Burschenschafter ersetzen Not durch Elend

Gegner des Burschenschaftstreffens in Stuttgart hatten Steine in Fensterscheiben des Veranstaltungsortes geworfen.
Erstveröffentlicht: 
24.11.2012

Stuttgarter Verbandstreffen

Reformer haben den ultrakonservativen Verbandskader Weidner aus dem Amt befördert. Auch sein Nachfolger ist umstritten. Einen Erfolg aber verbuchte der liberale Flügel.

 

Überraschend hat die Deutsche Burschenschaft binnen weniger Stunden ihre wichtigste Verbandspersonalie entschieden: Die Teilnehmer eines Sonderverbandstreffens in Stuttgart wählten den Journalisten Michael Paulwitz zum Nachfolger des kurz zuvor abgesetzten Chefredakteur des Verbandsblattes, Norbert Weidner. Der Autor der rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit setzte sich nach Informationen von ZEIT ONLINE mit deutlicher Mehrheit gegen zwei Mitbewerber durch und wird ab jetzt die Burschenschaftlichen Blätter verantworten, die mit einer Druckauflage von 10.500 Exemplaren die etwa 100 Burschenschaften des Dachverbandes erreichen.

 

Zuvor hatten etwa 100 Teilnehmer des Verbandstreffens Weidner aus dem Amt gehebelt, nur etwa 70 votierten für seinen Verbleib. Die Antragsteller begründeten ihr Abwahlbegehren mit der "verheerenden Außendarstellung des Verbandes vom Burschentag 2012 bis zum heutigen Tage", die Weidner zu verantworten habe. Sie beziehen sich auf einen Leserbrief Weidners in einem burschenschaftsinternen Rundbrief. Darin hatte er den Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer "zweifelsfrei" als "Landesverräter" bezeichnet und seine Hinrichtung durch die Nationalsozialisten als "juristisch gerechtfertigt". Wegen der Äußerung läuft in Bonn ein Gerichtsverfahren gegen Weidner. Es geht um ein Strafgeld in vierstelliger Höhe.

 

Bundesweit hatten Medien über den Fall berichtet. Weidners Kritiker verärgerte besonders der Umstand, dass er sich zuvor öffentlich – auch im Gespräch mit ZEIT ONLINE – von seiner rechtsextremistischen Vergangenheit distanziert und auf dem Burschenschaftstreffen im Frühjahr in Eisenach um eine zweite Chance gebeten hatte. Zudem veröffentlichte er vor wenigen Monaten in der Verbandszeitung einen umstürzlerischen Aufsatz des umstrittenen Historikers Michael Friedrich Vogt, in dem der über die "Abschaffung des Parteienstaates", zugunsten einer "wirklichen Volksherrschaft" räsoniert und die Burschenschafter "im Widerstand gegen ein Unrechtssystem und die Parteiendiktatur" sieht.

 

Erster Abwahlversuch gescheitert


Weiteren Ärger zog eine Klage Weidners gegen einen anderen Burschenschafter seines Verbandes nach sich. Bei dem Gerichtsverfahren war Weidner als Kläger aufgetreten, weil ihn sein Kontrahent als "höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremistischen Bewegung, die aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften besteht" bezeichnet hatte. Weidner verlor, er darf weiterhin so genannt werden.

 

Weidners Wirken habe zu einer "verheerenden Presseberichterstattung und damit zu einer erneut katastrophalen Öffentlichkeitswahrnehmung geführt", beklagten seine Gegner in Stuttgart.

 

Der Verlust seines Postens dürfte sich für Weidner auch finanziell auswirken. 2011 waren für den Chefredakteur 23.000 Euro Aufwandsentschädigung im Dachverbandshaushalt eingeplant.

 

Ein erster Abwahlversuch war auf dem regulären Jahrestreffen der Burschenschafter Anfang Juni in Eisenach gescheitert. Damals setzten sich noch die Burschenschaften aus dem völkisch-national orientierten Lager gegen die liberalen Reformer durch. Enttäuscht verließen damals die Liberalen das Treffen, das vorzeitig endete. Man vertagte sich auf den November.

 

Verhaltener Applaus für "Bauernopfer"

 

National-konservative Bünde und liberale Reformer stehen sich in Stuttgart unverändert im Richtungskampf gegenüber. Dass die Abwahl Weidners den gespaltenen Dachverband befrieden kann, ist alles andere als sicher. Denn auch sein Nachfolger Paulwitz – Mitglied der politisch eher mittig-liberal angesiedelten Burschenschaft Normannia Heidelberg – testet gern die Grenzen der Meinungsfreiheit: Im Oktober veröffentlichte er in der Jungen Freiheit ein Manifest unter dem Titel "Was sich ändern muss". Darin tritt er in antieuropäischem Duktus für den Erhalt zentraler Souveränitätsrechte des Nationalstaats ein. Er warnt vor einer "Entmündigung von Eltern durch Krippenprogramme" und relativiert die deutsche Kriegsschuld: "Die deutsche Geschichte ist kein Verbrecheralbum". 2011 kandidierte er für die REP im baden-württembergischen Landtagswahlkampf.

 

Zudem unterlagen die Reformer an anderer Stelle: Anträge auf Ausschluss der drei ultrarechten Burschenschaften Raczeks (Bonn), der auch Weidner angehört, der Dresdensia Rugia (Gießen) und der Danubia (München) erklärte die Tagungsleitung als nicht satzungskonform und nahm sie von der Tagungsordnung. Dem Ansinnen, das Stimmengewicht an die Mitgliederstärke der einzelnen Burschenschaften zu knüpfen, fehlte die notwendige Mehrheit. Den jährlich neu zu vergebenden Vorsitz der Deutschen Burschenschaft übernimmt laut einem Burschentagsbeschluss ab 2013 die Teutonia Wien – Mitglied des ultrakonservativen Ostdeutschen Kartells, dem auch die Bonner Raczeks und die Danubia München angehören, letztere war 2011 im Landesverfassungsschutzbericht Bayern erwähnt.

 

Aus dem Lager der Reformer kam verhaltener Applaus für die Abwahl Weidners: Er sei "ein Bauernopfer", durch das die ultrakonservativen Kräfte die finanzkräftigen liberalen Burschenschaften im Dachverband halten, sagte Christian J. Becker von der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis. Zahlreiche liberale Burschenschaften würden jedoch austreten, "weil sie sich von dieser rechten Kosmetik nicht täuschen lassen".

 

Ein Streitthema entschied sich jedoch im Sinne des Reformflügels: Der Versuch, die Mitgliedschaft Studierender nichtdeutscher Herkunft von der "vollendeten Assimilation an das deutsche Volk" abhängig zu machen, scheiterte. Schon 2011 hatten die Bonner Raczeks eine ähnlich scharfe Regelung durchsetzen wollen, es kam aber zum Eklat. In Stuttgart kamen liberale Burschenschaften ihrem Ziel näher, dass innerhalb des Dachverbandes ein "Bekenntnis zu deutscher Kultur und Brauchtum" ausreicht. Eine Verschärfung ist vorerst vom Tisch. Nun hofft das Reformerlager, dass dieses Votum auch den Verbandstag 2013 überlebt.