Von Nina Magoley
Die Räumung des Hambacher Forsts hat auch für die Polizei ein Nachspiel: Der Vorwurf gegen den letzten Aktivisten, er habe bewusst die Schutzmaßnahmen der Polizei im Tunnel zerstört und die Einsatzkräfte so in Lebensgefahr gebracht, hat sich als Falschmeldung erwiesen.
"Herr Zimmermann", wie er inzwischen von seinen Waldbesetzerkollegen in Pressemitteilungen genannt wird, soll die Stützpfeiler, die die Grubenwehr bereits installiert hatte, um den Tunnel vor Einsturz zu sichern, mutwillig umgetreten haben. So lautete die Meldung der Polizei kurz nach Mittag an jenem Freitag vergangenener Woche (16.11.2012), an dem Polizei, Feuerwehr und Grubenwehr bis Mitternacht versuchten, den letzten der Besetzer des inzwischen geräumten Waldcamps aus seinem unterirdischen Gang zu holen. "Dadurch bestand für die Retter akute Lebensgefahr und sie mussten sich zunächst zurückziehen", so steht es noch immer in der Zusammenfassung des Tages in einer Pressemeldung der Polizei Rhein-Erft-Kreis.
Meldung kam überraschend
Für die wartenden Journalisten im Wald kam diese Nachricht überraschend. Gerade noch hatte der Polizeisprecher bekannt gegeben, dass die Einsatzkräfte im Tunnel nun bis zum Aktivisten vorgedrungen seien, doch der sei unerwartet in einen weiteren unterirdischen Gang zurückgewichen. Kaum hatte sich Polizeisprecher Anton Hamacher dann von den versammelten Medienvertretern entfernt, da kam er auch schon wieder zurück - mit der Information vom angeblich mutwilligen Vorgehen des Aktivisten bei seinem Rückzug.
Oberstaatsanwalt: Gravierender Vorwurf
In diesem Moment wendete sich das Blatt: War die Waldräumung von der Polizei bisher noch als durchweg friedlich beschrieben worden und der Kontakt zum Aktivisten in der Höhle als "kooperativ", schien nun von dem jungen Mann plötzlich etwas Gewalttätiges auszugehen. Wenig später tickerte die Neuigkeit entsprechend durch Internet, Radio und Fernsehen. Wer bis dahin noch Sympathien für das Vorgehen der Umweltaktivisten hegte, dem kamen jetzt Zweifel an der ganzen Aktion. Scharfe Kommentare in den Medien rückten das eigentliche Anliegen der Demonstranten, die Umweltgefahren durch die Energiegewinnung mit Braunkohle, immer weiter in den Hintergrund. Auch rechtlich hätte ein solcher Schritt die spätere Situation des Aktivisten erheblich verändert, sagt der Kölner Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Nach seiner Festnahme hätte der Aktivist dem Haftrichter vorgeführt werden müssen, eine Anklage wegen versuchter Körperverletzung wäre ihm wohl sicher gewesen.
"Showdown-Situation" ohne Grundlage
Noch am Wochenende seien die zuständigen Mitarbeiter der Grubenwehr vernommen worden, beim Staatsschutz der Polizei Köln wurden weitere Zeugen befragt. "Der Vorwurf wurde nicht bestätigt", fasst Oberstaatsanwalt Willuhn das Ergebnis zusammen, "die Darstellung der Polizei ist ohne rechtliche Grundlage". Der Fall werde nicht weiter strafrechtlich verfolgt. "Auch diese Showdown-Situation" - nach dem angeblichen Vorfall, die in einer Überwältigung des Aktivisten mündete - "gaben die Aussagen der Zeugen nicht her". Die Polizei Rhein-Erft-Kreis müsse nun klären, wie es passieren konnte, dass diese Nachricht an die Presse weitergegeben wurde, bevor gesichert war, dass sie wirklich stimmte.
Panne durch "Stille-Post-Effekt"?
Für ihn sei eine Fehlinterpretation durch die Einsatzkräfte denkbar, meint der Oberstaatsanwalt. "In der Hektik des Vorgangs" sei vielleicht der "Stille-Post-Effekt" eingetreten, wodurch eine anders formulierte Information schließlich verfälscht beim Pressesprecher angekommen sei. Schließlich hätten die Einsatzkräfte tagelang unter großem Druck gearbeitet. "Die Pressestelle Rhein-Erft-Kreis sollte dennoch über ihre Informationspolitik nachdenken", stellt Willuhn klar.
"Irgendetwas hat sich gelöst"
Dort ist man mit dieser Deutung offenbar noch nicht ganz einverstanden. "Irgendetwas hat sich jedenfalls gelöst oder wurde entfernt", beharrt Bernd Maul, Sprecher der Polizei Rhein-Erft-Kreis, "das ist Fakt". Ob das ein Schalungsbrett gewesen sei oder die von der Grubenwehr installierten Stützpfeiler, könne man derzeit nicht sagen. Die Polizei Rhein-Erft-Kreis habe Strafanzeige gegen den Aktivisten erstattet - wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gegen Polizeibeamte.
Anzeigen gegen Unbekannt
Bei der Kölner Oberstaatsanwaltschaft sei eine solche Anzeige noch nicht eingegangen, sagt Ulf Willuhn. Knapp 60 Anzeigen rund um die Besetzung des Hambacher Forsts würden derzeit geprüft, die meisten aus der Zeit kurz vor Beginn der Räumung. In Medienberichten war immer wieder von mehr als 100 Strafanzeigen gegen die Baumbesetzer die Rede gewesen. Doch auch hier muss der Oberstaatsanwalt korrigieren: "Die meisten der 60 Anzeigen richten sich gegen Unbekannt."