Bevor das Jahr zu Ende geht, heute noch eine kurze Übersicht über einige Entwicklungen. Die Rede soll sein von einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (A.), zwei Beschlüssen des OLG Karlsruhe (B.), dann von den Bauplänen für Hafträume in der JVA Burg (C.), einer Kampagne für den Zugang zum Internet (D.), dem schon seit vielen Jahren virulenten Problem der Diskriminierung von „Deutsch-Russen“ (E.) und abschließend von der Kürzung der Freizeit in der JVA Bruchsal (F.).
A.) Verfassungsgericht rügt baden-württembergische Polizei und Justiz
Als 2010 aus der JVA Freiburg ein Sicherungsverwahrter entlassen wurde, ordnete die Freiburger Polizei dessen Dauerüberwachung durch bis zu fünf Polizeibeamte an. Tag und Nacht bewachen und begleiten sie ihn, auf Schritt und Tritt. Während das Verwaltungsgericht, sowie der Verwaltungsgerichtshof diese Dauerüberwachung billigten, griff nun am 08.11.2012 das BVerfG ein (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20121108_1bvr002212.html).
Das Gericht anerkannte die enorme psychische Belastung für den Kläger; die Dauerpräsenz der Polizei verhindere jegliche Reintegration, es sei fraglich, ob eine solche Dauerbewachung nur auf eine Generalklausel im Polizeigesetz gestützt werden dürfe oder es nicht einer gesonderten gesetzlichen Regelung bedürfe. Ganz lebenspraktisch rügten die Richter, dass Polizei und untere Instanzen ihre Gefahrenprognose bezüglich Herrn S. auf ein veraltetes Gutachten gestützt hätten. Dies verletze S. in seinen Grundrechten.
Nach nun über zwei Jahren Dauerbewachung ist für Herrn S. nun vielleicht ein Ende der Polizeischikanen in Sicht; er saß immerhin gut 27 Jahre in Haft: fünf Jahre in Strafhaft und 22 Jahre in Sicherungsverwahrung. Gegen die Dauer der SV wandte sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/inpol/oS1yFmwNM0.shtml).
B.) Oberlandesgericht rügt JVA Bruchsal
Wieder einmal hat das OLG Karlsruhe die aus Gefangenensicht willkürliche Anordnung von Kontrollmaßnahmen und von Fesselung durch die JVA Bruchsal (http://www.jva-bruchsal.de/) gerügt.
Mit Beschlüssen vom 15.11.2012 (A Ws 48/12)und 27.11.2012 (1 Ws 49/12) beanstandete das Gericht die übliche Praxis der JVA Bruchsal, Gefangene, die z.B. für Gerichtsverhandlungen in andere Anstalten überstellt werden, ohne konkrete Einzelfallprüfung vor dem Transport nackt ausziehen zu lassen, um sie zu durchsuchen. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage, es handele sich vielmehr um einen „schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gefangenen“, der nur dann statthaft sei, wenn eine einzelfallbezogene Anordnung des Anstaltsleiters vorliege, die auch zu begründen sei.
Im Übrigen sei es nicht rechtmäßig gewesen, den Gefangenen bei seiner Vorführung vor das Gericht (bei welchem er um seine Entlassung aus der Haft auf Bewährung nachgesucht hatte) zu fesseln; eine „einfache“ Fluchtgefahr reiche hierfür nicht, es bedürfe vielmehr einer „erhöhten Fluchtgefahr“. Sinngemäß könnte man sagen, das Gericht unterstellt bei fast jedem Gefangenen eine gewisse Fluchtgefahr, denn wer sitzt schon gerne und freiwillig in Haft.
Wie im Fall mit der Entkleidung/Durchsuchung rügte das Gericht, dass die JVA Bruchsal weder den konkreten Einzelfall geprüft habe, noch nachweisen konnte, dass eine erhöhte Fluchtgefahr vorgelegen habe.
Da in der JVA Bruchsal jährlich hunderte von Gefangenen „auf Transport“ gehen und dutzende zu Gerichtsterminen chauffiert werden, darf man angesichts dieser Rechtssprechung wohl von systematischem Rechtsbruch durch die Haftanstalt sprechen, denn die OLG-Richter betraten mit ihren Entscheidungen keineswegs Neuland, sondern machten der Anstalt nur klar, was diese bei Gesetzeslektüre hätte selbst feststellen können, und ferner, dass sich auch JVA-Beamte an Gesetze zu halten haben.
Es bleibt abzuwarten, ob Gerichtsbeschlüsse auf mehr Beachtung stoßen, als es das Gesetz bislang tat.
C.) Zellen für Sicherungsverwahrte in der JVA Burg
Während die baden-württembergische GRÜN/Rote-Koalition Sicherungsverwahrten (künftig) lediglich „Zimmer“ (so werden künftig euphemistisch die Zellen genannt werden) ohne Dusche und ohne Kochgelegenheit zubilligen möchte, 14 qm klein, plant man in Sachsen-Anhalt großzügiger. Circa 21 qm werden in Burg die „Zimmer“ groß, verfügen über getrennten Schlaf- und Aufenthaltsraum, eine eigene Dusche und eine Kochecke.
Als PDF-Datei findet sich auf http://media.de.indymedia.org/media/2012/12//339063.pdf die offizielle Bauzeichnung sowie ein Beispiel für die (künftige) Möblierung.
Es weist nicht nur auf die sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit hin, wenn in Baden-Württemberg den Verwahrten, die – das darf man nicht vergessen – ihre Strafe längst verbüßt haben, lediglich 14 qm kleine Zellen zugebilligt werden, sondern auch auf eine gewisse Schäbigkeit. Zumal Burg (Sachsen-Anhalt) nur exemplarisch steht für Länder wie Hessen, Niedersachsen oder Hamburg. Überall dort werden künftig Verwahrte in Zellen mit Dusche und Kochgelegenheit untergebracht, die circa 21 qm werden dort zum Standard.
Erst am 04.12.2012 berichtete der Deutschlandfunk über die selbst nach Ansicht des therapeutischen Leiters der SV-Stationen in Freiburg, desolate personelle Ausstattung der dortigen Sicherungsverwahrung. (JVA Freiburg: http://www.jva-freiburg.de/servlet/PB/menu/1157448/index.html)
D.) Kampagne für Internetzugang für Gefangene
Im Herbst 2012 startete der Münster Verein „Arbeitskreis kritischer Strafvollzug“, unter Vorsitz von Professor Dr. Koch, eine Aktion, die „Gleiches Recht für alle!“ fordert, namentlich „Freien Zugang zum Internet als Menschenrecht – auch im Knast“ (http://www.aks-ev.net/aktuelles/neues-vom-aks.html?PHPSESSID=36792827fb6...)
In einer Welt des 21. Jahrhunderts dürfte es auch Gefangenen nicht länger verwehrt werden, während ihrer Haftzeit das Internet zu nutzen. Die (abstrakten) Risiken würden den Nutzen bei weitem nicht in Frage stellen. Informationsfreiheit bzw. freier Zugang zu Informationen sei ein Menschenrecht; es sei geradezu geboten für eine erfolgreiche Resozialisierung den Zugang zum Internet zu gestatten. Im November 2012 legte der Verein erstmals einen Zwischenbericht im Zuge dieser Kampagne vor (http://www.aks-ev.net/fileadmin/user_upload/redakteure/PDF-Dateien/Z__Le... )in welchem zahlreiche Gefangene zu Wort kommen und sich aus ihrer Sicht zu der Kampagne äußern.
E.) Diskriminierung von „Deutsch-Russen“
Immer wieder erleben Menschen aus bestimmten Gruppen, dass sie diskriminiert werden, d.h. ungeachtet der Frage, ob sie zu einer bestimmten Gruppe tatsächlich gehören, werden sie auf Grund bestimmter Merkmale staatlicherseits einer solchen zugerechnet und dann bestimmten Repressionen unterworfen.
Im Strafvollzug sind dies im Wesentlichen Menschen, die die Justiz als „Deutsch-Russische Gefangene“ qualifiziert. Direkt daran anknüpfend, wo die Betreffenden (oder deren Eltern oder Großeltern) geboren wurden, werden sie ohne konkrete Einzelfallprüfung erst einmal mit Argwohn betrachtet und einem besonderen Überwachungs- und Kontrollregime unterworfen.
Besonders deutlich wird dies in der schon oben erwähnten JVA Bruchsal: wer in einem der früheren Staaten der Sowjetunion geboren ist oder entsprechende familiäre Beziehungen unterhält, gilt als „Deutsch-Russe“, so die offizielle Bezeichnung der JVA Bruchsal. Damit einher gehen bestimmte Auflagen: Verbot der Kommunikation in Briefen und bei Besuchen in russischer Sprache, besondere Beobachtung durch das Personal, Probleme bei der Gewährung von unbewachten familiären „Langzeitbesuchen“, wie auch bei der Gewährung von Vollzugslockerungen und Manches mehr.
Erst kürzlich wurde die Heidelberger Strafrechtsanwältin Katrin Buhrke (http://www.maerzgasse7.eu) bei der Anstaltsleitung wegen dieser Problematik vorstellig und stellte in den Raum, dass die JVA den Eindruck erwecke, „dass alleine die Herkunft (…) für sich genommen eine ‚Gefahr‘ darstelle.“ Seitens der Anstalt, so Rechtsanwältin Buhrke, erwecke man ferner den Eindruck, dass ausschließlich die „Gruppe der ‚Deutsch-Russen‘ aufgrund ihrer Herkunft bzw. Verwurzelung mit einer Absonderung als Neuzugang zu rechnen“ hätten.
Eher rhetorisch und sarkastisch mutete die Nachfrage der Anwältin an, ob man denn auch intern differenziere nach „Deutsch-Türkischen Gefangenen, Deutschen Gefangenen, Holländischen Gefangenen“.
Mit ihrem Schriftsatz greift die Rechtsanwältin ein brisantes Thema auf, denn Grundgesetz und auch die UN-Menschenrechtskonvention verbieten jegliche Diskriminierung auf Grundlage von Herkunft, Heimat, Abstammung oder auch der Sprache. Das eher eigenwillige Verhältnis zu Recht und Gesetz seitens der JVA Bruchsal wurde schon weiter oben unter Punkt B.) dargestellt, so dass es letztlich nicht überraschen mag, wenn auch Anti-Diskriminierungsvorschriften missachtet werden.
Seitens der Anstalten wird regelmäßig vorgetragen, bei dieser „Gruppierung“ handele es sich nun mal um eine streng abgeschottete, hierarchisch organisierte und strukturierte Gefangenensubkultur, der man anders nicht Herr werden könne.
Man mag vielleicht Verständnis haben, wenn im konkreten Einzelfall handfeste Beweise für ein strafrechtliches Fehlverhalten hinter Gittern vorliegen, dass ein Gefängnis spezielle Maßnahmen ergreift; was jedoch nicht angängig ist, wenn ausschließlich schon an die Herkunft oder Abstammung nachteilige Folgen geknüpft werden.
Immer wieder berichten mir empört betroffene Gefangene, in den früheren Staaten der Sowjetunion seien sie, ihre Eltern oder Großeltern oftmals verfolgt oder diffamiert worden, als „die Scheiß-Hitlerdeutschen“; jetzt, in Deutschland angekommen, erleben sie erneut staatliche Verfolgung.
F.) Kürzung von Freizeit in JVA Bruchsal
Es hört sich vielleicht amüsant an, aber auch Gefangene haben so etwas wie „Freizeit“, nicht, dass sie in dieser Zeit die JVA verlassen dürften, aber in den späten Nachmittagsstunden, nach getaner (Zwangs)Arbeit werden Gesprächs- und Sportgruppen angeboten. Konnten bislang in Bruchsal werktags von 17.00-19.20 Uhr die Gefangenen hierfür ihre Zellen verlassen, um in die Gruppenräume bzw. Sporthalle der Anstalt zu gehen, werden sie künftig schon um 18.30 Uhr in ihren Zellen eingeschlossen. Denn zum 01.01.2013 hat der bekannte Anstaltsleiter Müller (exemplarisch vgl. http://de.indymedia.org/2010/01/270866.shtml ) diese Verkürzung der abendlichen Freizeit-Zeiten angeordnet; wie so oft ohne jegliche Begründung. Da es in vielen Haftanstalten Baden-Württembergs schon Jahrzehnte üblich ist, dass Gefangene erst um 21 Uhr oder noch später in ihren Zellen eingeschlossen werden, sprechen viele Bruchsaler Gefangene davon, der jetzige Anstaltsleiter bewege sich zurück in mittelalterliche Zeiten, und fragen sich sarkastisch, wann er wohl wieder die Eisenkugel am Fuß einführen werde.
Thomas Meyer-Falk, c/o. JVA-Z. 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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