Nostalgie, Netzwerk und Vorurteile: Leben in einer Koblenzer Studentenverbindung

Erstveröffentlicht: 
28.01.2013

Koblenz - Die rechten Umtriebe in manchen Burschenschaften belasten auch katholische Studentenverbindungen wie die Nordgau-Prag. Ihrem Selbstverständnis nach ist sie unpolitisch – aber mit Vorurteilen haben auch ihre Mitglieder wie der 22 Jahre alte Max Häckel zu kämpfen.

 

Nein, leichtgefallen ist ihm die Entscheidung nicht. Und ja: Er kennt alle Vorurteile. Ja, er hat sie Hunderte Male gehört, die Frage, ob er jetzt ein Burschenschaftler ist. Max will sich aber nicht abbringen lassen von dem, was er ist: ein Verbindungsstudent, mit orangefarbener Mütze auf dem Kopf, violett-weiß-orangefarbenem Burschenband quer um den Leib und Zipfelbund am Gürtel. Die Lust, sich dafür ständig zu rechtfertigen, ist ihm längst vergangen: „Rechte Burschenschaften und katholische Studentenverbindungen sind nicht das Gleiche, auch wenn das immer wieder vermischt wird“, sagt er.

Die Rituale wirken, wie aus der Zeit gefallen

„Max Häckel, recipiert am 5. November 2010“ steht unter seinem Porträtfoto. Es hängt an der Wand eines unscheinbaren Koblenzer Wohnhauses neben unzähligen anderen Fotos und dem fein geschnitzten Wappen der Katholischen Deutschen Studentenverbindung Nordgau-Prag. Zwei Stockwerke hat die Verbindung hier bezogen. Was die jungen Männer an diesem Winterabend vorhaben, wirkt, wie aus der Zeit gefallen: Eine Krambambulikneipe steht an, eine Trinkzeremonie, bei der Wein, Zucker und Rum von drei Jungs verkörpert werden, die vom „göttlichen Trank“ fabulieren und eine Feuerzangenbowle bereiten.

Einer der Studenten steht als Dominus Magister Krambambuli am Kopfende des Tisches, klopft mit einem Degen energisch auf das Holz und ruft „Silentium!“, wenn das nächste Lied gesungen werden soll. „Cantus“ sagen sie dazu hier – und streuen auch ansonsten immer wieder lateinische Begriffe ein: „Ad secundam“, gibt der Magister die Sangesordnung vor, von der zweiten Strophe an wird gesungen, und zwar das Bundeslied „In allen guten Stunden“. Max singt Schulter an Schulter mit den anderen Verbindungsstudenten, Kerzenlicht kämpft sich durch das Dunkel, Bierhumpen stoßen klackernd aneinander.

Die Runde wirkt harmonisch, die jungen Männer lassen die alten studentischen Riten wie selbstverständlich wieder aufleben. Max genießt das nur hin und wieder durch ironische Kommentare aufgewühlte Nostalgiebad der Krambambulikneipe. Die begann für jeden Gast mit einem in Strohrum brennenden Zuckerwürfel und endet mit zotigen Witzen, die sie hier Biermimiken nennen.

 

"Das ist doch immer so bei Dingen, die einem fremd sind. Zunächst lehnt man sie einfach ab“

Dass er sich damit anfreunden würde, war nicht abzusehen, als der 22-Jährige vor zweieinhalb Jahren des Studiums wegen nach Koblenz kam und eine Wohnung suchte. Sein Vater schlug ihm vor, es bei der Nordgau-Prag zu versuchen: „Ich habe aber instinktiv gesagt, dass ich mit Verbindungen nichts zu tun haben will“, erinnert sich Max. Seine Reaktion wundert ihn im Rückblick nicht. „Das ist doch immer so bei Dingen, die einem fremd sind. Zunächst lehnt man sie einfach ab“, sagt er achselzuckend.

Damit Vorurteile zu Urteilen reifen, braucht es Zeit. Sicher hat die Hemmschwelle abgeschliffen, dass auch Max’ Vater in einer Verbindung ist. Was aber noch wichtiger war: „Das sind einfach nette, ganz normale Studenten hier, die mich sofort freundlich aufgenommen haben“, sagt Max. Ein ganz anderes Thema war, sich an die Traditionen zu gewöhnen, an Gesangbücher, die hier Liederfetzen heißen, und an die drei Erkennungszeichen Mütze, Burschenband und Zipfel, ein bunter Bänderanhänger für den Hosenbund. Wäre die Wohnungssuche nicht gewesen, hätte er die Verbindung wohl nie kennengelernt.

Heute weiß Max selbst: Die Bude ist das dickste Pfund der Verbindung. Damit kann sie neue Mitglieder locken, wie sie auch Max gelockt hat. Männlich und katholisch muss sein, wer 15 Quadratmeter auf der Bude beziehen will – und das wollen einige Studenten, zumal nur 185 Euro Warmmiete im Monat für ein Zimmer fällig werden – inklusive WLAN, Telefon und Putzfrau. Wer dann zum Fux, zum Nachwuchsmitglied der Verbindung, wird, zahlt nur noch 165 Euro. Aber die Entscheidung ist binnen einem Semester zu fällen. „Wir schauen schon darauf, dass die Leute auch zu uns passen“, sagt Max.

Vorurteile kommen immer: Eine Studentenverbindung ist eben kein Fußballverein

 

Mittlerweile wohnt er nicht mehr auf der Bude, aber trotzdem: Die „Convente“ genannten Versammlungen, die Stammtische, Vorträge, gemeinsamen Fahrten zu befreundeten Verbindungen, all das spannt ihn auch heute noch ordentlich ein. „Fußball im Verein zu spielen, nimmt aber immer noch wesentlich mehr Zeit in Anspruch“, weiß Max aus Erfahrung. Nur: Eine Studentenverbindung ist kein Fußballverein. Für seine Mitgliedschaft dort hat er sich nie rechtfertigen müssen.

 

Dafür, dass er in einer Verbindung ist, muss er es immer wieder. Selbst im Ferienlager der Kirchengemeinde seines Heimatorts Elz, zwischen Lagerfeuerrunde und Freiluftgottesdienst, wo ähnlich altmodische Traditionen gepflegt werden, schlägt Max wegen der Verbindung Argwohn entgegen. „Kommt doch vorbei, und schaut es euch an“, bremst Max die Kritik meistens aus.

Die Reaktionen seiner Freunde kränken ihn nicht, aber sie wundern ihn immer wieder: „Manche Leute haben reagiert, als wäre ich deswegen plötzlich ein ganz anderer Mensch“, sagt er. Max ist offensiv mit seiner Entscheidung umgegangen, „das Band aufzunehmen“, wie die Verbindungsstudenten den Beitritt nennen. Was blieb ihm auch übrig? Seine Entscheidung lässt sich schließlich nicht so einfach rückgängig machen: „Das hier ist ein Lebensbund, dazu muss ich jetzt stehen“, sagt Max. Deswegen lädt er ein, die Bude zu besichtigen, und führt Besucher ein in eine Welt, in der man vom Fux zum Bursch zum Philister reift und zum Biertrinken ein dreifarbiges Band um den Oberkörper trägt.

Die Sticheleien, der Rechtfertigungszwang, die Medienberichte zu rechtsextremen Umtrieben in der Deutschen Burschenschaft: Wenn die Sprache darauf kommt, erklärt Max, dass eine katholische Verbindung nicht das Gleiche ist wie eine Burschenschaft – und dass die Nordgau-Prag weder reaktionär noch deutschnational und schon gar nicht rechtsextrem sei. Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth bestätigt, dass sich der Cartellverband, der Dachverband der Nordgau-Prag, deutlich vom Rechtsextremismus distanziert. Die Nordgau-Prag habe noch 1994 einen verurteilten Holocaustleugner ausgeschlossen, sagt Kurth, die an der Universität Gießen zu Studentenverbindungen forscht.

Vor allem definiert sich die Verbindung über das Bekenntnis zum Glauben. „Katholische Verbindungen begreifen sich im Unterschied zu Burschenschaften nicht explizit als politische Verbindungen, was allerdings nicht bedeutet, dass sie gänzlich unpolitisch wären“, erklärt Kurth das Verhältnis der Nordgau-Prag zur Politik. Immerhin zählt mit dem Vaterland neben Freundschaft, Wissenschaft und Religion auch ein politischer Begriff zu den Prinzipien der Verbindung. Max erkennt darin vor allem die Aufforderung, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Was wir wählen, bleibt uns selbst überlassen“, sagt er. Die Wissenschaftlerin weist aber darauf hin, dass die Tradition, auf die sich die Verbindung bezieht, „deutlich mehr umfasst als das Territorium der Bundesrepublik Deutschland.“

 

Als Student in einer Verbindung geht man einen Bund fürs Leben ein

Max wird sein Leben lang Bundesbruder bleiben. Er hat ein Netzwerk hinzugewonnen, das ihn immer unterstützen kann. Dafür wird er aber auch geben müssen: Das Prinzip des Lebensbundes schließt ein, dass die Alten Herren die Studenten mitfinanzieren. „Das ist im Grunde ein Generationenvertrag“, erklärt Christian, 26 und BWL-Student, der als Senior der Verbindung so etwas wie den Vorsitz für das Wintersemester übernommen hat. Auch Max wird eines Tages für den Nachwuchs zahlen – er kann damit aber warten, bis er nach dem Studium einen sicheren Job gefunden hat.

Im kommenden Semester ist Max erst einmal als Fuxmajor für den Nachwuchs zuständig. Dann will er den Neuen mit Benimmprüfungen und Referaten helfen, etwas für ihre Persönlichkeitsbildung zu tun. Max findet, dass das an der Uni oft zu kurz kommt, für einen Verbindungsstudenten aber dazugehört: nicht Fechten, braune Parolen und extreme Saufgelage, sondern Knigge, studentische Tradition und Wirgefühl. Max will sich dafür nicht rechtfertigen. „Warum auch?“, fragt er: „Was wir machen, ist höchstens altmodisch, konservativ und, nun ja, sicher nichts für jedermann.“

Von unserem Reporter Alexander Hoffmann