Pforzheim. Die Gedenkfeier anlässlich des 68. Jahrestags der Zerstörung Pforzheims am 23. Februar 1945, als ein Luftangriff der Royal Air Force über 17.000 Tote forderte, vereinte am Samstagnachmittag bei Schneegestöber am Großkreuz auf dem Hauptfriedhof rund 250 Teilnehmer. Oberbürgermeister Gert Hager legte in seiner Ansprache ein Bekenntnis zu einem friedlichen Miteinander ab. „Das sind wir den Opfern des 23. Februar und den Abermillionen Kriegsopfern weltweit schuldig", sagte er.
Die fast 18.000 Luftkriegstoten allein am Pforzheimer Schicksalstag, fast vier Millionen im Zweiten Weltkrieg gefallene deutsche Soldaten, über eineinhalb Millionen zivile Opfer in Deutschland, sechs Millionen Mordopfer in Konzentrations- und Vernichtungslagern, 25 Millionen Tote in der Sowjetunion, sechs Millionen getötete Polen, weltweit mehr als 60 Millionen Tote als Folge des Zweiten Weltkriegs – hinter diesen Zahlen, so Hager, „stecken ebenso viele Schicksale, die wiederum das Leben unzähliger Familien, Freunde, Nachbarn, Kollegen und sonstiger Bekannter der Toten nachhaltig beeinträchtigen.“ Auf allen Kontinenten seien Familien betroffen gewesen. Und hinter jedem einzelnen Tod, sei er durch Kriegsschlachten, durch Bombenangriff oder durch hinterhältigsten und „fabrikmäßig betriebenen Völkermord“ verursacht gewesen, stehe ein persönliches Schicksal.
Das Stadtoberhaupt berichtete von einem an jenem 23. Februar 1945 dreijährigen Mädchen. Mit einer Bekannten der Eltern war das Kind auf dem Nachhauseweg, als der Luftangriff begann. Die Frau hielt die Kleine bei sich im Keller eines Hauses, das später durch Bomben zerstört werden sollte. Als eine von wenigen Überlebenden wurde das Mädchen von einem Mann aus den Trümmern gerettet. Als dieser wieder in den Keller ging, um nach weiteren Überlebenden zu suchen, kam er nicht mehr zurück. Und die Dreijährige hatte bis auf das eigene Leben in der Zwischenzeit alles verloren. Die Eltern waren im eigenen Haus ums Leben gekommen.
Trotz allem Leid habe, wie OB Hager weiter ausführte, eine andere Pforzheimer Geschichte schließlich doch Ausdruck der Versöhnung und der Hoffnung gebracht. Eine zehnköpfige britische Fliegerbesatzung, deren Maschine am 14. März 1945 über Crailsheim abgeschossen wurde, versuchte, von den Alliierten kontrolliertes Gebiet zu erreichen. Bei Bühl gab der Pilot den Befehl zum Absprung. Die Soldaten kamen in deutsche Gefangenschaft, sieben von ihnen wurden nach Pforzheim verlegt. „Dort wurden sie durch die erst einen Monat zuvor zerstörte Stadt getrieben, misshandelt und mit Steinen beworfen. Vier wurden schließlich in Huchenfeld erschossen, ein weiterer brutal erschlagen“, erinnerte der Oberbürgermeister. Zwei gelang die Flucht.
John Wynne, der Pilot, konnte das Flugzeug bis nach England bringen. Er lebte nach dem Krieg als Schafzüchter in Wales und engagierte sich stets für die Versöhnung der einstigen Kriegsgegner und für die deutsch-britische Freundschaft. Mehrmals besuchte er Pforzheim und den Ort, wo seine Kameraden gelyncht wurden. Im Jahr 1994 schenkte er dem evangelischen Kindergarten und Huchenfeld ein Schaukelpferd mit dem Namen „Hope“ (Hoffnung). Jedes Jahr lässt er am 23. Februar am Großkreuz einen Kranz gelber Narzissen niederlegen. So auch am Samstagnachmittag.
An der Gedenkfeier nahmen auch Schüler aus Pforzheims spanischer Partnerstadt Gernika teil, die 1938 von der deutschen Legion „Condor“ zum Ziel eines Luftangriffs auserkoren war. Gekommen waren auch Vertreter der französischen Vogesen-Gemeinden La Bresse und Ventron, von wo aus Zwangsarbeiter nach Pforzheim deportiert worden waren. Viele von ihnen starben beim Bombenangriff.
Abschließend betonte Oberbürgermeister Hager, dass in Deutschland, auch in Pforzheim, die Geringschätzung, ja die Verachtung von Menschenleben bereits vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen habe. „Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurden Menschen auf Grund ihrer politischen Überzeugungen, ihrer Krankheiten oder Behinderungen, ihrer sexuellen Neigungen, ihres Glaubens oder ihrer vermeintlichen Rassenzugehörigkeit diskriminiert, ihrer Rechte beraubt und schließlich ermordet. Dieses kranke und menschenverachtende Denken führte direkt in den Zweiten Weltkrieg.“ Hager: „Die Aggression ging von Deutschland aus und fiel Ende des Krieges auf grausame Weise auf unsere Stadt zurück.“
Bei der Gedenkfeier sprachen auch der katholische Dekan Bernhard Ihle und die evangelische Dekanin Christiane Quincke. Die Bläsergruppe des Musikzugs der Feuerwehr unter Bernd Windelband spielte die Choräle „Näher mein Gott zu Dir“ und „Der Pilger aus der Ferne“.