Auch eine Woche nach dem rechten Mai-Aufmarsch, den
Gegendemonstrationen und dem Polizeieinsatz wird kontrovers diskutiert.
Wir haben mit Karl-Heinz Keller, dem Chef der Polizeidirektion,
gesprochen.
von Edwin Ruschitzka
Nimmt man Ihren jüngsten Polizeibericht zum Maßstab, so war der 1. Mai in Ulm eine ziemlich gewalttätige Veranstaltung. Warum?
KARL-HEINZ KELLER: Wir hatten in Ulm selten zuvor ein so großes
Gewaltpotential wie am 1. Mai aus dem rechten und linken Lager. Das
Gewaltpotential ist ausschließlich von außen angereist, die meisten aus
den Räumen Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und auch aus Bayern. Als ich
um18 Uhr durch Ulm gelaufen bin, war die Stadt wieder so friedlich wie
immer. Zuvor kam es aber zu Gewaltausbrüchen. Polizeibeamte wurden
angegriffen und durch Flaschen- und Steinwürfe verletzt. Auf sie wurden
auch in Deutschland verbotene TNT-Böller geworfen, die zu Verletzungen
und Hörschäden führen können. In der Nacht zuvor wurden Pflastersteine
ausgegraben und bereitgelegt.
Wie Sie auch den Leserbriefen entnehmen können, gibt es Kritik an der Polizei. Man wirft Ihnen eine falsche Strategie vor.
KELLER: Leserbriefe sind immer Einzelmeinungen. Wer die Übergriffe von
Linksautonomen vor allem in der Sattlergasse und auf dem
Bahnhofsvorplatz gesehen hat, weiß, dass die Situation für Ulm
außergewöhnlich war. Es war unser Auftrag, friedliche Demonstrationen
zu gewährleisten. Das ist uns im Wesentlichen bei den
DGB-Veranstaltungen gelungen.
Vor allem die so genannte Beweissicherungs- und
Festnahmeeinheit ist ziemlich brachial vorgegangen. Warum haben Sie
deren Einsatz angeordnet?
KELLER: Wir hatten zuerst andere Polizeieinheiten im Einsatz. Weil die
hohe Gewaltbereitschaft schon relativ bald zu erkennen war, haben wir
zum Beispiel die Sattlergasse mit stärkeren Kräften umstellt, um
gewaltbereite Demonstranten von friedlichen zu trennen.
Wie kommt es, dass gerade diese starke Einheit kaum
Unterschiede zwischen den gewaltbereiten und den friedlichen
Demonstranten gemacht hat?
KELLER: Diese Frage suggeriert etwas Falsches. Wo es immer möglich war,
haben wir deeskalierend gewirkt, auch unser Anti-Konflikt-Team mit
gutem Erfolg eingesetzt. Wir hatten aber auch Erkenntnisse, dass etwa
150 gewaltbereite Autonome schon die Veranstaltung des DGB unfriedlich
unterlaufen wollten. Diese Leute haben wir in Gewahrsam genommen und am
Abend wieder freigelassen.
Glauben Sie nicht, dass gerade das martialische Vorgehen der schwarzen Polizeieinheiten zur Eskalation beigetragen hat?
KELLER: Ich gebe zu, dass das Auseinanderhalten von gewaltbereiten und
friedlichen Demonstranten nicht immer einfach ist, wo sie sich
vermischen. Das ist das Ziel der Autonomen. Beispielsweise im Verlauf
des Nachmittags auf dem Bahnhofsvorplatz. Dort war das Vorrücken der
Wasserwerfer zuerst sehr abwartend und defensiv. Bei diesem Einsatz
will ich nicht ausschließen, dass vom Vorgehen der Polizei auch
friedliche Gegendemonstranten betroffen waren. Das werden wir in jedem
uns gemeldeten Einzelfall entsprechend überprüfen.
Was sagen Sie zum Vorgehen der Polizei in Mainz? Dort
machten sich die Neonazis auf den Rückzug, weil die Bürger den
Bahnhofsplatz friedlich besetzt hatten.
KELLER: Ich kann die Situation in Mainz nicht beurteilen, weil ich auch die örtlichen Gegebenheiten nicht kenne.
Aber warum war so etwas in Ulm nicht möglich?
KELLER: Eines steht für Ulm doch fest: Da wurde im Vorfeld schon lange
und öffentlich darüber diskutiert, die Rechten mit einem Frühstück im
Bahnhof zu begrüßen. Das ist nichts anderes, als die Absicht, den
Bahnhof zu besetzen. Dabei kann die Polizei nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen. Wir dürfen so etwas nicht ignorieren.
Wundern Sie sich über Vorwürfe, die Polizei mache Neonazis mit aller
Staatsgewalt den Weg frei und schränke gleichzeitig die
Gegendemonstrationen ein? Der Neu-Ulmer CSU-Landrat verglich solch
einen Staat mit einem Nachtwächterstaat.
KELLER: Die Polizei hat doch nicht die Freiheit, richterliche
Entscheidungen zu ignorieren. Die Gerichte und die Polizei können sich
nicht über das Gesetz stellen. Und so lange die Gesetze so sind, wie
sie sind, müssen wir friedliche Demonstrationen gewährleisten. Gerade
deshalb halte ich öffentliche Schelte von Politikern gegenüber den
Gerichten und der Polizei auch nicht für angesagt. Grundsätzlich können
nur die Politiker selbst mit ihren Mehrheiten für eine andere
rechtliche Situation sorgen.
Warum wurden die Donaubrücken gesperrt und auch friedliche Menschen daran gehindert, auf die bayerische Seite zu gehen?
KELLER: Wir haben die Kontrollstellen deshalb eingerichtet, weil damit
zu rechnen war, dass auch die Gewaltbereiten nach Neu-Ulm gehen. Damit
haben wir erreicht, dass es in Neu-Ulm keine Ausschreitungen gab. Dass
im Einzelfall friedlich gestimmte Passanten betroffen waren, liegt an
den besonderen Umständen dieses Tages.
Mit der jüngst gegründeten Ermittlungsgruppe haben Sie den Eindruck
erweckt, als wollten Sie nur gegen die Gegendemonstranten vorgehen.
Erst auf Nachfragen erklärte Ihr Pressesprecher, dass diese Gruppe auch
die Neonazis und das polizeiliche Vorgehen überprüfen wird. Musste so
eine einseitige Darstellung eigentlich sein.
KELLER: Wir haben auch die Rechten auf Straftaten überprüft, aber nur
in zwei Fällen das Mitführen von verbotenen Gegenständen festgestellt.
Wir verfolgen alle Straftaten, die uns gemeldet werden, und legen sie
der Staatsanwaltschaft vor. Ich hätte mich gefreut, wenn die
Friedlichen nicht von Chaoten gestört worden wären.
Es scheint so, als wollten die Neonazis den 1. Mai für Aufmärsche in
Ulm und Neu-Ulm auf Dauer installieren. In rechten Internet-Plattformen
wurde von einem idealen Verlauf gesprochen. Was würden Sie, angesichts
ihrer Erfahrungen, am 1. Mai 2010 anders machen?
KELLER: Eigentlich will ich darüber überhaupt nicht spekulieren, was
kommen könnte und was nicht. Weil ich das nicht in der Hand habe. Und
ich wäre froh, wenn man darüber nicht allzuviel sprechen und auch
schreiben würde. Das Positive an diesem 1. Mai war doch, dass sich
unsere Gesellschaft mit dem Thema Rechtsextremismus auseinander gesetzt
hat. Und jetzt muss darüber auch weiter diskutiert werden. Gerade auch
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das überaus wichtig.
Zur Person
Karl-Heinz Keller ist Kriminaldirektor und auch Chef der Ulmer
Polizeidirektion. Am 1. Mai leitete der 55-Jährige den Polizeieinsatz
in Ulm. Keller wohnt in Sigmaringen, er war vor fünfeinhalb Jahren von
der Polizeifachhochschule zur Ulmer Kripo versetzt worden.