Bonnets Rouges", wie sich die Protestbewegung gegen die Ökomaut in der Bretagne in Anlehnung an die roten Mützen nennt, die ihre Vorfahren während der bretonischen Revolution gegen die Steuern des Ancien Régime 1675 trugen, planen längst neue Aktionen.

Bereits am Wochenende schlossen sich ihren Protesten gegen die Ökomaut für Lastwagen andere Regionen an. So blockierten Lastwagenfahrer bei Lyon, bei Martigues in der Nähe von Marseille, aber auch in Nordfrankreich Autobahnen. Aus Wut zerstörten Demonstranten mehr als 50 Ökomaut-Kontrollsäulen und Radaranlagen im gesamten Land. Das Verkehrsministerium schätzt den Schaden auf mindestens eine Million Euro.

Zahl der Restrukturierungspläne steigt

Solche Ausschreitungen lehnen die in der Protestbewegung "Les Sacrifiés" zusammengeschlossenen Handwerker ab. Sie setzen auf friedfertige Demonstrationen und Unterschriftensammlungen, um die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verhindern. Diese könnte zu einem Rückgang der Kundschaft führen und sie so einen langsamen Tod sterben lassen, fürchten sie.

Dabei würden bereits jetzt pro Stunde in Frankreich sechs kleine Betriebe verschwinden, klagen sie. Nach Angaben der Banque de France ist die Zahl der Firmen mit weniger als elf Mitarbeitern, die pleite gehen, zwischen August 2012 und August dieses Jahres um 4,2 Prozent gestiegen.

Insgesamt 53.683 solcher kleinen Betriebe mussten innerhalb dieser Zeit Konkurs anmelden. Sie machten damit den Großteil der 62.206 Firmenpleiten aus.

Damit nicht genug, denn auch die Zahl der Restrukturierungspläne nimmt zu. Nach Angaben der Marktforschungsgesellschaft Altares ist die Zahl der Sozialpläne in den ersten neun Monaten des Jahres um 16 Prozent auf 736 gestiegen.

Staat soll Rolle der Banken übernehmen

Zuletzt kündigte der Industriekonzern Alstom an, 1300 Stellen in Europa abbauen zu wollen, davon rund 100 in Frankreich. Der Versandhändler La Redoute kündigte ebenfalls letzte Woche an, 700 Stellen abbauen zu wollen. Bei dem Haushaltselektrogeräte-Hersteller Fagor-Brandt, dessen spanische Mutter gerade Konkurs anmeldete, dürften weitere 1870 Arbeitsplätze wegfallen.

Reindustrialisierungsminister Arnaud Montebourg will nun, dass der Staat die Rolle der Banken übernimmt, um von der Pleite bedrohte Unternehmen zu retten. Er stellte Mittwoch einen "Widerstandsplan" für mittelgroße Unternehmen in Schwierigkeiten mit mehr als 400 Mitarbeitern im Umfang von 380 Millionen Euro vor. "Da das Bankensystem nicht seine Arbeit macht und wir es mit Unternehmen zu tun haben, die rentabel sein können, wird der Staat Kredit aufnehmen, um ihnen Geld zu leihen", sagte er.

Dafür will die sozialistische Regierung den wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsfonds FDES wiederbeleben. Er ist derzeit mit 80 Millionen Euro dotiert und stammt aus dem Jahr 1948. Der FDES ermöglicht es, Unternehmen Kredite zu niedrigeren Zinsen zu geben als sie am Markt üblich sind.

Regierung benötigt zusätzliche Einnahmen

Montebourg will nun einen Zusatzantrag zum Haushaltsplan 2014 stellen, der es der Regierung erlaubt, am Markt 300 Millionen Euro für den Fonds aufzunehmen. Er kündigte zudem an, dass er von den Banken eine Erklärung verlangen will, warum sie weniger Kredite vergeben, aber die Dividenden erhöhen.

Aus Sicht des Reindustrialisierungsministers, der mit seinen klassenkämpferischen Parolen oft für Schlagzeilen sorgt, ist Brüssel schuld an dem Steuerfrust der Franzosen. Die Proteste richteten sich gegen die Steuerhöhungen, erklärte er. Doch die Regierung benötige eben zusätzliche Einnahmen, um die von der EU gewünschte Defizitbekämpfung durchführen zu können, deutete er an.