Bericht: Christian Bergmann, Marcus Weller für FAKT
Das Mega-Überwachungsprogramm PRISM. Der US-Geheimdienst zapft seit Jahren direkt die Glasfaserkabel des internationalen Netzes an. Der Datenstrom wird wie durch ein Prisma umgeleitet und in Echtzeit kopiert. Die so verdoppelten Daten werden auf der einen Seite an die Empfänger weitergeleitet und auf der anderen Seite gespeichert. Die Technik dazu stammt von der amerikanischen Boing-Tochter Narus. Der weltweit größte Hersteller von Überwachungstechnik. Die Daten werden gefiltert und bei Auffälligkeiten von Agenten der NSA ausgewertet.
Andreas Müller-Maguhn, Chaos Computer Club:
„Die Firma Narus bietet keine kleinen Überwachungslösungen an. Da geht es nicht darum ein paar Leute zu überwachen, sondern da geht es eigentlich immer darum die komplette Kommunikation, mindestens eines ganzen Netzes bis hin zu eines ganzen Landes zu überwachen.“
Der BND kennt die Technik – und er will sie haben. Frankfurt: Hier ist der größte Knotenpunkt für Glasfaserkabel auf deutschem Boden. 2007 lässt sich am Rande der Stadt eine frisch gegründete Firma namens GTS nieder. Das Kürzel bedeutet „Gesellschaft für technische Sonderlösungen“. Inhaber ist ein gewisser Felix Juhl. Die auf der Webseite angegebenen Mitarbeiter existieren nicht. Die GTS ist ein Ein-Mann-Unternehmen. Dennoch: Kaum gegründet wird sie exklusiver Vertriebspartner für den Mega-Überwachungstechnikanbieter Narus. Felix Juhl hat nun Zugang zur Technik, die die NSA für ihr PRISM-Programm benutzt. Die Firma existiert nur wenige Jahre, stellt 2010 ihre Arbeit ein.
Andreas Müller-Maguhn, Chaos Computer Club:
„Die Unternehmensgeschichte der Firma GTS passt eigentlich ganz wunderbar in das Bild, wenn man sagt, eine legendierte, eine getarnte Unternehmung nur für die Beschaffung eines Systems. Für die Abwicklung eines großen Auftrages, vielleicht noch für ein bisschen Support nach dem Verkauf. Aber danach braucht man eigentlich die Firma nicht mehr. Wenn man also das so einordnet, dass das Unternehmen aufgebaut wurde, um den eigentlichen Kunden zu verstecken sozusagen. Eine Beschaffung durchzuführen und danach das Ganze wieder aufzulösen, weil damit verschwinden ja auch irgendwann die Dokumente, die Datenspuren. D.h. der Anbieter weiß nicht genau, wer sein Kunde ist und der Kunde kann auch abstreiten der Kunde dieses Unternehmens zu sein. Das ist also eine für beide Seiten fast elegante Lösung.“
November 2011: FAKT geht schon damals dem Verdacht nach, die GTS sei möglicherweise eine Tarnfirma des BND und habe ihm Spionagetechnik besorgt. Felix Juhl lebt zu dieser Zeit in der Schweiz. Zürich: In einer Anwaltskanzlei in der Innenstadt gibt er FAKT ein Interview. Dass er Überwachungstechnik an deutsche Behörden verkauft hat, gibt er zu.
Felix Juhl, ehem. Geschäftsführer GTS:
„Wir hatten einen Zielmarkt definiert. Das ist der deutschsprachige Raum gewesen. In der Hauptsache eigentlich Deutschland. Die Kunden, die wir bedient haben in der Zeit in der es die GTS gab, sind alle rechtsstaatliche Organisationen.“
Doch gegen den Verdacht, die Gesellschaft für technische Sonderlösungen sei eine Tarnfirma des BND gewesen, wehrt er sich vehement
Felix Juhl, ehem. Geschäftsführer GTS:
„Das ist nicht nur unlauter, sondern es ist unwahr. Es ist eine unwahre Tatsachenbehauptung und die ist schadenersatzpflichtig.“
Dennoch: Kontakte zum Geheimdienst räumt er ein, gibt uns gegenüber später sogar zu, dass Narus-Technik an den BND gegangen ist. Das bedeutet: Der BND kennt spätestens seit 2008 nicht nur die Technik auf der PRISM beruht, er besitzt sie sogar. Dank Felix Juhl und der
GTS.
Wenige Tage nach dem Interview in der Schweiz stellen die Linken im deutschen Bundestag folgende Frage an die Bundesregierung:
„Gab es Beziehungen oder sonstige Kontakte der deutschen Nachrichtendienste mit der Firma GTS ... und dessen Geschäftsführer Felix Juhl ...?“
Die Antwort des Staatssekretärs Ole Schröder fällt eindeutig zweideutig aus:
„Bei einer Offenlegung wären die Aufgabenerfüllung und die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste nicht gewährleistet. Zudem könnten durch eine Offenlegung haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter enttarnt werden...“
Dass der BND mit Tarnfirmen zur Technikbeschaffung arbeitet, ist geübte Geheimdienstpraxis, weiß Christian Ströbele, Mitglied im Geheimdienstkontrollgremium des Bundestages.
Hans-Christian Ströbele, MDB, Bündnis90/Die Grünen:
„Ich weiß, dass es durchaus Tarnfirmen gibt. Wenn man die vielleicht auch nicht so bezeichnet. Und der BND macht das, wenn es um ganz besonders dunkle Geschäfte geht, wo er auf jeden Fall die Spur verwischen möchte, die zu ihm führen könnte.“
Ein weites Beispiel von Geschäften in der Grauzone nachrichtendienstlicher Technikbeschaffung: Der Fall der Software Polygon. Der Bundesnachrichtendienst wird auf das Analyse-Werkzeug eines kleinen, bayerischen Unternehmens aufmerksam.
Anette Brückner, IT-Unternehmerin:
„Die Spezialität von Polygon ist, dass man in diese mit Polygon betriebene Datenbank alles einfüttern kann, egal ob man vorher daran gedacht hat, ob man es speichern kann oder nicht. Wir hatten also beispielsweise nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA den plötzlichen Bedarf, dass man suchte nach Studenten mit arabischem Hintergrund, die eine Flugausbildung gemacht hatten. So etwas war natürlich vorher in einem System von Sicherheitsbehörden nie bedacht worden und Polygon ist in der Lage solche Informationen aufzunehmen, selbst wenn das System vorher nicht darauf ausgelegt ist.“
Der BND benötigt die Software, um die enorme Menge an abgefangenen Kommunikationsdaten überhaupt auswertbar zu machen. Der Leiter der zuständigen BND-Abteilung mit Decknamen Bodenkamp, versucht mit unlauteren Mitteln, bis hin zum Betrug in den Besitz der Software zu gelangen.
Anette Brückner, IT-Unternehmerin:
„Wir haben daraufhin als wir das mitbekamen Strafanzeige gegen ihn erstattet. Es kam zu einem erbitterten Hin und her, letztendlich auch zu einer Hausdurchsuchung beim BND und nach etlichen Bemühungen durch die Staatsanwaltschaft wurde Herr Bodenkamp verurteilt zu einem Strafbefehl.“
Die Aktion ist für den BND trotzdem ein Erfolg. Der Dienst hat Zugriff auf die Technik und setzt sie dauerhaft ein. Seit Jahren besorgt sich der Bundesnachrichtendienst offensichtlich mit allen Mitteln die nötigen Bestandteile zur flächendeckenden Kommunikationsüberwachung. Er besitzt die entsprechende Technik, die Analysesoftware und Tools zur Spracherkennung. Das alles zusammen ist nichts anderes als ein deutsches Gegenstück zur amerikanischen PRISM-Technik.
Über all diese Vorgänge werden die Parlamentarier, die den Dienst kontrollieren sollen, nicht informiert. Denn der BND kann sich selber aussuchen, was er dem Gremium berichten will.
Hans-Christian Ströbele, MDB, Bündnis90/Die Grünen:
„Das ganze System der Kontrolle basiert darauf, dass die Bundesregierung und die Dienste uns berichten. Wenn die das nicht tun, bleiben wir dumm.“
So kann die Bundesregierung auch weiterhin behaupten, sie habe von PRISM nichts gewusst. Und das, obwohl der BND längst die gleiche Technik besitzt, die ihn – genau wie die Amerikaner - in die Lage versetzt, die Kommunikation ganzer Länder zu überwachen. Ob der BND sie auch in diesem Umfang einsetzt, ist derzeit völlig offen.
Der Videobeitrag findet sich - bis zur gesetzlich vorgesehenen Depublikation - unter: http://www.mdr.de/fakt/bnd-und-prism100.html