Frankreichs Operation Wahrheit

Erstveröffentlicht: 
02.01.2013

Von Stefan Brändle. Spanier essen an Neujahr Trauben, Brasilianer kleiden sich gerne in Weiß. Und Franzosen fackeln zu Silvester gerne Autos ab, ließe sich anfügen. Insgesamt 1193 Fahrzeuge, darunter ein paar Motorräder, sind in Frankreich in der Nacht zum 1. Januar in Flammen aufgegangen.

 

Paris – Wie Innenminister Manuel Valls erklärte, brannten die meisten Autos, je rund 200, in den Vorstädten von Paris und Straßburg.
 

In der elsässischen Metropole Straßburg hatte der eigentümliche Brauch Ende der 90er-Jahre seinen Ursprung gehabt. Dort kam es in der Silvesternacht 2012 neben den Brandstiftungen auch zu Krawallen zwischen Jugendlichen und der Polizei. 339 Randalierer wurden festgenommen und sieben Ordnungshüter verletzt, teilte die Polizei mit.

 

Vergleichszahlen mit den beiden Vorjahren gibt es nicht. Im Jahr 2010 hatte die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy die Bilanzierung der Silvester-Brandstiftungen eingestellt. Zur Begründung hieß es, sie wolle dem Neujahrsspektakel nicht noch Vorschub leisten. Einzelne Jugendliche könnten sich durch die Veröffentlichung der Zahlen über brennende Autos noch angestachelt fühlen. Offiziell gab es deshalb in Frankreich keine Brandstiftungen mehr an Silvester.

 

Zahl der Brandstiftungen stabil

 

Der Sozialist Valls hat nun die Polizeistatistik des Jahreswechsels erstmals wieder veröffentlicht. Er wolle Transparenz herstellen, hieß es. Die Zahl der abgefackelten Fahrzeuge sei im Vergleich zu 2009 stabil geblieben. Bei der Erhebung vor drei Jahren waren es 1147 Brandstiftungen gewesen.

 

Valls sprach angesichts der Statistik von der „Notwendigkeit, noch mehr Polizei zu mobilisieren“. Insgesamt waren in Frankreich an Neujahr 53 000 Sicherheitskräfte im Einsatz. Allein mehrere Tausend Beamte sicherten Paris und sein sozial explosives Vorstadt-Département Seine-Saint-Denis ab.

 

Trotz der angekündigten Transparenz werden viele Informationen vom Innenministerium zurückgehalten. Zum Beispiel sagte Valls nichts über das soziale Umfeld, aus dem die Brandstifter stammen. Überhaupt bewirkt die „Operation Wahrheit“, wie Valls die Veröffentlichung der Statistik nannte, keinerlei Debatte im Land. Die wichtigen Nachrichtensendungen der großen Fernsehanstalten TF1 oder France2 zeigten keine Bilder von den Straßenschlachten. Die Zahl der Autowracks vermeldeten sie in einem einzelnen Satz zwischen festlichen Neujahrsbildern aus aller Welt.

 

Auch zu den Brandstiftern selber machte Valls keine Angaben. Vor einigen Jahren hatte die Polizei noch Einzelheiten der Statistik veröffentlicht. Demnach sollen 63 Prozent der Täter minderjährig gewesen seien. Die Mehrheit der Festgenommenen tauchte damals in keinem Strafregister auf. Ein Staatsanwalt hatte zusätzlich erklärt, die Vorstadtkids seien beim Silvester-Zündeln eher spielerisch als sozialpolitisch inspiriert gewesen. Solche Details sparte Valls in diesem Jahr aus.


Das Ausmaß der Gewalt ist alarmierend: Laut Schätzungen brennen in den Vorstädten jedes Jahr mehr als 20 000 Autos. Greift die Polizei bei den Banlieue-Feuerwerken zu hart durch, münden diese Konflikte meist umgehend in gewaltsame Konfrontationen.