BZ-Interview mit Christoph Ruf, der zu den Themen Ultras, Rechtsradikalismus und Fankultur im Fußball recherchiert hat .
FREIBURG. Die Stimmung in deutschen Fußballstadien hat sich gewandelt, vielerorts dominieren Ultra-Gruppierungen – zum Verdruss der älteren Fans. Die Szene ist vielfältig, sie eint zwar der Kampf gegen Kommerzialisierung, doch sie unterscheidet sich von der politischen Einstellung bis zu den Vorstellungen in Sachen Pyrotechnik. Dominik Bloedner hat sich mit Christoph Ruf unterhalten, der zu dem Thema am Dienstag einen Vortrag in Freiburg hält.
BZ: Was unterscheidet den Ultra vom Hooligan und "normalen" Fußballfans?
Ruf: Hooligans mögen zwar auch Fans ihres Vereins sein, gehen aber nur zum Fußball, um sich zu prügeln. Wenn die Gastmannschaft keine eigenen Hooligans mitbringt, bleiben sie oft fern. Ein Ultra geht zu jedem Spiel wegen des Spiels – was aber nicht ausschließt, dass es manchmal zu Gewalttätigkeiten kommt. Im Gegensatz zum Fan nimmt der Ultra für sich in Anspruch, den Verein auch außerhalb der Spiele bedingungslos zu unterstützen.
BZ: Woher kommt die Ultrakultur?
Ruf: Sie entstand in den 70er, 80er Jahren in Italien. Ursprünglich wurde linker, politischer Protest in Stadien getragen. Auf den Bannern standen Parolen gegen soziale Missstände, nicht das Vereinswappen. Aus Italien stammt auch das Ideal, dass 90 Minuten ununterbrochen Lärm aus der Kurve kommen muss – selbst bei langweiligem Ballgeschiebe. Zum Vergleich: Die englische Fußballkultur ist bei der Unterstützung stets spielbezogen, es wird laut, wenn etwas los ist vor dem Tor, nicht bei Langweile auf dem Rasen.
BZ: Ist Ultra gleich Ultra?
Ruf: Nein, jede einzelne Gruppe von Burghausen bis Rostock geht ihren eigenen Weg – sowohl weltanschaulich als auch beim Unterstützen des Teams. Selbst die vergleichsweise kleine Freiburger Szene mit rund 300 Ultras und Sympathisanten ist ausdifferenziert.
BZ: Langjährige Fans in Freiburg und anderswo werfen den Ultras eine "Stimmungsdiktatur" vor.
Ruf: In der Tat kommt die lautstarke Unterstützung für den eigenen Verein fast nur noch aus der Ultrakurve, selbst beim FC St. Pauli. Andere Fangruppen verstummen zunehmend, älteren Fans geht der Dauersingsang auf die Nerven. Früher gab es mehr Spontanität, Vielfalt und auch lustigere Unterstützung.
BZ: Ein anderer Vorwurf an die Ultras lautet: Sie interessieren sich gar nicht für den Sport, sondern sie missbrauchen das Spiel für die Selbstinszenierung.
Ruf: Ein HSV-Ultra hat mir diese Frage einmal sehr geistreich beantwortet: Klar seien Ultras Selbstdarsteller, aber wer sei das nicht in der Branche? Alle sind eitel im Profifußball, vom Spieler über manche Journalisten bis zum Ultra.
BZ: Wer sind die Ultras? Nur junge Männer? Mädchen und junge Frauen sieht man kaum in der Szene.
Ruf: Ja, die meisten sind unter 30 und männlich. Aber auch traditionelle Fanclubs sind meist auf Männer ausgerichtet. Dieses Männerbündlerische ist jedoch nicht ultraspezifisch. Im Gegenteil: Es gibt einige Gruppierungen, die das thematisieren, um Frauen werben oder sich sogar explizit gegen Schwulenfeindlichkeit im Fußball wenden.
"Ultras prangern die Kommerzialisierung an"
BZ: Welche Rollen spielen Alkohol und Gewalt?
Ruf: Während sich die einen stumpfsinnig betrinken, sich manchmal prügeln und nicht besonders helle Sprüche klopfen, stellen andere Gruppen dieses Verhalten in Frage – auf derselben Tribüne.
BZ: Wofür treten Ultras ein?
Ruf: Trotz der Heterogenität gibt es Gemeinsamkeiten. Ultras sind für fanfreundliche Anstoßzeiten und niedrige Ticketpreise – und sie prangern die Kommerzialisierung des Fußballs an. Es ist daher schwierig, die Ultras gegen die "normalen" Fans auszuspielen.
BZ: Wo gibt es Reibungsflächen mit der Polizei?
Ruf: Für einige Ultras ist die Polizei Feindbild Nummer eins, sie definieren sich darüber. Auf der anderen Seite tritt die Polizei oft nicht deeskalierend genug auf, sondern zu martialisch – auch in Freiburg. Das wiederum provoziert. Ein anderes Thema ist die Pyrotechnik.
BZ: Ist sie wirklich ein unverzichtbarer Bestandteil der Ultra-Fankultur? Oder geht es da einigen wenigen nicht eher um Machtspielchen mit Polizei und Verein? Als beim DFB-Pokalhalbfinale in Stuttgart im Freiburger Block Leuchtraketen gezündet wurden, gab es lautstarke Proteste aus den eigenen Reihen.
Ruf: Einige Ultras meinen, es ginge nicht ohne Pyrotechnik. Andere finden Leuchtkörper zwar gut, sind aber pragmatisch und verzichten wegen des Verbots darauf. In Stuttgart ging die Pyrotechnik, so wurde mir erzählt, nicht von Freiburger Ultras aus, sondern von Leuten, die beim Derby "Action" wollten und vorher noch nie im Stadion gesehen wurden.
BZ: Ultras gelten allgemeinen als unpolitisch. Aber es gibt auch in Freiburg Versuche von Rechtsradikalen, ihr Gedankengut auf die Tribüne zu tragen.
Ruf: Die Sozialarbeiter auf den Rängen sind sich einig: Die Ultras haben in Deutschland zivilisierend gewirkt. Bei fast allen Gruppierungen herrscht ein Konsens: Wir sind zwar unpolitisch, haben aber keine Lust auf rechte Ideologien.
BZ: Dennoch gibt es auch rechte Ultras.
Ruf: Ja, aber die sind in der Minderheit. Es gibt Gruppen in Aachen, Braunschweig und bei Lok Leipzig. Letztere übernehmen dort den Saalschutz für NPD-Veranstaltungen. Auch in Dortmund, wo sich in den 80er Jahren ein rechtes Netzwerk gebildet hat, gibt es wieder entsprechende Vorstöße. Rechte Hooligans, die nichts mit Ultrakultur am Hut haben, versuchen in Duisburg, Düsseldorf und Bremen, ihr an Ultras verlorenes Terrain zurückzuerobern.
BZ: Und für was stehen die linken Ultras?
Ruf: Natürlich stehen die beim FC St. Pauli auf der Tribüne – und auch in Jena, Babelsberg, Fürth, Münster und Bremen. Auch die "Schickeria" vom FC Bayern gehört dazu. Die Ultras, und nicht nur die explizit linken, haben vielerorts dafür gesorgt, dass man Sprüche wie "Husch, husch, Neger in den Busch" nicht mehr hört. In Freiburg hört man allerdings das Lied von den "asozialen Schwaben" – das in anderen Kurven undenkbar wäre, weil es den Ultras dort schlicht zu doof wäre.
Morgen, Dienstag, 20 Uhr, hält Christoph Ruf in der KTS Freiburg einen Vortrag zum Thema "Ultras – Fußballfans zwischen Politik und Repression".
ZUR PERSON: CHRISTOPH RUF (41)
ist Autor und freier Journalist. Er lebt in Karlsruhe und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Ruf hat zuletzt das Buch "Ohne Fußball wär’n wir gar nicht hier – Geschichten von Fans in der Midlife-Crisis" mit herausgegeben. Ein Buch über Ultras soll in diesem Sommer herauskommen.