Anhänger der rechten Chrysi Avgi ermordet antifaschistischen Hip Hopper

Erstveröffentlicht: 
19.09.2013

Der Mord führte zu einem politischen Chaos und zu Krawallen in griechischen Städten

In der Nacht zum Mittwoch ermordete ein fünfundvierzigjähriger Anhänger der Chrysi Avgi in Keratsini den vierunddreißigjährigen Hip Hop Musiker Pavlos Fyssas mit zwei Messerstichen. Fyssas, der unter dem Pseudonym Killah P. oder Killah Past auftrat, war als Antifaschist bekannt. Als Hafenarbeiter war er bis zu seiner Entlassung vor zwei Jahren gewerkschaftlich organisiert. Nach dem Mord kam es noch in der Nacht zum Mittwoch zu spontanen Versammlungen antifaschistischer Gruppen sowohl im Krankenhaus von Nikaia, bei Piräus als auch am Ort des Geschehens. Am Mittwoch eskalierte die Situation. Unter diesem Eindruck verblasste sogar die Tatsache, dass sich das Land in einem achtundvierzigstündigen Streik des Öffentlichen Dienstes und eines Dauerstreiks der Sekundarschullehrer befindet.

 

Über die Chronik des Tathergangs gibt es zahlreiche Augenzeugenberichte. Demnach verfolgte Fyssas im Beisein seiner Freundin und einiger Kumpel das Champions-League-Spiel zwischen Olympiakos Piräus und Paris St. Germain in einem Cafe im Stadtteil Keratsini bei Piräus. Das wurde auch von Anhängern der Chrysi Avgi betreten. Die beiden Gruppen beäugten sich misstrauisch. Aus den Reihen der Freunde von Fyssas fiel eine abfällige Bemerkung. Daraufhin schickten die Anhänger der Rechtsextremen per SMS Botschaften und verschwanden.

 

Beim Verlassen des Lokals wurde Fyssas von einigen Motorradfahrern angehalten. Den Zeugenaussagen gemäß handelte es sich um bis zu 60 Personen, realistischer klingende Aussagen benennen 30 bis vierzig Personen. Die Gruppe trug den typischen Look mit Tarnhosen oder Jeans und schwarzen T-Shirts mit Aufdruck Chrysi Avgi oder dem Mäander, der als Parteisymbol fungiert. Mindestens eine Person, der Täter, war mit einem Auto und nicht mit dem Motorrad unterwegs.

 

Einer aus der Gruppe, der spätere Mörder, trat an Fyssas heran und fragte ihn, in welcher Straße er sich befände. Dann stach er zwei Mal zu. Ein Stich traf das Herz, der andere den Bauchbereich. In Sichtweise des Geschehens befanden sich sechs Beamten der Motorradstreife DIAS, die jedoch nicht eingriffen.

 

Der Freundin des Opfers sagten die Beamten, dass die Rechtsextremen in der Überzahl seien, so dass ein Eingreifen nicht möglich sei. Später trafen weitere Polizisten ein und fanden Fyssas noch bei Bewusstsein an.

 

Die Festnahme des Mörders

 

Fyssas war noch in der Lage, einer Beamtin eine Beschreibung des Täters zu geben. Er verblutete jedoch buchstäblich am Tatort. Den Zeugenaussagen gemäß hatte sich der Rettungsdienst dreißig bis vierzig Minuten verspätet. Die Rettungskoordination bemerkt dazu, dass sie zunächst einen freien Krankenwagen verständigte, der 18 Minuten gebraucht habe. Da dieser jedoch nicht ausreichend ausgestattet war, wurde ein zweiter bestellt, der aus dem nahe gelegenen Krankenhaus innerhalb von sieben Minuten eintraf. Insgesamt bemerkt die Rettungskoordinationsstelle, dass vom Anruf bis zum Eintreffen des korrekt ausgestatteten Rettungswagen, also von 00:06 h bis 00:27 h, einundzwanzig und nicht dreißig Minuten vergangenen seien. Direkt nach dem Eintreffen im Krankenhaus verstarb Fyssas.

 

Zwischenzeitlich hatte die Polizei den Täter gefasst. Der Fünfundvierzigjährige gestand nicht nur den Mord, er gab auch an, der Chrysi Avgi anzugehören. Der Mann wurde mitsamt seiner Gattin, seiner Cousine und dem Ortsgruppenvorsitzenden der Chrysi Avgi in Gewahrsam genommen. Das Tatmesser konnte nahe des Tatorts sichergestellt werden. Die Angehörigen des Täters wurden unter dem Vorwurf der "eidlichen Falschaussage zur Verdeckung einer Straftat" verhaftet. Beim Ortsgruppenvorsitzenden waren Waffengefunden worden.

 

Die Ironie der Geschichte ist, dass der Täter als Kind von ehemaligen Gastarbeitern in Deutschland geboren wurde. Nachdem er vor zwei Jahren seinen Job verlor, soll er zusammen mit seiner Gattin, die Kassenwärtin der Ortsgruppe ist, auf der Gehaltsliste der Partei gelandet sein. Zeugen sagenaus, er habe Schlägertrupps angehört, die nächtlich Migranten jagten. Dies würde erklären, warum die Ärzte eine "professionelle Tatausführung" attestierten.

 

Die politische Reaktion

 

Den gesamten Vormittag über wurden die Parteibüros der Chrysi Avgi von Polizeikräften durchsucht. Dem Polizeibericht zufolge erhärtete sich die Behauptung, dass der Täter der Partei angehöre. Parteisprecher Ilias Kasidiaris sieht seine Partei in der Opferrolle. Er verurteilte die Tat und beschwerte sich über die seiner Ansicht nach illegalen Parteibürodurchsuchungen. Kasidiaris geht noch einen Schritt weiter, er droht allen, die behaupten, dass die Chrysi Avgi hinter dem Mord stecke, mit Klagen wegen übler Nachrede.

 

Im Parlament selbst kam es zu tumultartigen Dialogen. Stavros Kontonis vom SYRIZA sprach die Partei direkt an, "Sie sind schäbige Nazis und Advokaten von Auschwitz. Sie müssen sich vor den Opfern rechtfertigen." (Kontonis, der mehrmals von Seiten der Fraktion der Chrysi Avgi unterbrochen wurde, verwies darauf, dass die Weigerung der Nea Dimokratia, ein Antirassismusgesetz zu verabschieden (Es knirscht im Gebälk des griechischen Regierungsgebildes), Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen gewesen sein. Darüber hinaus erinnerte er daran, dass in der Nea Dimokratia öffentlich über eine Koalition mit der Chrysi Avgi nachgedacht wurde.

 

Im Mittelpunkt der parlamentarischen Angriffe der Rechtsextremen stand jedoch der Fraktionsvorsitzende der Nea Dimokratia Makis Voridis. Voridis war in seiner Jugend selbst Mitglied von Schlägertrupps und zeitweiliger Parteigenosse des Generalsekretärs der Chrysi Avgi, Nikos Michaloliakos. Der Fraktionssprecher der Chrysi Avgi erinnerte Voridis mit sichtlichem Vergnügen an die Vergangenheit in den achtziger Jahren.

 

Plötzlich reagierte auch die Staatsanwaltschaft, die zuvor tagelang untätig geblieben war. Erst am vergangenen Wochenende hatten Parlamentarier der Rechtsextremen bei einer Gedenkfeier in Meligala den örtlichen Bürgermeister sowie weitere Kritiker der Partei, darunter auch Greise, unter Androhung von Gewalt von der Gedenkstätte vertrieben. Dort hatten linke Partisanengruppen während des zweiten Weltkriegs einen blutigen Vergeltungsschlag gegen vermeintliche und tatsächliche Kollaborateure der Nazibesatzung durchgeführt. Des wenig rühmlichen Massakers gedenken nicht nur Rechtsextreme, sondern in der Regel sämtliche Anhänger konservativer Ideologien. Die Chrysi Avgi erhebt jedoch offenbar den Alleinvertretungsanspruch. Nun ermitteln die Strafverfolgungsbehörden, welche der vielseitigen Gesetzesübertretungen sie zur Anklage bringen kann.

 

Dies wurde im politischen Athen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Nicht, dass sich jemand außer den Anhängern des Rechtsextremismus fände, der gegen die Strafverfolgung einen Einwand hätte. Ebenso noch ohne juristisch spürbare Folgen blieb ein wenige Tage zuvor erfolgter Überfall eines Schlägertrupps. Anhänger der Chrysi Avgi hatten am vergangenen Freitag ein Jugendfestival der Kommunisten im Bezirk Piräus überfallen und zahlreiche Anwesende mit Knüppeln traktiert. Mehrere Opfer mussten stationär ins Krankenhaus. Zeugen des aktuellen Mordanschlags meinen, unter den Chaoten einige der Angreifer Gesichter der Schläger vom Freitag wieder erkannt zu haben.

 

Die spürbare Zaghaftigkeit der Aufnahme von Ermittlungen gibt zu denken. Denn Tags zuvor, am Dienstag, war gegen den Parteichef der Unabhängigen Griechen postwendend ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Kammenos hatte, wie am Dienstag bekannt wurde, gegenüber einer Gruppe von Bürgern geäußert, sie sollten ihren Bürgermeister, Christos Pachtas, lynchen.

 

Pachtas, Bürgermeister der Stadt Aristotelis auf Chalkidiki, hatte den Einwohnern von Neochori monatelang verschwiegen, dass das dortige mit Arsen verseuchte Trinkwasser gesundheitsgefährlich ist. Ein Zusammenhang mit dem ebenfalls Arsen basierten Goldabbau in der Region ist noch nicht manifestiert. Dennoch sah sich Kammenos berechtigt, zum, wie er nach der Einleitung der Ermittlung ergänzte, "politischen Lynchen" aufzurufen.

 

Die Reaktion auf den Straßen

 

Offenbar fühlte sich Kammenos so sehr als Opfer des politischen Systems der Herrschenden, dass er auf die Solidarität der demonstrierenden anarchistischen Gruppen hoffte. Denn entgegen aller Warnungen begab er sich zum Tatort des Mordes, um Blumen zu hinterlegen. Noch bevor er aus seinem Auto entstieg, riefen ihm die dort als Mahnwache stehenden Bürger zu, er möge sich von dannen machen, denn Politiker seien unerwünscht. Kammenos schlug auch dies in den Wind, stieg aus und wurde danach von einer Menschenmenge gejagt. Der Parteichef musste wegen zahlreicher Schlagwunden ins Krankenhaus. Noch am Abend konnte er entlassen werden.

 

Doch direkt bei seiner Entlassung legte Kammenos nach. Im Gesicht offenbar unverletzt, jedoch mit blutverschmiertem Hemd, rief er zu zivilem Ungehorsam auf. Er verlangte nach einer Nationalversammlung, welche seiner Meinung nach gemäß der Verfassung die Befreiung vom Joch der Troika und der gefährlichen politischen Situation geben könnte. Schließlich benannte er den Journalisten Manolis Kapsis, den Bruder des Ministers für das Staatsfernsehen, sowie den Chef des Radiosenders Skai namentlich als geistige Urheber des Angriffs auf seine Person. Prompt verklagte der Sender Skai Kammenos wegen übler Nachrede.

 

Unabhängig von diesem polischen Chaos geriet die Situation in zahlreichen Städten Griechenlands außer Kontrolle. In Thessaloniki führte eine eskalierende Solidaritätsdemo zu Geschäftsplünderungen und Zerstörungen. Büros der Chrysi Avgi wurden in Heraklion auf Kreta mit Molotowcocktails angegriffen. Eskalationen gab es auch in Patras auf dem Peloponnes, in Komotini, nahe der griechisch-türkischen Grenze im Norden des Landes und in Kalamata. Relativ friedlich blieb es in Serres, Kavala, Volos und Kozani.

 

Rund um den Tatort in Keratsini spielten sich bis in die Nacht hinein Straßenkämpfe ab. Direkt nach dem Angriff auf Kammenos waren erste Tränengasgranaten gefallen. Den Beobachtern und vor allem den überhaupt nicht an Krawall gewöhnten Anwohnern ergab sich ein vollkommen unübersichtliches Bild. Anarchisten marschierten in einem großen Demonstrationszug zu den nahe gelegenen Büros der Chrysi Avgi in Nikaia. Die kommunistische Gewerkschaft PAME mobilisierte parallel dazu einen weiteren Zug. Mit etwas Abstand fanden sich Gruppen, die SYRIZA zugehörig waren. Gleichzeitig versammelten sich am Tatort in der Tsaldari-Strasse Anwohner jeglichen Alters zusammen mit vermummten Anarchisten. In fast allen Straßen wurden Abfallcontainer als provisorische Straßensperren installiert und später zur Dämpfung des Tränengaseffekts in Brand gesteckt.

 

Geradezu surreal mutete an, dass viele Anwohner dies zunächst vom offenen Balkonfenster aus beobachteten. Erst später wurde ihnen klar, dass die Tränengasschwaden ein Atmen nahezu unmöglich machten. Fast skurril wirkte es, als ältere Anwohner auf die Straße traten und die dort Bürgersteige und Balkonverkleidungen als Wurfmaterial zurecht schlagenden vermummten Anarchisten aufriefen, doch mit der Sachbeschädigung aufzuhören.

 

Die ärgsten Ausschreitungen gab es in der Lambrakis Avenue. Dort, nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt, hatten sich einige offensichtlich Rechtsradikale nahe der Polizeistation verschanzt. Die Polizisten dienten ohnehin wegen der allseits monierten Untätigkeit in der Vornacht als Zielscheibe. Über mehrere Stunden flogen Steine von beiden Seiten. Schließlich bekamen die Beamten Verstärkung und rückten unter massivem Tränengas- und Blendgranateneinsatz von vier Seiten sowohl auf die weiter oben wartenden friedlichen, als auch auf die Steine und Molotowcocktails werfenden Demonstranten zu.

 

Jeder, der eine Gasmaske auf hatte und dessen die Beamten habhaft werden konnten, wurde festgenommen oder zumindest verprügelt. Mindestens ein Demonstrant verlor am Abend ein Auge. Zahlreiche Fotoreporter dagegen lediglich ihr Arbeitsgerät. Es kam zu 130 Festnahmen von denen ca. 35 in Verhaftungen mündeten. Lediglich ein an der Ecke der Lambrakis-Avenue und der Tsaldari-Straße befindliches Cafe war geöffnet und bot zwischenzeitlich knapp 150 Personen Asyl und mit verbarrikadierten Türen Schutz vor der Polizei. Abziehende Gruppen von Demonstranten ließen die Ladengeschäfte der Tsaldari-Straße unberührt, schafften es jedoch, eine Schaufensterscheibe einer Bank einzuwerfen und dort Molotowcocktails hinein zu schmeißen. Aus Solidarität mit den Verhafteten hatten sich vor dem Polizeipräsidium Athens in der Nacht zahlreiche Demonstranten versammelt. Auch hier setzte gegen zwei Uhr die Polizei massiv Tränengas und Blendgranaten ein, um die Menschen zu vertreiben.

 

Für den Donnerstag steht um 11 h vormittags die Beerdigung des Mordopfers an. Schon jetzt befindet sich ein massives Polizeiaufgebot rund um den Friedhof. Es besteht die Furcht, dass sich Zustände wie im Dezember 2008 wiederholen. Damals rebellierte die Jungend des Landes nachdem der fünfzehnjährige Schüler Alexis Grigoropoulos von einem Polizisten erschossen wurde (Griechische Regierung in Nöten). Tatsächlich geändert hat sich seitdem im Land nichts, zumindest nicht zum Besseren.