Im Geburtsort des faschistischen Diktators Mussolini treffen sich die Neofaschisten zu Gedenkfeiern. Sie werden immer mehr – und jünger. Dieses Wochenende feiern Italiens Neofaschisten den 90. Jahrestag der Machtergreifung. In Predappio, dem Geburtsort Mussolinis, nimmt die Verehrung besonders gespenstische Züge an.
Von Julius Müller-Meiningen
Giorgio Frassineti ist ein energischer Mann. Der Bürgermeister von Predappio wirkt wie ein kleiner italienischer Napoleon, der seine Gemeinde im Griff hat. Sein Büro im alten Palazzo Varano ist verqualmt, Frassineti raucht eine Zigarette nach der anderen. Seit drei Jahren leitet der 48-Jährige die Gemeindeverwaltung der italienischen Kleinstadt in der Emilia-Romagna. Frassineti, ein geselliger Sozialdemokrat, hat den zischenden Akzent der Romagna. Er sagt: „Ich bin machtlos.“
Abendessen mit dem Pfarrer
Am Wochenende kommen sie wieder, die finsteren Gestalten. Das ganze Jahr über ist Predappio ein Wallfahrtsort für Neofaschisten. Der Diktator Benito Mussolini wurde hier im Jahr 1883 geboren. Er war 1921 Gründer und Führer der Faschistischen Partei und Diktator des mit Hitler liierten, faschistischen Regimes, wobei er sich den Titel Duce del Fascismo – Führer des Faschismus – zulegte. An diesem Sonntag feiern die Ultrarechten den 90. Jahrestag des Marschs auf Rom, die Machtergreifung der italienischen Faschisten am 28. Oktober 1922.
Jedes Jahr versammeln sich die Nostalgiker in Predappio zu Gedenkfeiern. Doch zu dieser Veranstaltung in diesem Jahr werden bis zu 6000 Neonazis in Predappio erwartet, so viele wie lange nicht mehr. Der Ablauf solcher Feiern folgt einem ungeschriebenen Ritual: Sie pilgern zur Gruft Mussolinis auf dem örtlichen Friedhof, der bekannte rechtsradikale Priester Padre Giulio Tam hält eine Andacht und betet den Rosenkranz. Außerdem gibt es eine Demonstration auf dem Hauptplatz.
Später gibt der Pfarrer im kleineren Kreis ein Abendessen, das Restaurant ist seit Wochen reserviert. Man stößt auf die alten Zeiten an. Vor allem Männer werden kommen. Darunter sind ein paar ältere – aber es kommen immer mehr junge Leute. Viele tragen schwarze Hemden, ein Erkennungszeichen der italienischen Faschisten. Die ganze Szenerie wirkt, als sei die Zeit stehen geblieben.
Wie immer, wird auch diesmal wieder der Ruf „Duce, Duce, Duce“ – wie Mussolini genannt wurde – über den Friedhof und durch den Ort hallen. Schon früher wurde den ganzen Tag über gegen italienisches Gesetz verstoßen: Viele zeigen den verbotenen römischen Gruß. Auch Hakenkreuze und das Liktorenbündel, ein weiteres faschistisches Symbol, tauchen auf Postern, Stickern oder Fahnen auf. Falls jemand diese Ausrüstung vergessen hat, dann können sich die Nazis in zwei großen Geschäften in Predappio das ganze Jahr über mit faschistischen Souvenirs eindecken.
Geduldeter rechter Spuk
Am Wochenende winkt den Inhabern damit das Geschäft des Jahres, die Hotels in der Umgebung sind ausgebucht. Selbst in der unscheinbaren Bar Appio von Samuele Saragoni in der Via Roma kann man Nazi-Folklore kaufen. „Dux“ steht auf dem Etikett der Sangiovese-Rotwein-Flaschen. „Ich hätte gerne eine Gedenkfeier im Monat“, sagt der Barbesitzer. Aber er sei kein Rechter, sondern schlicht ein am Gewinn interessierter Unternehmer.
Niemand scheint sich an diesem finsteren Spektakel zu stören. Die Bevölkerung duldet den rechten Spuk. eine Hundertschaft Polizisten, die für Sonntag in Alarmbereitschaft versetzt sind, wird am Rand der großen Piazza stehen. Bürgermeister Frassineti sagt, er sei froh, dass es schon seit den 70er Jahren in Predappio keine gewaltsamen Ausschreitungen mehr gab. Für die Genehmigung und die Überwachung von Demonstrationen sei die Polizeibehörde im benachbarten Forlì zuständig. Und wieder sagt er, dass er selbst da nichts machen könne.
Vor zwei Jahren erließ der Bürgermeister eine Verordnung, die die Auslage verfassungsfeindlicher Symbole in den Souvenirshops untersagte. Heute wirkt es, als seien Gesetzesverstöße in Predappio wieder Kavaliersdelikte. „Ich als Bürgermeister habe nichts damit zu tun“, sagt Frassineti. Er beteuert, dass er gegen die Gedenkveranstaltung sei und fügt hinzu, dass er nicht verstehe, wie man Mussolini verherrlichen könne.
Frassinetis Haltung ist nicht untypisch. Zwar gibt es im linken politischen Lager eine lange antifaschistische Tradition. Doch ultrarechte Umtriebe werden oft geduldet und sorgen in der Öffentlichkeit für wenig Aufregung. Immer wieder wird auch betont, die italienische Variante des Faschismus habe sich deutlich vom Nationalsozialismus Hitlers unterschieden. Kaum Aufmerksamkeit erregte etwa, dass neofaschistische Studenten in den vergangenen Tagen mehrere Gymnasien in Rom stürmten oder der Sohn des römischen Bürgermeisters Gianni Alemanno jüngst auf seinem Facebook-Profil Fotos postete, in denen er die italienische Variante des Hitlergrußes zeigt. Alemanno, der bekanntermaßen eine Vergangenheit als ultrarechter Schläger hat, musste sich kaum rechtfertigen. Auch dem Vater hat der Vorfall nicht geschadet.
Anreisen aus ganz Italien
Auch aus Rom und Umgebung reisen am Wochenende Neonazis nach Norden. Aus Sizilien, Apulien, Ligurien und dem Friaul haben sich Gruppen angekündigt. Vertreter ultrarechter Parteien wie La Destra, die im landesweiten Politikbetrieb salonfähig ist, oder Forza Nuova feiern in Predappio mit.
Kritik oder Proteste gibt es kaum. Der italienische Partisanenverband hat sich beschwert. In der Hauptstadt beklagt nur der Parlamentsabgeordnete Emanuele Fiano, in Italien gebe es immer mehr Toleranz für die Verherrlichung des Faschismus. Der sozialdemokratische Abgeordnete, dessen Vater das KZ Auschwitz überlebte, forderte die Innenministerin auf, die Gesetzesverstöße nicht weiter zu dulden. Eine Antwort blieb aus.
In Predappio gehen die Vorbereitungen für den Jahrestag derweil weiter. Bürgermeister Frassineti sagt fatalistisch: „Ich sehe keinen Grund, entrüstet zu sein. Schließlich weiß ich, in was für einem Ort ich lebe.“