Uns fehlen Orte des Rauschs, in denen frei erkundet werden kann, was möglich ist. Ein Appell zur drohenden Räumung des Autonomen Zentrums in Köln.
Vor einiger Zeit besprach Sebastian Dörfler hier zwei Bücher über Rausch und seine Politik und Kultur. Eins davon war mein Buch „Leben im Rausch“. Resümierend hieß es, dass das, „woran es heute zu einem kritischen Bewusstsein am meisten fehlt“, „erhöhte Sensibilität und Einfühlung“ seien: „Es fehlen die Lockerungsübungen für das Ich.“
Das klingt mir viel zu nett. Es liest sich, als müsste es nur einfach etwas beschwingter zugehen, und schon kämen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bewegung. Doch so einfach ist es nicht. Wie sich der Rausch – mit Substanzeinnahme oder ohne – entfalten kann und was aus ihm zu beziehen ist, hängt sehr davon ab, unter welchen Umständen und mit welcher Erwartung er stattfindet.
Ist er eingeklemmt in den Alltag aus Konkurrenz, Belästigung, Herrschaft, Übergriff und Verwertung, kann er kaum mehr verschaffen als eine Atempause oder die teilweise Wiederherstellung der ausgelaugten Arbeitskraft – oft nicht einmal das, wenn auch in der Berauschung noch Gruppenzwang, Distinktion und Überbietung herrschen.
Was fehlt, sind Orte und Situationen, in denen so angstfrei, konkurrenzlos und so wenig warenförmig wie möglich erkundet werden kann, was möglich wäre und wie dorthin gelangt werden könnte; Orte, an denen passiert, was sonst nicht passiert, weil vieles von dem, was sonst passiert, mehr oder weniger draußen gehalten wird.
Wenig Raum zur Entfaltung
Und diese Orte fehlen nicht einfach; sie werden immer wieder zerstört. Das geschah mit dem Institut für vergleichende Irrelevanz (IvI) in Frankfurt am Main, einem besetzten Universitätsgebäude, in dem Themen diskutiert wurden, die an der Uni sonst nicht verhandelt werden, in dem selbstverwaltet gelebt, gestritten und gefeiert wurde und in dem Rausch und Revolte immer wieder zusammengedacht und zusammengebracht wurden. Weil eine Aktiengesellschaft das Gebäude wieder profitabel verwerten will, beendete die Polizei am 22. April zumindest vorerst das Experiment.
Schon bald blüht Ähnliches dem hochgeschätzten Autonomen Zentrum in Köln-Kalk und anderen Orten – und zwar aus ganz ähnlichen Gründen: Das soundsovielte Einkaufszentrum, die Stadtplanung oder hochpreisige Mietshäuser beanspruchen den Platz.
2009 wurde mit einem martialischen Polizeieinsatz das Besetzte Haus in Erfurt geräumt. Acht Jahre lang hatten dort Jugendliche selbstorganisiert die Geschichte des Gebäudekomplexes thematisiert: der Fabrik „Topf & Söhne“, welche die Krematoriumsöfen für die Nazi-KZs entwarf, baute und installierte. Die Besetzerinnen erprobten ein anderes Zusammenleben als jenes, für das „Topf & Söhne“ ihnen als exemplarisch galt: „Die haben halt damals für Geld alles gemacht. Wir haben alles fast ohne Geld gemacht.“
Was befindet sich heute auf dem Gelände? Ein Einkaufszentrum, mit einem kleinen, inhaltlich entschärften Gedenkort als Feigenblatt.
Es gilt Platz zu schaffen
Der Adorno-Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ bedeutet, dass wir alle Teil der Gesellschaftsordnung sind und somit immer in ihre Verbrechen und Verwerfungen verwickelt. Das heißt aber nicht, dass wir handlungsunfähig wären.
Es heißt vor allem nicht, dass wir nicht versuchen könnten, der Gesellschaft vorübergehend so weit zu entkommen, dass wir die Einsichten und die Kraft schöpfen können, sie zu ändern, das heißt, ihre gegenwärtige Ordnung zu überwinden, die nicht nur den Rausch, sondern die meisten menschlichen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten einklemmt, abwürgt, entstellt und kaputtverwaltet.
Es muss endlich mal wieder in die andere Richtung gehen. Das heißt, die Räumungen in Köln und anderswo zu verhindern, sich neue Orte anzueignen, sich für Rausch und Revolte etwas herauszunehmen. Viel zu viel ist kaputtgegangen, geräumt, zerfallen; zu viele Verbündete sind verzweifelt, abgestürzt, tot. Die Kritik muss praktisch werden oder sie wird immer weiter verschwinden.