Parteiführer der Nazipartei in Handschellen abgeführt
Plötzlich ging alles sehr schnell. Am Samstagmorgen um 7 Uhr klingelte die Antiterrorpolizei im nördlichen, recht noblen Athener Vorort Pefki an der Haustür. Parteichef Nikos Michaloliakos öffnete noch im Schlafanzug persönlich die Tür. "Was wollen Sie?" Das sind die überlieferten Worte des Generalsekretärs der Goldenen Morgenröte(Chrysi Avgi). "Kriminalpolizei - Antiterroreinheit. Sie sind festgenommen. Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit", gab es als aus Fernsehkrimis bekannte Antwort.
Damit begann ein denkwürdiger Samstag an dessen Ende fast die komplette Parteiprominenz der Chrysi Avgi in Handschellen zur Schau gestellt wurde. 10 Morde oder Mordversuche, Schutzgelderpressung, Bombenlegungen, rassistische Übergriffe sowie zahlreiche weitere Straftaten bis hin zur Verwicklung in einen Bankraub stehen in der Anklageschrift. Der vorgelegteErmittlungskatalog reicht bis ins Jahr 1987 zurück.
Verhaftungen zur rechten Zeit
Warum jetzt? Seit dem Mord an dem Musiker Pavlos Fyssas erscheint Griechenland nicht mehr so wie vorher. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass mit Fyssas zum ersten Mal ein Grieche Mordopfer der jüngeren rassistischen Geschichte wurde. Allein der fremdenfeindliche Rassismus konnte nicht den Ausschlag geben, denn dieser war bereits Thema des etablierten Politikbetriebs (Illegale Einwanderung wird zum reißerischen Wahlkampfthema).
Failos Kranidiotis, nach eigenem, nie dementiertem Bekunden ein enger Freund des amtierenden Premierministers Antonis Samaras, hatte schließlich selbst im Wahlkampf 2012 angeregt, Immigranten doch dauerhaft per Tätowierung zu markieren (Griechenland: Markiert Immigranten dauerhaft!). Selbst die Tatsache, dass Parteisprecher Ilias Kasidiaris vor laufenden Kameras klar machte, was er unter einem politischen Dialog versteht (Griechenland: Mit Tempo in Richtung Weimarer Verhältnisse, schien die Strafverfolger des Landes nicht zu alarmieren.
Das Parteienstatut der "Völkischen Verbindung Goldene Morgenröte", wie die politische Partei in Abgrenzung zum Verlag "Goldene Morgenröte" offiziell heißt, war seit langem bekannt. Aus dem Periodikum "Goldene Morgenröte" hervorgegangen, hatte die Partei sich Regeln gegeben, welche denen der Vorbildpartei, der NSDAP in nichts nachstehen . Eine straffe, militärische Organisation, das Führerprinzip des unbedingten Gehorsams sowie "Blut und Ehre" waren sowohl dem obersten Gericht, dem Areopag, als auch der gesamten Politik wohlbekannt.
Das Horst-Wessel-Lied dient als Parteilied der Vereinigung, die sich weigert, den Begriff Nazi zu akzeptieren. Vielmehr besteht sie darauf, dass sienationalistisch-sozialistisch sei. Wo genau sich der Unterschied zwischen Nazi oder nationalistisch-sozialistisch ist, konnte auch innerhalb der Periode seit dem Parlamentseinzug im Mai 2012 bis heute nicht genau geklärt werden. Trotzdem ließ das zuständige Gericht, der Areopag. die Partei als nicht verfassungsfeindliche Gruppierung zu Wahlen zu und verschaffte ihr damit eine demokratische Legitimation.
Bereits 1998 hatte es einen blutigen Anschlag auf einen Griechen gegeben. Dimitris Kousouris konnte seinerzeit die lebensgefährlichen Verletzungen gerade noch überleben. Ins Gefängnis wanderte Periandros Androutsopoulos, der damalige Parteivize der Chrysi Avgi. Androutsopoulos nahm vor Gericht zwar nicht die gesamte Schuld auf sich, er verriet jedoch niemanden. Nach seiner Haftentlassung wurde er gesprächiger und verkündete, dass er die gesamte Parteiführung hinter Gitter bringen würde, wenn er den Mund aufmachen würde. Enttäuscht von seinen einstigen "Mitstreitern", wie sich die Parteimitglieder untereinander nennen, hat Androutsopoulos nunmehr seine eigene Bewegung.
Eventuell war die etablierte Politik erschreckt ob der stetig steigenden Umfragewerte der Chysi Avgi. Möglicherweise mag es auch eine Rolle gespielt haben, dass Griechenland nun vor einem dritten Rettungspaket steht. Kurzum, es passte offenbar diesmal mit einem Verbot der seit langem für Gewalttaten, rassistischen Duktus und aufrührerischen Sprüchen bekannten Partei. Jedoch sind Parteiverbote in Griechenland faktisch nicht möglich. Stattdessen wählte die Regierung den Umweg über die Einstufung der Chrysi Avgi als verbrecherische Organisation.
Dieser legale Trick erlaubt es, auch ohne Aufhebung etwaiger Immunitäten Parteimitglieder und Abgeordnete zu verhaften. Bürgerschutzminister Nikos Dendias hatte persönlich beim Areopag einen entsprechenden Antrag eingereicht. Dendias trat noch am Samstagabend in einer Ansprache vor die Kameras und betonte, dass er keinerlei Gesetzesübertretungen erlauben würde. Vielmehr habe stets betont, dass er dem Treiben der Chrysi Avgi nicht teilnahmslos gegenüber stehen würde.
Die rechtlichen Grundlagen
Die Einstufung der Partei als verbrecherische Organisation gibt der Staatsanwaltschaft die Mittel in die Hand, sämtliche Parteimitglieder, Sympathisanten oder deren Angehörige zu überprüfen. Es wurde im Laufe der vergangenen Woche bekannt, dass im Bereich der Hafenstadt Piräus bereits vor dem Mord an Fyssas sämtliche Telefone in einer Rasterfahndung überwacht wurden. Jedem, der in einer verbrecherischen Organisation an der Planung und Durchführung auch einfacher Verbrechen beteiligt ist, droht eine Mindeststrafe von zehn Jahren Haft. Die Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation erlaubt nach griechischem Recht die sofortige Festnahme und die Verurteilung vor einem Schnellgericht.
Sollten sich darüber hinaus weitere Gesetzesübertretungen mit höheren Strafen ergeben, werden diese natürlich addiert. Am heutigen Samstag wurden fünf Abgeordnete verhaftet, dazu kamen fünfzehn weitere Parteimitglieder, Sympathisanten, ein Polizist und eine Polizistin. Der Polizist soll tatkräftig mitgeholfen haben. Er war beim Mord an Fyssas anwesend. Die Polizistin gab per Telefon Warnungen an Parteimitglieder heraus. Sie informierte die Partei über laufende Ermittlungen. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler ein wahres Waffenarsenal vor. Allerdings mussten sie vorher das Haus selbst suchen. Die Beamtin hatte bei ihrem Dienstherrn eine falsche Wohnadresse hinterlegt.
Zu den verhafteten Abgeordneten gehören neben Parteiführer Nikos Michaloliakos der Pressesprecher der Partei, Ilias Kasidiaris, Ilias Panagiotaros, der Abgeordnete von Piräus, Giannis Lagos, und Nikos Michas. In Lagos lokalem Herrscherbezirk liegt Keratsini, wo Pavlos Fyssas von Giogos Roubakias ermordet wurde. Roubakias, den niemand in der Partei mehr kennen möchte, wurde vor und nach dem Mord von Telefonanschlüssen der Chrysi Avgi aus angerufen.
Ein weiterer Abgeordneter, Christos Pappas, ist weiterhin flüchtig. Er gab griechischen Radiosendern Interviews, hält sich aber versteckt. Pappas rief auch die Antiterroreinheit der Polizei an. Dort versprach er, sich zu stellen, machte das Versprechen aber bislang nicht wahr.
Unabhängig von dieser Verhaftungswelle werden im gesamten Land Mitglieder der Partei für diverse Gesetzesübertretungen verhaftet. So erwischte es in Loutsa, einem Badeort nahe Athen, drei Mitglieder, die mit illegalem Waffenbesitz auffielen .
Griechische Gerichtspraxis
Vor dem Büro der Staatsanwaltschaft Athens erläuterte ein Anwalt zweier Verhafteter Verdächtiger die Vorgehensweise. Einer seiner Mandanten wurde festgenommen, weil er am Tag des Mordes kurz vor der Tat mit einem Mitglied der Chrysi Avgi ein Telefonat führte. Der beschuldigte Mann ist nach Bekunden des Anwalts keineswegs Mitglied der Partei, sondern ein Jugendfreund und direkter Nachbar eines in die Tat verwickelten Parteimitglieds.
Der zweite Mandant hat eine etwas diffizilere Ausgangslage. Er gehört zu den nach Aussage des Anwalts 250.000 eingetragenen Mitgliedern oder Freunden der Partei. Knapp eine Stunde vor dem Mordanschlag wurde er telefonisch von der Partei kontaktiert. Man beorderte ihn an den späteren Tatort, denn "es gibt da ein Problem". "Euer Problem ist nicht mein Problem", will der jetzige Haftinsasse dem Anrufer geantwortet haben. Der Untersuchungsrichter ließ sich jedoch nicht erweichen. Sämtliche der am Samstag Verhafteten wurden zunächst ins Athener Polizeipräsidium verbracht. Dort folgten die üblichen erkennungsdienstlichen Untersuchungen. Zwischenzeitlich wurde im Parlamentsgebäude der Flur gesperrt, in dem sich die Büros der Partei befinden. Danach ging es gegen 19 Uhr zur Staatsanwaltschaft des Bezirks Athens und von dort zum Untersuchungsrichter.
Dort wurde jedem eine personifizierte Anklage verlesen. Wie in Griechenland sehr oft üblich, baten die Angeklagten um Vorbereitungszeit für ihre Verteidigung. Am Dienstag und Mittwoch müssen sie sich nun erneut dem Untersuchungsrichter stellen. Ein interessanter Nebenaspekt der Ermittlungen ist, dass Parteichef Nikos Michaloliakos die Parteikonten auf den eigenen Namen laufen ließ. Bei seiner Festnahme am Samstagmorgen hatte er mehr als 41.000 Euro Bargeld im Haus.